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WÜRZBURG: Gastbeitrag von Peter Roos: Nazis, ikeagrün

WÜRZBURG

Gastbeitrag von Peter Roos: Nazis, ikeagrün

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    Soldatenkopf: „Feuer frei“ von Friedrich Roland Watzka. Würzburgs Oberbürgermeister Theodor Memmel erwarb die Skulptur 1942 auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ für 1200 Reichsmark.THOMAS OBERMEIER
    Soldatenkopf: „Feuer frei“ von Friedrich Roland Watzka. Würzburgs Oberbürgermeister Theodor Memmel erwarb die Skulptur 1942 auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ für 1200 Reichsmark.THOMAS OBERMEIER Foto: Foto:

    Bei uns finden Sie Nichts!“, so Dr. Britta Buhlmann, Direktorin der Städtischen Galerie Würzburg. Ich hatte mich für die dort lagernde Kunst der NS-Zeit interessiert. Ich insistiere. Sie: „Huch, das gibt ein Problem!“ Über ein Vierteljahrhundert hat seither diese Institution einschließlich der heutigen Leitung Dr. Marlene Lauter meine Forschungsarbeit zu blockieren versucht. Erst als ich nicht mehr „privat“ frage, sondern im Auftrag der Bayerischen Rundfunks, wird mir widerwillig Zugang gewährt, und unter Aufsicht darf ich Einsicht nehmen in die Archivalien. Ich werde fündig. Und wie!

    Ab 1985 publiziere ich in allen Formen, die einem Schriftsteller zu Gebote stehen, über Malerei und Nazi-Macht. Der Fokus liegt auf Franken. Grund ist Gradl, Hermann, großer Sohn Marktheidenfelds, mein Wohnort; Gradl, der Ehrenbürger, Straßenpate, Lieblingslandschaftsmaler Adolf Hitlers.

    Würzburg besitzt, versteckt und versteckte Vieles. So auch die messinghochglänzende Gradl-Büste mit Hitler-Bürste, und wieder nur unter Aufsicht dürfen mein Fotograf und ich das nazistische Artefakt in Augenschein nehmen.

    „Würzburg besitzt, versteckt und versteckte Vieles.“

    Reportagen, Interviews, Essays, eine Streitschrift, das Theaterstück „Der Mitläufer und Ich“ am Staatstheater Nürnberg, Gastspiel am Stadttheater Würzburg, der 378 Seiten starke Roman einer Krankheit mit dem Titel „Hitler Lieben“, davon 212 faktensatte Seiten über Gradl. Können die Strahler eines solchen Flutlichts übersehen werden? Ja natürlich, wenn man will.

    „Ob wir wohl zusammen das braune Archiv Ihres Kulturspeichers kapern & eine Ausstellung auf die Beine bringen?“, frage ich 2009 schriftlich Dr. Gert Fricke, 1. Freund des Freundeskreises Kulturspeicher.

    Schicke ihm mein Gradl-Buch. Er, schriftlich: „Indexverdächtiges Opus, spannend wie ein Krimi!“ Mündlich: „Mit Ihnen kann man sich ja in Würzburg nicht auf der Straße sehen lassen!“ Eine Hebung des braunen Horts lehnt er kategorisch ab. Wie seine Freunde: „Keine schlafenden Hunde wecken!“ und „Nicht dran rühren!“ und „Die braune Kacke einfach verkoofen!“ und „Belasten Sie damit nicht unsere Frau Doktor Lauter!“

    Kenne ich diese Töne nicht?

    Bin ich nicht der „Nestbeschmutzer“, dessen gesamte Arbeit begleitet ist von Telefonterror, Brand- und Morddrohung, Kondom über der Autoantenne, Kot und Monatsbinden im Briefkasten, Hakenkreuz auf der Haustreppe. Bin ich nicht der schwule Kommunist, der mit seinen DDR-Akten doch in die Ostzone zurück soll. Und im „Bräustüble“ nach dem Stadtrat diskutieren einige Väter ein Schreibverbot für den unbotmäßigen Marktheidenfelder.

    2010 im städtischen Magazin „KulturGut“ meine Frage: „Gibt es hitlerbeschattete Bunker in der Städtischen Galerie Würzburg?“ Referent Al Ghusain: „Das gibt Ärger!“

    Und jetzt diese Ausstellung.

    2013.

    Ein Konkurs.

    Auf Schritt und Blick spürt der Betrachter:

    Hier geht es nicht um die längst überfällige Selbstreinigung einer Kultur-Institution. Die ist höchst verstrickt, eine genuine NS-Gründung. Sie ist alimentiert von uns Allen aus unseren Steuergeldern. Und ihre Direktorien haben es seit Jahrzehnten bewußt hintertrieben, reinen Tisch zu machen.

    Lieber macht man sich zum Gespött der internationalen Museums-Branche, als die längst branchenübliche Entnazifizierung des eigenen Hauses endlich anzugehen.

