Wenn Generaloberin Katharina Ganz über das Schlösschen im Kloster Oberzell spricht, tut sie das mit viel Respekt. Dabei bildet der Bau, elegant auf der Klostermauer überm Main thronend, nur ein Mosaiksteinchen der prächtigen Anlage. Doch das Schlösschen bedeutet den Oberzeller Franziskanerinnen viel. Ganz nennt es „die Wiege unserer Gemeinschaft“. Und die wurde standesgemäß herausgeputzt.
Simon Gößmann vom Architekturbüro Staib + Wiener hat sich von Berufs wegen intensiv mit dem Schlösschen beschäftigt. Er weiß: In dem Gebäude steckt mehr, als der erste Blick vermuten lässt.
Klar, der achteckige Grundriss, die helle glatte Putzfassade und die vielen Fenster ziehen die Blicke schon auf sich. Doch das Schlösschen steht abseits, von der Straße her verstellt durch Haus Klara und vom Main aus gesehen überlagert von der barocken Klosterkirche und dem Klosterbau aus dem 18. Jahrhundert.
Das Schlösschen ist etwas seltenes. Es gehört in die Epoche des Klassizismus, genauer in die Unterform der „Revolutionsarchitektur“.
Klassizistische Gebäude existieren in Unterfranken nur wenige; solche in Revolutionsarchitektur sind noch rarer. Das Schlösschen stammt vom Architekten Peter Speeth. Er zeichnet laut Gößmann für zwei weitere Schöpfungen in Würzburg verantwortlich – das Jugendkulturhaus Cairo, früheres Frauenzuchthaus am Burkarder Tor. Und für das tempelartige Zollhaus am Zeller Tor, am Gelände der Landesgartenschau, heute orthodoxes Gemeindezentrum.
Das Schlösschen glänzt also mit seltener Architektur. Aber auch mit einer außergewöhnlichen Geschichte. Es entstand 1812/13 als weltlicher Bau – mitten auf einem Gelände, das über Jahrhunderte religiösen Zwecken gewidmet war. Doch zu seiner Entstehungszeit hatte die von Napoleon durchgesetzte Säkularisation das seit dem 12. Jahrhundert bestehende klösterliche Leben auf dem Gelände längst hinweggefegt.
Weiteres Kuriosum der Geschichte: Bauherr war Joel Jakob Hirsch (1789 bis 1876), ein Jude. Der Bankier ließ sich das Schlösschen als Sommerresidenz errichten.
„Das Schlösschen ist die Wiege unserer Gemeinschaft.“
Katharina Ganz Generaloberin
42 Jahre später – 1855 – erlangte das Gebäude die Bedeutung, auf die Generaloberin Katharina Ganz so stolz ist. Die Würzburgerin Antonia Werr (1813 bis 1868) gründete dort eine „Anstalt für Mädchen und Frauen in Not“. Aus dieser entsprang die Kongregation der heiligen Kindheit Jesu vom Dritten Orden des heiligen Franziskus, kurz die Oberzeller Franziskanerinnen.
Damals ratterten in Kirche und Klosterbauten Maschinen von Koenig & Bauer. Erst als die Firma jenseits des Mains neue Gebäude bezog, wurde die Anlage wieder komplett kirchlich. Die Gemeinschaft erwarb sie 1901.
Den Franziskanerinnen diente das Schlösschen in den vergangenen Jahrzehnten als Wohnhaus. Um 1970 wurde es umfangreich saniert, im Obergeschoss Wände eingezogen, Decken abgehängt, Türen verlegt, neue Fußbodenbeläge eingebaut und Raufasertapete geklebt. Dachdecker setzten ein neues Dach auf. Die Fassade wurde teils verändert, Fenster zugemauert, Gesimse abgeschlagen und überputzt.
Vielleicht trugen diese Sanierung und der damit verbundene recht gute Zustand schuld daran, dass das Schlösschen bei der grundlegenden Erneuerung der Klosteranlage ab 2003 hintenan gestellt wurde. Zusammen mit dem Antonia-Werr-Saal bildet es eines der letzten Sanierungsprojekte.
Allerdings kam das schneller als von manchem gedacht. Bei der Sanierung von Haus Klara von 2010 bis 2012 mussten dessen sanitäre Einrichtungen und Zuleitungen erneuert werden. Wasserrohrbrüche wegen verkalkter Leitungen hatten einfach überhand genommen.
Die Leitungen zum Schlösschen hin wurden gleich mitausgetauscht. Und das Gebäude das ganze Jahr 2013 hindurch saniert. Moderne Haustechnik hielt Einzug, gleichzeitig der historische Bestand möglichst erhalten. Renovierungssünden der 1970er-Jahre versuchte man, so gut es geht zu reparieren.
575 000 Euro hat das laut Gößmann gekostet. Wobei die Schwestern 400 000 Euro an Eigenkapital und -leistungen einbrachten. Geld floss auch von Staat und Stiftungen.
Nun thront das Schlösschen elegant auf der Klostermauer über dem Main. Dennoch soll es laut Ganz nie mehr als Wohnhaus werden. Das scheint der Bescheidenheit der Franziskanerinnen angemessen.