Als David sieben Jahre alt war, fragte er: «Wie kommt denn das Baby in den Bauch?» Seine Mutter war gerade etwas im Stress, wie sie sich erinnert, beim Aussteigen aus dem Auto, auf dem Weg zu einem Termin. Sie sagte: «Da sprechen wir heute Abend drüber.» Doch dazu kam es nicht mehr. «Wir haben das Thema, offen gestanden, nicht mehr aufgegriffen, weil natürlich auch eine Verunsicherung bei uns herrscht.»
Die Fragen seien schlicht: «Wie kommuniziere ich das kindgerecht? Inwieweit gehe ich da ins Detail? Wie sachlich mache ich das? Überfordere ich das Kind?» Wie Anja Maier (Name geändert) aus Stuttgart geht es vielen Eltern. Experten sehen generell eine Verunsicherung bei Müttern und Vätern darin, wann und wie sie ihre Kinder aufklären sollen.
Mütter klären eher auf als Väter
Ein relativ großer Teil der Eltern spielt letztlich keine größere Rolle bei der Aufklärung des eigenen Nachwuchses. Laut Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und sexuelle Bildung an der Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt, sagen nur rund 40 Prozent der Mädchen, dass die Mutter stark oder sehr stark zur Sexualaufklärung beigetragen hat. Bei den Jungen sind es nur 20 Prozent - und mit 15 bis 20 Prozent noch weniger in Bezug auf den Vater.
Das ergab eine Studie seiner Hochschule, die bereits vor vier Jahren 861 Personen dazu befragt hatte. Doch was raten Experten, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen?
Nicht zu lange warten mit sexueller Bildung
Experte Voß hält es für entscheidend, dass Eltern mit der sexuellen Bildung nicht früh genug anfangen können. «Im Prinzip von Geburt an ist eigentlich das Thema Sexualität, Körper, auch Geschlecht jeweils schon Thema.» So sei es etwa wichtig, dass Eltern bei der sonst so liebevollen Körperpflege dann nicht anfangen, den Genitalbereich nachlässig zu reinigen.
Stattdessen sollten Kinder von Anfang an lernen, dass auch ein Genital durchaus wichtig sei. Nur, weil es etwa bei der Reinigung auch mal berührt werde, bedeute das nicht, dass gleich Sexualität eine Rolle spiele. «Sondern es ist einfach auch ein körperliches Merkmal», stellt der Experte klar.
Und für ihn ist es ebenfalls entscheidend, Geschlechtsteile auch zu benennen. Das können dabei sowohl Kosenamen sein, als auch die korrekten Bezeichnungen Penis und Vulva oder Scheide. Hauptsache, die Begriffe werden benannt. «Also sollte man eben nicht sagen, dass die einen - Jungen - haben da was und die anderen - Mädchen - haben da nichts», erklärt Voß.
Eltern sollen Ansprechpartner sein
Anja Maier und ihrem Mann war es immer wichtig, ihren beiden Söhnen die korrekten Bezeichnungen für die Genitalien mitzugeben - auch mit Blick auf mögliche sexuelle Übergriffe. «Es geht darum, dass das Kind dann halt tatsächlich auch benennen kann, was passiert ist.»
Biologe Voß betont: «Ich möchte am Ende, dass die Eltern lernen, mit ihrem Kind über Sexualität zu sprechen.» Dies sei wichtig sowohl bei positiven Erfahrungen, als auch mit Blick auf gesundheitliche Folgen, wenn beispielsweise etwas geschieht. Er denkt da ebenfalls an Übergriffe: «Dann brauchen ja Kinder auch eine Ansprechperson.»
Mit den Fragen der Kinder mitwachsen
Katharina Böhmer-Kastens von der Beratungsstelle Pro Familia aus Freiburg empfiehlt Eltern, sich bei der sexuellen Bildung am Tempo und Interesse der Kinder zu orientieren: «Mit den Fragen der Kinder quasi mitzuwachsen und mitzugehen und sie da an die Hand zu nehmen.» Das fange schon bei Kleinkindern an.
