Vor sieben Jahren war die Würzburgerin Franziska Liebhardt fast schon tot. Wegen einer unheilbaren Autoimmunkrankheit versagte ihre Lunge. Die beiden Flügel waren verschrumpelt und winzig geworden, hart und vernarbt. Gehen, essen, atmen – all das ging wegen ihrer Lungenfibrose nicht mehr. Die 27–Jährige lag in der Medizinischen Hochschule Hannover, dem größten Transplantationszentrum Deutschlands, wurde in ein künstliches Koma versetzt, dachte: Das war es jetzt. Doch in buchstäblich letzter Sekunde erhielt sie 2009 – nach über drei Wochen künstlicher Beatmung auf der Intensivstation – ein Spenderorgan. In sechs Stunden entfernten die Ärzte erst den einen Lungenflügel, während Liebhardt über den anderen beatmet wurde, dann umgekehrt. Dann das erste Mal atmen ohne Sauerstoffgerät: „Ich habe Rotz und Wasser geheult“, erinnert sie sich.
Medaillenchancen bei den Paralympics
Sieben Jahre später hat Liebhardt das geschafft, was ihre Ärzte und viele andere für undenkbar hielten. Bei den Paralympics geht die 34-Jährige mit Medaillenchancen an den Start. An diesem Donnerstag beginnen in Rio die Leichtathletik-Wettbewerbe, sie selbst ist zum ersten Mal am Dienstag beim Kugelstoßen dran. „Jetzt bin ich hier – und total happy“, sagte sie bei einer Pressekonferenz im Deutschen Haus. „Auf mich strömen gerade total viele neue Eindrücke ein.“
Noch vor zwei Jahren wollte Liebhardt nur in Rio dabei sein – jetzt will sie auch aufs Treppchen. „Das ging wie im Zeitraffer. Ich will zeigen, dass ich ganz vorne mitmischen kann“, sagt die frühere Volleyballerin, die innerhalb von nur zwei Jahren zur weltbesten Kugelstoßerin ihrer Klasse wurde: Weltrekord mit 13,82 Metern. Die Europameisterin und WM-Zweite, die seit Herbst 2014 bei der früheren Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius in Leverkusen trainiert, startet auch noch im Weitsprung.
2006 die erschütternde Diagnose
Bis vor zehn Jahren verlief das Leben von Franziska Liebhardt völlig normal. Sport, Freunde, Reisen, Arbeit. Dann, aus dem Nichts, die erschütternde und alles verändernde Diagnose: Kollagenose, ihr Körper wandelt gesunde Zellen in nutzloses Bindegewebe um. Die Ärzte geben ihr noch zehn Jahre. Nach dem ersten Schock nimmt sie ihr Schicksal an, kämpft, will leben, ihre restliche Zeit so intensiv es nur geht nutzen. Ihre Familie unterstützt die Kinderphysiotheraupetin.
„Ich war vor der Lungentransplantation so gut wie tot, es war wirklich in letzter Minute“, sagt Franziska Liebhardt. Der Eingriff gelingt, ihr Körper nimmt das Organ an. Ihr erster Gedanke: „Ich kann atmen, ich kann wieder Sport machen.“ Die Ärzte schauen sie ungläubig an: Sport? Ein bisschen vielleicht. Leistungssport? Auf keinen Fall. Aber Franziska Liebhardt denkt: „Denen zeige ich's.“
Schon nach drei Wochen sitzt Liebhardt in der Reha auf dem Fahrrad-Ergometer, beginnt zu trainieren. Nach einem halben Jahr darf sie mit Leichtathletik anfangen. Sie geht zur Turngemeinde Würzburg, übt viermal wöchentlich mit ihren Trainern Harry und Jutta Büttner, wird immer besser.
Doch 2010 erleidet sie einen Schlaganfall, hat als Folge dessen eine Halbseitenspastik. Sie könnte nun bei den Behindertensportlern starten, nimmt aber zunächst nur an Wettbewerben für Transplantierte teil – und gewinnt 2011 bei den Weltmeisterschaften in Schweden Gold im 100-m-Sprint, im Weitsprung und im Kugelstoßen.
2010 versagen die Nieren
2012 der nächste Schicksalsschlag. Jetzt versagen die Nieren. Eine Lebendspende ihres Vaters rettet sie. Erst will sie das „Geschenk“ nicht annehmen, aber über die Transplantationsliste hätte es viel zu lange gedauert. Acht bis zehn Jahre Dialyse, das hätte ihre Lunge nicht mitgemacht. Sie sagt zu, alles geht gut.
2013 wechselt Liebhardt in den paralympischen Sport. Nach dem Gewinn zahlreicher Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften der Organtransplantierten sucht sie eine neue Herausforderung. Den Transplantierten-Sport empfindet sie als zu wenig leistungsorientiert. Sie trainiert zunächst weiter bei der TG Würzburg, wechselt im Herbst 2014 aber nach Leverkusen – als Profisportlerin. „Ein absolut richtiger Schritt“, sagt TGW-Leichtathletik-Abteilungsleiter Alfred Langenbrunner, „dort findet sie optimale Bedingungen vor, ein professionelles Umfeld und mit Steffi Nerius eine Top-Trainerin.“
Als Folge der Organspenden muss Liebhardt aber lebenslang Medikamente nehmen, damit der Körper die fremden Organe nicht abstößt. Sie schluckt 42 Tabletten, jeden Tag. Die sind hochgiftig, wie sie sagt, führen zu gravierenden Nebenwirkungen und schwächen erheblich die Immunabwehr. Zudem bleiben nach der Operation Teilfunktionsstörungen der Organe bestehen.
Liebhardt: „Nach Rio ist Schluss“
Franziska Liebhardt saugt das Leben trotzdem auf, sie will die begrenzte Zeit mit allem füllen, was möglich ist. „Nach Rio ist Schluss“, sagt die 34-Jährige. Dann wird sie von Leverkusen wieder in ihre Wohnung in der Würzburger Sanderau ziehen, ein wenig Freizeitsport treiben und sich vor allem um ein Herzensthema kümmern: der Organspende. Die Bühne Rio will sie nutzen, um darauf aufmerksam zu machen. „In Deutschland ist dieses Thema eher negativ behaftet. Das muss sich ändern!“