    In „Tradition & Propaganda“ ist kein kunstpolitischer Kurs zu erkennen, kein existenzielles Engagement. Die Haltung hier heißt: Pflicht-Übung und Dienst-Erfüllung, denn der Auftrag kommt von Oben. Der Exhibitions-Geist hangelt sich von Haken zu Haken, antinazelt von Artefakt zu Artefakt, und es wird halbgar herumgefränkelt von Plastikfaden zu Plastikfaden, als wären hier heimische Ehrenrettungen von Nöten. Verräterisch genug schon die Sprache der Bild-Legenden, die sich winden durch zahllose „fast“, „wohl“, „ähnlich“, „vermutlich“, „möglicherweise“ und „vorwiegend“, die einen Gauleiter als „ambitioniert“ bezeichnen, einen Gradl als „stark protegiert“, einen Gradl, der verkauft an „hochrangige Funktionäre, darunter auch Hitler selbst“: Hitler – „Funktionär“?

    Genauso schlecht gedacht wie der beständig wiederkehrende Begriff „Erfolg“ benutzt wird, als sei NS-„Erfolg“ eine neutrale Kategorie, an der kein Blut klebt. Genauso denkfaul und kunsthistorisch unter Niveau, wie einem Künstlertum im Hitlerismus gehuldigt wird ohne Ansehung von Elitenvertreibung, Liquidation der jüdischen Konkurrenz, Kunst-Markt, des Geschäfts-Kontinuums der „Entnazifizierten“ bis weit in die 1950er Jahre, als man in Würzburg noch das braune Winzermännle Rother ankaufte. Als man ein Gradyllen-Erbe annahm von dem Hofmaler, dessen artgerechte Kunstkarriere der Diktator persönlich gestartet hat.

    Und von wegen „Bei uns finden Sie Nichts!“, Frau Dr. Buhlmann!

    Wieder weben die Bildlegenden ihre eigenen Legenden: Gradls besitzt man „in großer Zahl“, Rothers in „großen Teilen“, an Drehers „mehrere Arbeiten“. Ganz offensichtlich kann man hier aus dem Vollsten eines unheiligen Horts schöpfen – aber warum werden unverändert weiterhin immer noch die konkreten Zahlen der Bestände verschwiegen? Warum zeigt man nicht endlich die Gradl-Kartei-Karten, auf denen schön fein und ausradierfähig mit Blei vermerkt steht, wo was bei wem hängt, was verschwunden ist, was verkauft, getauscht wurde?

    „Das Ausstellungsdesign gaukelt Frische und Reinheit vor.“

    Wo bleibt die handschriftliche hauseigene, unverhohlen nazistische Autobiographie Gradls, in der er wettert gegen Maler, die „grauenvolle abstrakte Kunst verzapfen“? Mühsam entziffert werden müßte diese kompromittierende Archivalie nicht: die Sekretärin des Galeriegründers Dikreiter hat sie eigenhändig abgetippt. Und warum hat man nicht beschafft die Entnazifizierungsakten der beiden Herren?

    Und immer wieder der Sommerhäuser Carl Grossberg – wirklich das unpolitische neusachliche Würzburger Alibi? War er nicht seit 1933 verbündet mit dem System? 1933, als er seinen Zyklus „Industrieplan“ erdachte, 1934 mit 45x12m Wandgemälde bei „Deutsches Volk – Deutsche Arbeit“ vertreten, 1935 Essener Folkwang-Retro, 1939 als Besatzungsoffizier nach Polen befohlen.

    Kein Wort davon bei Lauters.

    Ist das Selbstreinigung?

    Ausschließlich das Ausstellungsdesign gaukelt Frische und Reinheit vor: Nazis, apfelmint-ikeagrün. Moralisch rücksichtslos wird der modische Effet von poppigem peppermint über Nutzen und Anliegen des Auftrags gestellt.

    Nicht liegen auf dem Pfefferminztisch fürs wißbegierige Publikum natürlich die Schriften und Befunde des Nestbeschmutzers, was diesen wissend lächeln läßt: der Kulturspeicher als Trittbrettfahrer, als Profiteur von ungenannter Arbeit anderer. Nicht verzeichnet solche Arbeit anderer natürlich auch der Katalog. Schamlos enthüllt das Feigenblatt eines Drittel-Fußnötchens den Versuch, einen Kritiker zu liquidieren.

    Dafür darf der 1. Freund der Galerie sein Gesicht in die Main-Post-Kamera halten; vor dem fränkischen „Winzermädchen“ des Nazi-Kunstfunktionärs Fritz Mertens dilettiert der erprobte Oenologe und Pädiater Dr. Fricke: „Das ist eine überfällige Ausstellung. So etwas gehört ins Depot. Dankbar bin ich dem Freundeskreis, daß er von Anbeginn an bereit war, dieses Projekt finanziell zu unterstützen“.

    Hört! Hört!

    Was auch der Politur sozialdemokratischer Eitelkeiten in Würzburg dienen sollte, ist ein kunstpolitischer Dilettantismus an der Untergrenze des Mindestmöglichen.

    Der Kulturtempel zeigt nur eine klare Kante: bestmögliches Lavieren und Vermeiden.

    Oberstes Ziel ist Schadensbegrenzung.

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