Wenn die Kinder dann Fragen stellten, wie: «Wie kommt denn das Baby in den Bauch?» Dann sollten die Eltern nicht ausschweifend erzählen. «Die Empfehlung ist, immer kurz und knapp zu antworten» - und dann zu schauen: «Kommt da jetzt noch mehr?»
Kurze Antworten geben und abwarten
Bei der Frage nach dem Baby im Bauch, könne man bei kleinen Kindern sagen: «Wenn zwei Menschen sich lieben, kann ein Kind entstehen.» Manchen Kindern reiche das schon. Manche wollten es dann genauer wissen und sagten vielleicht: «Ich lieb doch meinen Bruder auch, und dann entsteht doch kein Kind.» Dann könne man weitergehen, erklären, wer überhaupt ein Liebespaar werden kann und etwa sagen: «Für ein Kind braucht man eine Samenzelle und eine Eizelle - wenn die aufeinandertreffen, dann kann ein Kind entstehen.»
Es gebe natürlich auch die Strategie zu sagen: «Ich finde jetzt, mein Kind sollte ein bisschen was darüber wissen.» Zum Beispiel stehe beim Grundschulkind die Sexualaufklärung in der vierten Klasse an. Dann könnten Eltern sagen: Lass uns davor schon mal ein wenig über das Thema sprechen.
Artikel oder Bücher zum Thema neben Toilette legen
«Wenn man mit der sexuellen Bildung wartet, dann wird es immer schwieriger, weil die Kinder immer mehr auch in so ein Schambewusstsein reinwachsen», sagt Böhmer-Kastens. Und dann denkt das Kind: «Erst jetzt kommt die Mama und spricht mit mir darüber. Ich will gar nicht mehr.»
Bei Jugendlichen könne es beispielsweise auch gut funktionieren, wenn Eltern in Anwesenheit ihrer Kinder am Küchentisch über Themen sprechen. «Ich habe gerade eine neue Studie gelesen, Jugendliche gucken total viele Pornos. Jetzt habe ich mich gefragt: 'Wie war das denn damals bei uns gewesen?'», schlägt Böhmer-Kastens vor. Das normalisiere das Sprechen über Sexualität.
Auch eine indirekte Variante hält die Beraterin für möglich. So könnten Eltern Bücher oder Artikel zum Thema neben die Toilette legen: «Alle sitzen da mindestens fünf Minuten mehrmals am Tag drauf. Dann greift man sich das und guckt da mal rein.»
Aufklärung als Schutz
Zur Sorge, die Kinder mit sexueller Bildung zu überfordern, sagt Michael Hummert vom Institut für Sexualpädagogik in Witten: «Die Frage, was Kinder verunsichert oder nicht, stellen wir uns an den allermeisten Stellen gar nicht.» Etwa, ob der Begriff «Tyrannosaurus rex» als lateinischer Fachausdruck für eine ausgestorbene Tierart zu kompliziert für Kinder sei. «Klitoris ist noch leichter, und trotzdem sagen wir das nicht», so der Sexualpädagoge.
Auch das Thema sexuelle Gewalt umschiffen Eltern gerne, weil sie glauben, dass könne Kinder überfordern. Aber für Hummert geht es gerade darum, die Kinder mit ihren Gefühlen und Gedanken zu begleiten: «Das Thema ist einer der Gründe, warum möglichst früh Aufklärung gemacht werden muss.» Je früher die Kinder Hummert zufolge wüssten, was zwischen Kindern und Kindern sowie zwischen Kindern und Erwachsenen erlaubt sei, desto besser.
Kinder sollen lernen, Grenzen zu ziehen
Auch Mutter Anja Maier aus Stuttgart ist bei sexueller Bildung besonders wichtig, dass ihre Jungen lernen, dass es Grenzen gibt. Dass die Kinder dann auch «Stopp» sagen könnten - und «dass man nicht alles mitmachen muss».
Bei der 44-Jährigen gibt es aktuell im Bekanntenkreis mehrere Schwangerschaften. Vielleicht ein Anlass, das Thema mit dem Baby im Bauch noch mal aufzugreifen, wie sie selbst sagt. «Ich habe mir schon überlegt, gerade bei unserem älteren Sohn dann ein bisschen mehr zu erzählen.»

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