Dass die pompöse Residenz den Titel Weltkulturerbe trägt leuchtet ein. Aber eine schlichte evangelische Kirche aus den 50er Jahren? Tatsächlich könnte die Martin-Luther-Kirche im Frauenland einmal den gleichen Status wie das fürstbischöfliche Schloss erhalten.
Zusammen mit 89 anderen Kirchenbauten, die vom Architekten Otto Bartning in der Nachkriegszeit entworfen wurden, soll die Würzburger Kirche bei der UNESCO als Weltkulturerbe eingetragen werden.
„Diese Kirchen sind ein einzigartiges sakrales Flächendenkmal mit herausragender architektureller, kultureller sowie kirchengeschichtlicher Bedeutung“, begründet die „Otto Bartning Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau“ ihre Initiative. Unterstützt wird sie vom EU-Projekt „Otto Bartning in Europa“, der TU Darmstadt und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Um ihr Anliegen bekannt zu machen, sammeln die Initiatoren nun Unterschriften für die Anerkennung als UNESCO–Weltkulturerbe.
- Online-Unterschriften für die Anerkennung der "Notkirchen" von Otto Bartning als UNESCO-Weltkulturerbe
„Wir sammeln natürlich auch“, sagt Niko Natzschka. Der Pfarrer der Martin-Luther-Gemeinde in der Zeppelinstraße schätzt die architektonische Besonderheit seiner 1949 geweihten Kirche, die 40 baugleiche Schwestern in Deutschland hat, die nächste davon in Nürnberg.
Otto Bartning, Mitbegründer der Bauhausidee, sollte im zerbombten Deutschland den Bedarf an neuen Kirchen decken und entwickelte dafür die Idee einer seriell herstellbaren und kostengünstigen Montagekirche. „Wir pflegen den Kontakt zu den Gemeinden, die baugleiche Kirchen haben“, erzählt Natzschka.
Charakteristisch für die „Notkirchen“ ist ihre offene Holzkonstruktion in ingenieurmäßig sparsamer Ausführung. Vorgefertigt waren Grundelemente wie Empore, Stühle, Fenster und Türen. Vor Ort mussten nur noch die Umfassungsmauern hochgezogen werden – oft aus Trümmersteinen. Bewusst verzichtete Bartning im Innenraum auf künstlerischen Schmuck. Die Holzkonstruktion sollte als „Zelt in der Wüste“ wirken und den Menschen in der Nachkriegszeit Orientierung und Geborgenheit vermitteln.
Das gelingt offenbar auch heute. So beschreibt Pfarrer Natzschka die „warme Wohnzimmer-Atmosphäre des Kirchenraums, in der sich die Menschen sehr wohl fühlen“.
Die Gemeinde verdankt ihre schöne Kirche einem durch ausländische Spenden finanziertem Hilfsprogramm der Evangelischen Kirche. Die Martin-Luther-Gemeinde hatte sich nach 1946 in einer Wehrmachtsbaracke im evangelischen Pfarrgarten versammelt. 1948 begann der Bau der neuen „Notkirche“.
Als Denkmal ist die Martin-Luther-Kirche nicht eingetragen. Sie steht lediglich unter Urheberschutz. „Wir dürfen keine Veränderungen vornehmen“, sagt Natzschka. Dabei wächst seine Gemeinde und damit der Raumbedarf. Neben der architektonischen Bedeutung haben Bartnings Serienkirchen auch eine historische: Sie wurden durch internationale Spenden, hauptsächlich aus den USA, finanziert und sollten ein Zeichen der Versöhnung sein.
„Für das im Krieg zerstörte Würzburg hat der Versöhnungsgedanke eine besondere Bedeutung,“ meint Florian Evenbye, Sprecher des Arbeitskreises Studierende und Arbeitende für Denkmalschutz. Dass nun Bauten des Wiederaufbaus als Weltkulturerbe gewürdigt werden sollen, sei ein weiterer für Würzburg bedeutender Aspekt. Etwas Geduld muss man aber haben: Rund 15 Jahren rechnen die Initiatoren bis zur möglichen Aufnahme als Weltkulturerbe.
Otto Bartning
Der Architekt gilt als Begründer des modernen protestantischen Kirchenbaus. Geboren 1883, erbaute er 150 Kirchen im In- und Ausland, darunter 92 Nachkriegs-Serienkirchen. Bartning begründete das Bauhaus mit und wurde 1926 Direktor der Bauhochschule in Weimar. 1930 musste er auf Druck der Nazis das Amt niederlegen. Nach 1945 wurde Bartning Leiter der Bauabteilung des Evangelischen Hilfswerkes, das mit ausländischer Hilfe zwei Serienkirchenprogramme auflegte. Er starb 1959 in Darmstadt. Mehr Infos: www.otto-bartning.de