In Artikel 3 listet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 die Gruppen auf, die im Dritten Reich Opfer von Diskriminierung und Verfolgung geworden waren. Eine Gruppe fehlt: Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben. Für Axel Hochrein, Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland, ist dies kein Zufall: „Für die Schwulen in Deutschland bedeutete der Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht das Ende ihrer strafrechtlichen Verfolgung und gesellschaftlichen Ausgrenzung“, sagte Hochrein am Mittwochabend im Bockshorn. Dort fand anlässlich der 17. Würzburger Stolpersteinverlegung die Gedenkveranstaltung für die Opfer der NS-Diktatur statt.
Der Mitveranstalter des Abends, das Schwul-Lesbische Zentrum Würzburg (WuF) gehört von Beginn an zu den Trägern des Arbeitskreises Stolpersteine. Einer der ersten messingüberzogenen Gedenksteine, die Künstler Gunter Demnig 2006 in Würzburg verlegte, galt dem jüdischen Weinhändler Leopold Obermayer, den auch die Schweizer Staatsbürgerschaft nicht vor Verurteilung wegen „widernatürlicher Unzucht“ und Einlieferung ins Konzentrationslager bewahrte, wo er 1943 starb. Ein Schicksal, das er mit etwa 50 000 Homosexuellen teilte, von denen die Hälfte das KZ nicht überlebte.
Diskriminierung ging weiter
Nach den gleichen Gesetzen, gegen die der selbstbewusste Kaufmann in zahlreichen Briefen und Beschwerden an die deutschen, aber auch Schweizer Behörden angekämpft hatte und seine Würde zu verteidigen versuchte, sprachen die Richter auch nach Kriegsende Recht. Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches blieb unverändert gültig. Axel Hochrein erkennt sogar eine neue Welle der Diskriminierung nach dem Krieg: Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1959 verurteilten deutsche Gerichte mehr als 3500 Männer. Insgesamt waren es etwa 45000 Homosexuelle, die in den ersten 15 Jahren einen Urteilsspruch erhielten, viermal so viele wie in der Weimarer Republik. Die „erbarmungslose Verfolgung“ und soziale Ausgrenzung Homosexueller habe, so Hochrein, nicht wenige in den Tod getrieben.
Noch 1957 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass die Urteile nicht gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes verstoßen. Vielmehr heißt es in der Begründung: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.“ Als Maßstab für sittliches Verhalten galt den Richtern die Lehre der beiden großen christlichen Konfessionen. Hochrein hält dies für ein Musterbeispiel „vorurteilsbeladener Rechtsprechung“. Es war die Zeit, als Frauen die Zustimmung des Mannes zu einem Arbeitsvertrag oder Führerschein brauchten und unehelicher Sex pauschal als „unsittlich“ galt.
Zeitgeist dreht sich nur langsam
Selbst auf dem 1968 in Dachau eröffneten Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus fehlen die rosa Winkel, mit denen die Nationalsozialisten homosexuelle Häftlinge brandmarkten. Eine Wende brachte erst die sexuelle Revolution 1968/69. Dennoch dauerte es bis 1994, bis der Paragraf 175 ersatzlos gestrichen wurde.
Auch in Würzburg hat sich seither der Zeitgeist gedreht: Seit 2008 ist der Trausaal im städtischen Rathaus auch gleichgeschlechtlichen Paaren geöffnet und auch wertkonservative Oberbürgermeister haben ihre Kontaktängste verloren und übernehmen Schirmherrschaften für den Würzburger Christopher Street Day. Doch noch fehlen, findet Axel Hochrein, entscheidende Schritte zu einer echten Gleichstellung Homosexueller: Mit seinem Verband kämpft er gegen eine Unterscheidung von Ehe und Lebenspartnerschaft und für eine Änderung von Artikel 3. Vor allem jedoch möchte er eine Anerkennung der Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahre allein dafür, dass sie „anders empfanden und anders liebten“ von den Gerichten verurteilt wurden.