Über das Leben und die „grandiose Leistung“ des pfälzisch-bayerischen Kurfürsten Carl Theodor (1724-1799) und dessen Bedeutung für die kulturelle, wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung seiner Territorien, ab 1778 auch des damaligen „Armenhauses Kurbayern“, berichtete kürzlich der Autor und Dokumentarfilmer Bernhard Graf (63). Buchhändlerin Claudia Bollenbacher (Buchhandlung „seitenweise“) hatte den promovierten Historiker anlässlich seiner zum 300. Geburtstag des Kurfürsten im Vorjahr veröffentlichten Biografie „Kurfürst Carl Theodor von Pfalz-Bayern. Musiker, Mäzen und Reformer“ eingeladen. Dicht gedrängt lauschten 30 Gäste über zwei Stunden lang dem Vortrag des Historikers, der mit seinem unerschöpflichen Wissensfundus über den Kurfürsten, unterstützt durch eine beeindruckende Dia-Schau, seine Zuhörer fesselte.
Zur Vorbereitung seines Dokumentarfilms „Kurfürst Carl Theodor zu Pfalz-Bayern. Des Glückes Wunder“ für das Bayerische Fernsehen (April 2024) hatte er alle Originalschauplätze, Schlösser, Bauwerke und Parkanlagen, die im Leben des Kurfürsten eine Rolle gespielt hatten, persönlich besucht und vor Ort sowie in Archiven die dazu verfügbaren Originaldokumente studiert. So hatte er feststellen können, dass das an Carl Theodors Grabmal in der Münchner Theatertinerkirche genannte Geburtsdatum des 11. Dezember 1724 nachweislich falsch ist, da der originale Eintrag der Taufe bereits den 10. Dezember nennt.
Geboren wurde der spätere „Herrscher über sieben Länder“ auf Schloss Drogenbos bei Brüssel, dem Schloss seiner Urgroßmutter, wo er auch nach dem frühen Tod beider Eltern aufwuchs. Graf: „Die Eindrücke am damaligen Welthandelsplatz Brüssel haben sein späteres Leben geprägt.“
Als Vierjähriger erbte er bereits von der Mutter die Markgrafschaft von Bergen op Zoom in den heutigen Niederlanden, im Alter von zehn Jahren wurde er nach dem Tod seines Vaters Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Sulzbach, wurde seitdem in Mannheim von Jesuiten zum „aufblühenden Landesherrn“ erzogen und auf die Aufgabe als künftiger Kurfürst über sechs Territorien vorbereitet, die er dann kaum volljährig am Neujahrstag 1743 „unter schwersten Bedingungen“ übernahm. Seit 1740 tobte der österreichische Erbfolgekrieg (bis 1748) und auch unter den Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) hatte das Kurfürstentum zu leiden.
„Doch Krieg und Revolution waren nicht Carl Theodors Welt“, erzählte Graf. „Er hat seine Territorien immer aus Kriegen herausgehalten, obwohl er kaum Friedenszeiten erlebt hat.“ Stattdessen liebte der Kurfürst die Musik, spielte selbst die Traversflöte, förderte Künste und Wissenschaft und machte seine Residenz Mannheim zu einem Kulturzentrum europäischen Ranges. Mozarts Vater Leopold lobte die Mannheimer Hofkapelle als bestes Orchester Deutschlands.
Carl Theodor holte nicht nur Künstler und Wissenschaftler aller Sparten an seinen Hof, sondern schickte sie auf seine Kosten zur Weiterbildung ins Ausland. Dank einer solchen „Weiterbildungsmaßnahme“ beim englischen Gartenbauer Alexander Pope gestaltete des Kurfürsten Unterhofgärtner Friedrich Ludwig Sckell in der Sommerresidenz Schwetzingen den ersten Landschaftsgarten auf deutschem Boden.
Nicht zuletzt war der Kurfürst ein beispielloser Wirtschafts- und Sozialreformer, wobei er ebenfalls innovative Ideen des Auslands in seinem Kurfürstentum umsetzen ließ und in Industrien wie Porzellan- und Seidenmanufakturen investierte. Unter seiner Regentschaft stiegen Mannheim und Schwetzingen zum Zentrum des europäischen Barock auf.
Entsprechend groß war Carl Theodors Entsetzen, als er im Dezember 1777 das rückständige, völlig verarmte und verschuldete Kurfürstentum Bayern erbte und sogar vertragsbedingt seine Residenz nach München verlegen musste. „Jetzt sind meine guten Tage vorbei“, soll Carl Theodor ausgerufen haben. „Das Kurfürstentum hatte Schulden in Höhe von 28 Millionen Gulden“, nannte Historiker Graf als einen Grund und ergänzte: „München hatte damals 40.000 Einwohner, davon 1200 Bettler.“
Mehrfach versuchte Carl Theodor, Bayern beim Kaiser gegen die österreichischen Niederlande, wo der Kurfürst seine Kindheit verbracht hatte, einzutauschen. Als ihm dies nicht gelang, machte er sich daran, auch Bayern zu reformieren, Wirtschaft und Sozialwesen zu verbessern und die Schulden abzubauen.
Neben anderen Wohltaten für die Bevölkerung ist ihm der Englische Garten als öffentlich zugänglicher Volksgarten zu verdanken. Für die Münchner Bettler ließ er ein Arbeitshaus errichten, zahlte ihnen für ihre nutzbringende Arbeit einen anständigen Lohn und versorgte auch ihre Familien.
„Wenn Sie heute alles abziehen, was Carl Theodor an Innovationen eingebracht hat, dann bleibt nicht mehr viel Neues übrig“, schloss Bernhard Graf seinen Vortrag und stellte sogar die These auf: „Wenn er damals in Frankreich regiert hätte, wäre es vielleicht nie zur Französischen Revolution gekommen.“