Als er nach Würzburg kam, gab es noch keinen Kulturspeicher. Beim Gespräch mit Christian Baumgart merkt man, wie schnell die Zeit vergeht. Und wie druckreif der 65-Jährige spricht. Am 1. November endet nach 24 Jahren die Amtszeit des Referenten, der wie kein anderer bewundert und kritisiert wurde.
Frage: Sie waren fast ein Vierteljahrhundert Stadtbaurat. Wie hat sich Würzburg in dieser Zeit verändert?
Christian Baumgart: Die Stadt ist lebendiger geworden. Sie ist bunter, auch politisch, offener und in vielen Dingen toleranter und, um zu meinen Belangen zu kommen: Sie hat sich städtebaulich und architektonisch weiter entwickelt, in Richtung einer spannenden Mischung aus Bewahren des Stadtbilds und seiner behutsamen Weiterentwicklung.
Einige Würzburger würden die "behutsame Weiterentwicklung" eher eine "Verschandelung" des Stadtbilds nennen. Was sagen Sie denen?
Baumgart: Wer nur konserviert, erzeugt Konserven. In denen möchte niemand leben, nicht mal der Hering. Im Ernst: Europäische Städte werden seit jeher immer wieder überformt. Zeitgemäßes Bauen ist also eine normale und notwendige Veränderung.

Auch eine gelungene Veränderung? Worauf sind Sie richtig stolz?
Baumgart: Als ich vor 25 Jahren nach Würzburg kam, sind mir zwei Dinge besonders aufgefallen. Zum einen hatte sich die Stadt damals vom Wasser abgewandt. Entlang des Mains war eigentlich nur Blech gestapelt. Wenn ich das heute sehe, haben wir hier eine Menge geschafft. Vom Alten Hafen bis zur Löwenbrücke gibt es attraktive Uferzonen. Meine zweite Wahrnehmung damals galt den gähnenden Löchern im Boden der Innenstadt. Indem wir die Tiefgaragenzufahrten am unteren Markt und in der Eichhornstraße schließen konnten, haben wir die Innenstadt enorm aufgewertet. Auch die Entwicklung des neuen Stadtteils Hubland ist eine riesige Chance für die Stadt, die wir richtig angepackt haben.

Welche neuen Bauten sind gelungen?
Baumgart: Der Kulturspeicher und die Umgestaltung des Heizkraftwerkes waren nie umstritten. Die Fassade am Kaufhaus Wöhrl wird inzwischen akzeptiert, genauso wie das Diözesanmuseum, das einst ein riesiger Aufreger war und inzwischen geschätzt wird. Das Forum am unteren Markt, der Flagship-Store von s.Oliver am oberen Mark, der Hof Emmeringen und, wenn sie fertig ist, die Erweiterung des Hotels Rebstock - alles gelungene Einzelbauten.
Alle Würzburger sind da nicht ihrer Meinung und haben in den vergangenen Jahren viel über den Stadtbaurat gewettert. Wie sind Sie mit Kritik umgegangen?
Baumgart: Im Großen und Ganzen ging es auch bei harscher Kritik um Sachfragen. Es gab aber auch einzelne, unschöne Episoden, wo ich aus der feigen Anonymität heraus persönlich angegangen wurde. Völlig inakzeptabel waren Angriffe gegen meine Familie. Als unredlich empfand ich auch das Argument, dass ich mit dieser Stadt nicht umgehen kann, weil ich nicht aus ihr stamme. Das lasse ich nicht gelten, denn oft ist der Blick von außen der unverstelltere. Prinzipiell gehört sachliche und fundierte Kritik in der Stadtentwicklung natürlich dazu. Denn diese wirft immer Fragen auf und wird provozieren. Die Herausforderungen bei der Überformung von Städten ist, Nachhaltiges und von modischen Strömungen Freies in Gang zu bringen, das Jahrzehnte später als Fortentwicklung gesehen wird.

Gibt es hier genug fundierte Kritik? In Würzburg scheinen die gegenseitigen Abhängigkeiten manchmal zu groß dafür. Kritiker sind hier schnell Nestbeschmutzer.
Baumgart: Ich weiß nicht, ob Würzburg da besonders ist. Aber tatsächlich tut sich eine überschaubare Stadtgesellschaft mit offener Kritik etwas schwerer. Ich finde aber, dass sich die Stadt hier weiter entwickelt hat. Die vielen, vielen Diskurse der vergangenen Jahre haben zu einem offeneren Klima in der Diskussion geführt.
Klingt ja alles sehr positiv. Was hat in Ihrer Amtszeit nicht so gut geklappt?
Baumgart: Mal überlegen. Ich hätte mir die Multifunktionshalle schneller gewünscht. Dass sie jetzt doch kommt, freut mich ganz persönlich. Sehr bitter war die Niederlage bei der geplanten fußgängerfreundlichen Umgestaltung der Hofstraße. Weil wir uns im Stadtrat nicht durchsetzen konnten, mussten wir sogar fast eine Million Euro Fördermittel zurück zahlen. Allerdings gibt es auch Projekte, die einen voran bringen, obwohl sie nicht verwirklicht wurden. Gutes Beispiel dafür sind die Arcaden.

