Ein volles Kino ohne Mindestabstände, spannende Diskussionen zwischen Filmschaffenden und Konsumenten und die Möglichkeit, endlich wieder Filme außerhalb des heimischen Sofas zu sehen, darüber freuen sich die Gäste und Verantwortlichen des Internationalen Filmwochenendes wohl am meisten. In diesem Jahr findet es bereits zum 49. Mal statt. Als Spielstätten dienen sowohl das Central im Bürgerbräu mit seinen drei Kinosälen als auch das Siebold-Museum.
26 Spielfilme, zehn Dokumentationen und zwei Kurzfilmblöcke hat das Filmwochenende vom 26. bis 29. Januar im Programm. Da man sich bei dieser Fülle unmöglich alle Filme anschauen kann, nennen die Festivalmacher ihre Tipps.

1. Kurz und bunt gemischt: der Kurzfilm-Block
Conny Balzer: Seit wir angefangen haben, unsere Kurzfilmblocks aus einer gigantischen Auswahl zu angeln, haben sie uns alles erzählt, was uns bewegt. Meist waren wir zu dritt, haben Tränen gelacht, waren von Trauer und Wut übermannt. Viele Fantasien haben sie in uns geweckt, auf ihrer Suche nach Liebe, Freude, Sehnsucht und Geborgenheit. Meist wurden wir am Ende überrascht mit Witz, Charme oder einer unglaublichen Finte. Wir konnten uns einlassen auf Filme aus Deutschland, Finnland, Iran, Spanien und Österreich. Lassen auch Sie sich mitreißen von den intensiven Eindrücken. Mich haben sie von Beginn an gefesselt.
Wann läuft der Film? Block 1 "Kurz und schräg": Freitag, 15 Uhr, und Sonntag, 11 Uhr, im Kino 2. Block 2 "Kurz und intensiv": Donnerstag, 22 Uhr, im Kino 1 und Samstag, 13.15 Uhr, im Kino 2.
2. Eine berührende Langzeit-Doku: "Kalle Kosmonaut" aus Deutschland
Rainer Mesch: Wie lebt man in einer Ostberliner Plattenbausiedlung? Mit welchen Wünschen und Vorstellungen an das künftige Leben wächst in diesem Milieu ein Kind heran? Das Dokumentarfilm-Duo Günther Kurth und Tine Kugler hat dort einen Jungen kennengelernt, den alle "Kalle" nennen und in der berührenden und einfühlsamen Langzeit-Doku "Kalle Kosmonaut" dessen Entwicklung über ein Jahrzehnt dokumentiert. Eine Zeit, die von Hoffnungen, aber auch von herben Rückschlägen geprägt ist. Als Zuschauer schließt man Kalle schnell ins Herz, auch dann noch, als er auf "die schiefe Bahn" gerät. Wir sind bei ihm und begleiten ihn mit viel Mitgefühl über eine lange Phase seines Lebens bis hin zum Erwachsenwerden. Werden sich seine Hoffnungen realisieren lassen oder ist ein Scheitern vorprogrammiert? Unsere Zuschauer werden es erfahren, denn "Kalle" wird persönlich mit dem Filmteam zu den Vorstellungen des Films anwesend sein und wird uns erzählen, wie es nach dem Filmdreh mit ihm weitergegangen ist. Wir sind jetzt schon darauf gespannt.
Wann läuft der Film? Samstag, 19.45 Uhr, im Kino 2; Sonntag, 11 Uhr, im Kino 3
3. High Noon auf Favignana: "Picciridda" aus Italien
Richard Schwaderer: Auf der Suche nach einem besseren Leben lassen die Bewohner von Favignana, einer kargen Insel vor der Westküste Siziliens, auch heute noch ihre Kinder zurück. Dieses Schicksal erfährt auch die zwölfjährige, sensible und intelligente Lucia, die alle "Picciridda" ("die Kleine") nennen. Ihre wortkarge Großmutter, die für sie sorgt, versucht sie von allem Geschehen im Dorf fernzuhalten. Das kindlich-naive Mädchen wird trotzdem zur Zeugin von männlicher Gewalt und Zynismus – und dann sogar selbst zum Opfer. Doch an diesem Punkt, so erzählt der Film, bricht sich in einem dramatischen Finale die weibliche Gegengewalt Bahn. Ein leidenschaftlicher, aufrichtiger, kompromissloser Film in bester Tradition des neorealismo!
