Seit der Hungersnot in den Jahren 1816 und 1817 hatte der Kartoffelanbau am Obermain erheblich zugenommen und um 1850 die Anbaufläche des Weizens erreicht. Im 21. Jahrhundert spielt er nur noch eine verschwindend geringe Rolle. Auf Nachfrage beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wurde mitgeteilt, dass aktuell der Kartoffelanbau nur 0,2 Prozent der Ackerfläche im Landkreis Lichtenfels betrifft. Vor einigen Jahrzehnten konnten wir von Mitte September bis Anfang Oktober viele Menschen auf den Kartoffelfeldern in den Aldenkuschder Fluren sehen. Aber jetzt finden wir nur noch vereinzelt Nebenerwerbslandwirte oder Hobbygärtner, die in ihren Gärten Kartoffeln ernten.
Eingeschnittene Klöß
Nach den beiden Weltkriegen war die Kartoffel das einzige Hauptnahrungsmittel. Auf jedem Speiseplan im ländlichen Raum war sie vertreten. Dreimal in der Woche in den 1960-er Jahren war Klößtag. Die „grüna Glüeß“ gab es am Sonntag, Dienstag und Donnerstag. Oft wurden am Montag die übrigen Klöße klein geschnitten und in der Pfanne mit Fett angebraten.
Rund zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gab es nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit Argwohn wurden die in Altenkunstadt Angekommenen von manchem Einheimischen als Nahrungskonkurrenten gesehen, denn überall waren Lebensmittel knapp. Einige durften bei der Kartoffelernte mithelfen; dafür bekamen sie die heiß begehrte Kartoffelration als Lohn.
Der Höhepunkt der Vorratsbeschaffung in der Nachkriegszeit für den Winter war die Kartoffelernte. In dieser Zeit war die Kartoffel nicht beliebter Genuss, sondern notwendiges Grundnahrungsmittel: Die Kartoffel sicherte oftmals das nackte Überleben. Der sonnenreiche und heiße Sommer 1947 führte zu einer Ernte-Katastrophe.
Die Wiesen und Fluren waren völlig ausgedörrt. Selten waren große Kartoffeln zu finden, es gab nur kleine, meist wie Schusser. In der Altenkunstadter Volksschule wurde mit der Schulspeisung begonnen. Im November 1947 wurde pro Person nur ein Zentner Einkellerungskartoffeln verteilt. Auf der Lebensmittelkarte konnte nichts gekauft werden; es war nichts vorhanden.
„Örbfl lesn aufm Agge“
War das Kartoffelkraut gelb oder braun, war es Zeit für die Ernte. Über Generationen war die Ernte mühevolle Handarbeit. Die ganze Familie, Verwandte und Nachbarn waren eingespannt.
Die Schulkinder bekamen „Kartoffelferien“. Statt in der Schule Buchstaben zu lesen hieß es, auf dem Feld Kartoffeln lesen, und zwar wochenlang. Der Lehrer Erich A. Reinlein schrieb in seinem Buch: „Die zwanzig Jahre nach dem Krieg“ in Altenkunstadt zum Jahr 1948: „Die Sommerferien sind wieder zweigeteilt: vom 26. Juli bis 23. August (vier Wochen) und vom 20. September bis zum 11. Oktober (drei Wochen).“

Tags ernten, nachts büffeln
Als es keine „Kartoffelferien“ mehr gab, mussten die Kinder trotzdem mithelfen. Dies war vor allem bei Regenwetter schwer. So musste der Autor dieses Artikels am Nachmittag mit seinen Geschwistern, Eltern und Nachbarn die Kartoffeln mühevoll von der oft nassen Scholle herausholen und in den Körben nach Größen sortieren. Am Abend wurden die Kartoffelsäcke aufgeladen. Bei Dunkelheit, mit Petroleumlampen am Pferdefuhrwerk, ging es nach Hause. Dort wurden die Säcke über eine Rutsche in den heimischen Keller hinab gelassen. Dann war Zeit für Hausaufgaben.
Wenn der Nachtfrost zu früh kam und die Frucht geschädigt war, faulten die angefrorenen Kartoffeln im Keller und konnten nicht verkauft werden. Alle Arbeit war umsonst. Ein geschäftstüchtiger Kaufmann, der gleichzeitig das Amt des Kirchenpflegers begleitete, hatte es trotzdem probiert.
Helmut Hoffmann schrieb in einem Aufsatz, wie er dort mit seiner Mutter Kartoffeln kaufte, die sich dann als angefroren herausstellten.
Die Kleinen für die Sau
Der Verwendungszweck der geernteten Kartoffeln war klar geregelt: „Von den Großen wurden Klöße gekocht, die Kleinen bekamen die Säu und die mittleren dienten als Samen.“ Mit der Einführung des Kartoffelroders, der zunächst von Kühen, Ochsen, Pferden und später vom Traktor gezogen wurde, fiel die Spitzhacke weg; die Arbeit wurde spürbar erleichtert. Erst in den vergangenen fünf Jahrzehnten kam mehr Technik dazu; die vollautomatischen Erntemaschinen erledigen die einst mühevolle Arbeit.
Gedicht über Kartoffeln
Dii grueßn fe di Glüeß,
di glann fe di Säu,
di middlen fen Sooma.
Dou sigsdes widde,
wenme länge läim will,
däffme niä auffalln!
Josef Motschmann