Dieses Einkaufszentrum wollten Sie 2006 gerne neben dem Bahnhof bauen. Aber die Bürger entschieden sich dagegen. Inwiefern hat das die Stadt voran gebracht?
Baumgart: Das Scheitern der Arcaden und die Diskussionen, die folgten, haben den Weg für viele wichtige Entscheidungen in der Innenstadt bereitet. Der Bau einiger Geschäftshäuser und die Ausweitung der Fußgängerzone sind Beispiele. Auch der Bürgerentscheid um den Kardinal-Faulhaber-Platz war für die Stadt wichtig. Ich bin zwar nach wie vor der Meinung, dass wir Oberflächenparkplätze jetzt leichter reduzieren könnten, wenn wir eine Tiefgarage unter dem Faulhaber-Platz hätten, aber dessen Begrünung ist auf jeden Fall begrüßenswert. Niemanden fällt ein Zacken aus der Krone, wenn er in solchen Prozessen dazu lernt.

Warum tun sich Politiker deutlich schwerer mit einem Nein der Bürger?
Baumgart: Das muss man verstehen. Es ist halt eine politische Ohrfeige, wenn man eine Sache mit Überzeugung und Nachdruck vertritt, die Wähler aber dagegen stimmen. Aber die Stadtgesellschaft hat auch hier erheblich dazu gelernt. Die Auseinandersetzung ist sachlicher geworden und die Ergebnisse werden dann auch akzeptiert. Das war beim Bürgerentscheid über den Faulhaber-Platz so und ist es auch bei den Pavillons am Bahnhofsplatz. Letzteres zeigt, dass es manchmal etwas Zeit braucht, um Dinge zu entwickeln.
Etwas Zeit ist angesichts eines vor 20 Jahren angekündigten neuen Bahnhofsplatzes optimistisch ausgedrückt. Auch den oberen Marktplatz lassen Sie unvollendet . . .
Baumgart: Stimmt, da müsste auch noch ein Stück Tiefgaragendeckel saniert und die Oberfläche gemacht werden. Das steht noch an. Aber mein Nachfolger soll ja auch noch was zu tun haben.
Wie viel Macht hat ein Stadtbaurat?
Baumgart: Die ist höchst überschaubar. Denn ich kann zwar Dinge voran bringen, aber letztendlich entscheidet ja der Stadtrat.
Und wie überzeugt man diesen?
Baumgart: Indem man intensive Diskussion führt und zäh um Lösungen ringt, auch mal zuhört und manchmal Kompromisse eingeht, um der Lösung näher zu kommen, die man gerne hätte. Gleichzeitig sollte die eigene Linie erkennbar bleiben. Nach meinem Empfinden ist dieses Vorgehen vom Stadtrat immer akzeptiert worden. Es gab harte Diskussionen, auch mal die eine oder andere Verletzung und Niederlage, aber eine konsequente Linie wurde immer gewürdigt.
Ihre Linie ist in jüngster Zeit deutlich grüner geworden. Während Sie früher Stadträte aufs Korn nahmen, die ein Gewerbegebiet wegen der Hamster in Frage stellten, engagieren Sie sich jetzt für weniger Autos und mehr Bäume in der Innenstadt. Beim jüngsten Neujahrsempfang der Würzburger Grünen waren Sie sogar Gastredner. Woher kommt der Wandel?
Baumgart: Die Bezeichnung Grün alleine ist mir zu platt. Aber ich glaube tatsächlich, dass wir künftig einige Parameter ändern müssen. Es gibt offenkundig Grenzen des Wachstums und ohne Zweifel Gründe, weniger Flächen zu versiegeln und sich über eine veränderte Bodenpolitik Gedanken zu machen. Wir erleben gerade eine extreme Gleichzeitigkeit extrem ungleicher Entwicklungen in Deutschland. Es gibt Regionen, die leiden unter sprunghaften Zuwanderungen, andere leiden unter Abwanderung. Auch darauf muss man reagieren. Da sich Lebensbedingungen verschieben und sich Fachkompetenz stetig weiterentwickelt, ändert sich auch die Wahrnehmung unserer Gesellschaft.
Welche Themen werden Würzburg die nächsten Jahre beschäftigen?
Baumgart: Das Bewusstsein für Leben in der Stadt wandelt sich gerade. Vor einem Vierteljahrhundert war der Radverkehr verschwindend gering, genauso wie das Bewusstsein für öffentlichen Nahverkehr. Die oberzentrale Funktion der Stadt war vor allem dadurch geprägt, dass man sie mit dem Auto erreichen konnte. Das wird sich zukünftig ändern, weil der Fokus der Stadtentwicklung auf mehr Aufenthaltsqualität und Wohnen liegt. Auch in Zukunft wird um Entscheidungen gerungen werden: zwischen Höhenentwicklung und Stadtbildverträglichkeit beim Bauen, zwischen dem Erhalt von innerstädtischen Freiflächen und notwendiger Verdichtung, um draußen Versiegelung zu vermeiden.
Fällt es Ihnen schwer, diese Zukunft nicht mehr mitzubestimmen?
Baumgart: Nein. Ich freue mich auf die kommende Zeit. Auf die Aufgaben, die ich weiterhin habe und auch auf Neues. Vor allem auf mehr Zeit mit meiner Familie.
Christian Baumgart Christian Baumgart wurde am 3. Juni 1953 in Erlangen geboren. Er studierte in Berlin Architektur. Nach Stationen in der Baubehörde Hamburg und Weißenburg wurde er Baubürgermeister von Bad Mergentheim. 1994 wechselte er als Stadtbaurat nach Würzburg. Der Stadtrat hat ihn drei Mal wieder gewählt. Baumgart ist Honorar-Professor im Fachbereich Architektur der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, Präsident des Verbands Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine in Berlin und Mitglied im Beirat der Bundesstiftung Baukultur. Außerdem ist Baumgart Mitglied im Bau- und Planungsausschuss des Bayerischen Städtetages sowie des Landesbaukunstausschusses Bayern. Christian Baumgart ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.