Wann läuft der Film? Freitag, 19.30 Uhr, und Sonntag, 13 Uhr, im Kino 2.
4. Finger weg von Urlaubsbekanntschaften: "Speak no evil" aus Dänemark
Klaus Wohlleben: Im Urlaub lernt man nette Leute kennen. Man feiert und vereinbart, sich auch nach dem Urlaub zu treffen. Meist wird daraus nichts. Eine dänische Familie trifft in "Speak no evil" während eines Italienurlaubes auf eine niederländische Familie. Sie vereinbaren einen Besuch in den Niederlanden. Der Besuch gerät zunehmend außer Kontrolle, während die Dänen versuchen, höflich zu bleiben. Ein packender Horror-Psychothriller, bei dem es einem eiskalt über den Rücken läuft. Und mit einem Ende, das nachhallt.
Wann läuft der Film? Donnerstag und Samstag jeweils um 23 Uhr im Kino 3.
5. Fühlen, lachen, leiden und lieben: "Freda" aus Haiti
Gerhard "Eloy" Suttner: Jeanette betreibt einen kleinen Laden in Port-au-Prince, Haiti, und sichert so die einfache Existenz für sich und ihre drei erwachsenen Kinder. Armut, Unruhen auf den Straßen, Korruption und häusliche Gewalt prägen den Alltag in dem vom Erdbeben erschütterten Land. "Freda" zeichnet trotz der üblen Umstände ein sehr liebevolles Bild einer Familie, die aus dem Elend entkommen will und trotz allem zusammenhält. Er war die Oscareinreichung von Haiti im Jahre 2022.
Wann läuft der Film? Samstag, 17 Uhr, im Kino 3; Sonntag, 17 Uhr, im Kino 2.
6. Sprecht doch miteinander: "Utoma" aus Bolivien
Birgit Pelchmann: Altiplano – gerne würde ich das Hochland von Bolivien bereisen, aber zunächst ist es dieser Film, der mich tief berührt: "Utama". Bildgewaltig kommt es daher, dieses Drama um das alte Ehepaar Virginio und Sisa. Man möchte ihnen zurufen: "Bitte sprecht doch miteinander. Oder mit eurem Enkel!" Und dann verstehe ich ihn doch wieder, diesen knurrigen Alten, der seiner Frau so viel zumutet. Würde ich an ihrer Stelle mein alltägliches, beschwerliches Leben aufgeben wollen, um abhängig von den Angehörigen mit ihnen in der Stadt zu leben? Bleiben oder Gehen ist die beständige Frage, freiwillig oder weil man keine Wahl hat – vom Klimawandel eingeholt, stirbt nicht nur das Zuhause. Ein Leben in Würde wünsche ich dem Quechua-Paar und fühle mich mit Sisa und ihren Entscheidungen traurig und froh zugleich.
Wann läuft der Film? Donnerstag, 17 Uhr, und Samstag, 11 Uhr, im Kino 1.
7. Der beste Roadtrip seit "Tschick": "Mission Ulja Funk" aus Deutschland, Luxemburg, Polen
Christian Molik: Meine Güte ist die clever, diese Ulja. Verkauft Hausaufgaben in der Schule, nicht nur an Henk, den sie ja eigentlich gar nicht leiden kann. Aber um ans Ziel zu kommen, nimmt man schon mal einiges in Kauf. Denn wer kutschiert einen schon mit einem Auto durch die Lande. Dieser Kinderfilm "Mission Ulja Funk" strotzt nur so vor Witz und verrückten Einfällen. Ich habe jedenfalls Tränen gelacht. Und spannend ist er allemal. Niemand kommt hier ungeschoren davon, auf dieser rasanten Reise durch die Lande. Schließlich geht es ja auch um einen Meteoriteneinschlag auf der Erde, den Ulja genau berechnet hat. Ich bin gespannt, wie er euch gefällt, dieser unglaublich verrückte Film. Lasst ihn euch auf keinen Fall entgehen (packt am besten eure Freunde über acht Jahre mit ein und schleppt sie mit ins Kino).
Wann läuft der Film? Freitag, 15 Uhr, im Kino 1; Sonntag, 15.15 Uhr im Kino 2.

8. Ein würziger Eastern-Eintopf: "Sukiyaki Western Django" aus Japan
Werner Schmitt: Schon die Einstiegsszene mit Quentin Tarantino in "Sukiyaki Western Django" von Regisseur Takashi MIike verspricht Western-Kino der Eastern-Art auf sehr, sehr originelle Weise. Schräge Klamotten und wilde Kampfszenen vermischen sich mit Slapstick feinster japanischer Machart. Eine blutige Achterbahnfahrt biegt bei diesem Bandenkrieg in ungeahnte Kurven ein. Genji, der weiße Clan und der rote Clan Heike kämpfen unerbittlich um einen legendären Schatz, der in einem abgelegenen Bergdorf versteckt sein soll. Alles verändert sich, als ein fremder Pistolero ins Dorf einreitet. Da kollidieren Liebe und Leidenschaft, dreckige Tricks und Gaunereien miteinander und enden in einem einzigartigen und explosiven Showdown. Diese lange Fassung war bisher nur beim Filmfest in Venedig 2007 zu sehen.
Wann läuft der Film? Donnerstag, 18.45 Uhr, und Sonntag, 16.45 Uhr im Siebold-Museum
9. Was für ein Theater: "So wie wir" aus Deutschland
Tom Hofmann: Dass sich die geistig behinderten Schauspielerinnen und Schauspieler des Würzburger Theaters Augenblick nicht mit ihren Rollen identifizieren können, ist ausgeschlossen. Denn die beeindruckend inszenierten Stücke sind stark von dem inspiriert, was sie persönlich umtreibt. Torsten Repper hat für seinen Dokumentarfilm "So wie wir" über das Ensemble einen ähnlichen Ansatz gewählt, indem er sich selbst maximal zurücknimmt und die Macher, allen voran die Darstellerinnen und Darsteller, berichten lässt. Was dabei herausgekommen ist, wie ich finde, einfach nur bewegend und unbedingt sehenswert.
Wann läuft der Film? Samstag, 11 Uhr, im Kino 2, und Sonntag, 15 Uhr, im Kino 3.
10. Liebenswerter Eigenbrötler: "Alle hater Johan" aus Norwegen und Schweden
Thomas Schulz: Das Spielfilmdebut "Alle hater Johan" des norwegischen Regisseurs Hallvar Witzø ist eine herzenswarme, bisweilen schwarze Komödie über das Leben von Johan, einem Eigenbrötler mit Pferd und Schwäche für Dynamit. Die ländliche Umgebung der Insel Frøya gibt Johan Rückhalt, doch von seinem engstirnigen Umfeld wird er angefeindet. Wir erleben seinen Kampf um Zugehörigkeit und um die scheinbar unerwiderte Liebe zu einem Nachbarsmädchen. Entgegen allen Erwartungen lernen wir ihn als freundlichen und fürsorglichen Mann kennen. Pål Sverre Hagen spielt die Rolle dieses unbeholfenen Riesen mit dem großen Herzen präsent und mitreißend. Eine ungewöhnliche Lebensgeschichte, in der Absurdes und Melancholisches Hand in Hand gehen.
Wann läuft der Film? Freitag, 19 Uhr, im Siebold-Museum; Samstag, 22 Uhr, im Kino 2.
11. Da passt einfach alles: "June Zero" aus den USA und Israel
Julie Barthel: Es ist nie einfach, einen Film einem anderen vorzuziehen, aber "June Zero" ist wirklich etwas Besonderes. Er erzählt die persönliche Geschichte von David, einem aus Libyen eingewanderten Teenager in Israel in den 50er Jahren. Ich kann ihn am besten mit dem Wort vollständig beschreiben. Von Anfang bis Ende sitzt alles, jedes einzelne Detail, perfekt. Es gibt nichts Überflüssiges, keinen verschwendeten Moment. Ich habe Hunderte, vielleicht sogar Tausende guter Filme gesehen, aber meiner bescheidenen Meinung nach nur sehr wenige vollkommen vollständige. "June Zero" ist eine dieser wenigen. Dies ist jedoch nicht überraschend, da sowohl der Regisseur und Drehbuchautor Jake Paltrow als auch der Co-Autor Tom Shoval unabhängig voneinander in der Kinowelt bekannt sind. Zum Abschluss ein bisschen Filmwochenende Trivia: Tom Shoval war Co-Autor des Kurzfilms Aya, auch ein Diamant, den wir im 2013 zeigten.
Wann läuft der Film? Donnerstag, 19.45 Uhr, im Kino 2; Samstag, 17.15 Uhr im Kino 2.
12. Unerschwingliche Flosse: "Mermaids don't cry" aus Österreich
Susanne Bauer: Im Programm haben wir zwei Filme aus Österreich, dem Filmland mit viel Liebe für schrullige Sonderlinge und liebenswerte Gestalten. Einer davon ist "Mermaids don't cry", das Kinodebüt von Regisseurin Franziska Pflaum – eine Komödie mit Tiefgang und tragischen, schrillen und skurrilen Szenen, gespielt von einem wunderbaren Ensemble – allen voran Stefanie Reinsperger als Annika. Die lässt sich von ihrem Umfeld ausnutzen, träumt von einer unerschwinglichen Flosse für ihr Meerjungfrauen-Outfit und gibt ihrem Leben am Ende eine neue Wendung. All das lässt einen vergnügt im Kinosessel zurück. Schön, dass der Film unser Festival eröffnet und die Regisseurin zu Gast ist!
Wann läuft der Film? Donnerstag, 19 Uhr, im Kino 1, Samstag, 21.15, und Sonntag 11.15 Uhr, im Siebold-Museum.
13. I feel good: "Music for Black Pigeons" aus Dänemark
Max Trompeter: "Music is life", sagt Midori Takada in dem Trailer von "Music for Black Pigeons", den ich mindestens schon fünfmal angeschaut habe, bevor ich endlich den ganzen Film sehen konnte. Diese intensive Reise mit den Musikern durch die Welt und in die Magie des Jazz war für mich einer der berauschendsten Dokumentationen 2022. Die Sprache der Musik macht hier die Gefühle für uns erlebbar. Es ist, als käme man mit den Musikern in einer Welt an – ohne Differenzen, Krieg oder Missverständnisse. Mit den ersten Klängen der Musik fühlt man die lebensbejahende Atmosphäre, die zwischen den Musikern entsteht, sobald sie sich aufeinander einlassen. Ich kann nur wie Andrew Cyrille sagen: "I feel good".
Wann läuft der Film? Freitag, 19 Uhr, im Kino 3; Samstag, 12.45 Uhr, im Kino 1.
14. Der Gesang der Pionierinnen: "Sirens" aus den USA und Libanon
Katharina Schulz: Eins gleich vorweg: Man muss kein Fan gitarrenlastiger Musik sein, um sich für diese kleine Filmperle zu begeistern. Das sensible Porträt von Regisseurin Rita Baghdadi ist mehr als eine Musikdoku. Es zeigt junge Frauen – allen voran Lilas und Sherry –, die sich mutig gegen gesellschaftliche Konventionen aufbäumen. Sie gründen die erste Heavy-Metal-Band im Libanon – weltweit weiterhin eine Männerdomäne –, versuchen als Musikerinnen ihren Weg zu finden und zugleich als lesbische Frauen ihre eigene Identität in einem Land zu leben, das die Liebe zwischen Menschen des gleichen Geschlechts strafrechtlich verfolgt. So stark und kämpferisch diese Frauen sind, so zweifelnd und zerbrechlich sind sie. Genau das macht die "Sirens" zu nahbaren Vorbildern und echten Pionierinnen.
Wann läuft der Film? Freitag, 21 Uhr, und Sonntag, 15 Uhr, im Siebold-Museum.