„Ich bin ab dem fünften Brustwirbel abwärts querschnittsgelähmt. Vorerst werde ich im Rollstuhl sitzen müssen, aber irgendwann laufe ich wieder.“ Sieben Wochen nach seinem schweren Unfall befindet sich der Motorrad-Sportler Lukas Reichstein aus Strössendorf auf dem Weg der Besserung. Er absolviert eine Reha und freut sich auf die Heimkehr zur Familie und den Besuch der Mannschaftsweltmeisterschaft in Argentinien im November. Der 18-Jährige, der jetzt eigentlich sein Abitur machen wollte und eine Karriere als Profi-Sportler plante, hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern macht seinen Eltern und Mitpatienten durch seine Zuversicht Mut. Die Karin-Schöpf-Stiftung hat eine Spendenaktion gestartet, um die Familie zu unterstützen.
Es ist der Albtraum eines Sportlers: Beim „Kings-of-Extreme“-Motocross-Rennen in Leipzig am 26. Januar stürzt Lukas Reichstein und wird vom eigenen Motorrad so schwer im Rücken getroffen, dass das Rückenmark verletzt wird, wie berichtet.
„Ich dachte mein Herz bleibt stehen“, sagt sein Vater Harry, der das Rennen als Zuschauer verfolgte. Während Lukas operiert wird, bangen er, die später eintreffende Mutter Birgit und der Bruder Niklas den ganzen Tag um sein Leben. Nachts um 23 Uhr endlich der erlösende Anruf: „Ihr Sohn ist ansprechbar“. Die erste Frage des Verunglückten gilt jedoch nicht seiner Verletzung, sondern dem Ausgang des Rennens.
Die Eltern wagen es nicht, dem Sohn die Diagnose mitzuteilen, wollen ihn schonend vorbereiten. Als sie ihn am nächsten Tag besuchen, weiß Lukas bereits von den Ärzten, dass er möglicherweise sein Leben im Rollstuhl verbringen muss. Doch er nimmt die Diagnose gefasst auf, ist zuversichtlich und schafft es sogar den verzweifelten Eltern Mut zu machen, wie Birgit Reichstein berichtet.
Vor allem der Vater macht sich anfangs Vorwürfe, weil er als leidenschaftlicher Motorradfahrer den Sohn für den gefährlichen Sport begeistert hat. Er hat ihn zu seiner aktiven Zeit mit zu Rennen genommen und ihm sein erstes Motorrad geschenkt, als er gerade einmal drei Jahre alt war. Ein Trainingsgelände hat er Lukas auf einem Acker eingerichtet und ihn mit dem Wohnmobil zu Wettkämpfen begleitet.
„Es baut uns auf, wenn wir sehen, dass er lacht und dass es ihm gut geht.“
Birgit Reichstein Mutter
Ob seine Leidenschaft dem Sohn zu Verhängnis geworden sein könnte, fragt er sich nicht nur einmal. Doch als er in der Reha-Klinik der Berufsgenossenschaft in Murnau am Staffelsee von den Schicksalen der Mitpatienten von Lukas erfährt, werden die bohrenden inneren Stimmen leiser. „Es war ein tragischer Unfall, der fast genauso im Straßenverkehr passieren könnte“, sagt er sich inzwischen. Darin bestärkt ihn auch die Tatsache, dass Lukas bei den Rennen nie ein unnötiges Risiko eingegangen sei und lieber mit dem zweiten Platz vorlieb genommen habe, als sich in Gefahr zu bringen.
Die Bemühungen um den bestmöglichen Reha-Platz, damit Lukas alle Chancen auf Genesung hat, beschäftigen die Familie in den ersten Tagen nach der Operation, lenken vom Grübeln und Selbstvorwürfen ab. Ein Hoffnungsschimmer ist die Zusage, dass er einen Platz in der angesehenen Klinik in Murnau bekommt.
Seitdem geht es dem 18-Jährigen fast täglich besser. „Es baut uns auf, wenn wir sehen, dass er lacht und dass es ihm gut geht“, sagt Birgit Reichstein. Lukas sei unglaublich stark, zeige auch in der Krankheit die Kraft und das Durchhaltevermögen des Sportlers. „Ich sehe ihn nicht dauerhaft im Rollstuhl – irgendwann wird er wieder gehen und wenn es am Stock ist“, betont sie. In diesem Optimismus bestärkt die Eltern die Zuversicht von Lukas und die Hoffnung, dass das Rückenmark sich wieder regenerieren könnte – ist doch das Körperwachstum bis zum 21. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen. „Und die medizinische Forschung macht ständig Fortschritte auf diesem Gebiet“, betont Harry Reichstein.
Wie sonst beim Training engagiert sich Lukas Reichstein jetzt bei der Reha. Jeden Tag geht's zur Physiotherapie, drei Mal pro Woche zum Krafttraining für die Arme und zweimal zum Schwimmen. An einigen Tagen hat er vormittags und nachmittags Anwendungen – nur unterbrochen durch Pausen und die Mahlzeiten. Sportarten wie Rollstuhl-Basketball sollen noch dazu kommen. „Neulich rief er abends an und sagte 'Mei Rippla tun mir weh'“, berichtet die Mutter. Er hatte trainiert, bis er Muskelkater bekam. Indem er sich kleine Ziele setzt – etwa den hausinternen Rekord von 47 Klimmzügen beim Krafttraining an den Ringen zu brechen – kämpft der 18-Jährige gegen sein Schicksal an. Und mit jedem erreichten Ziel, wächst die Hoffnung, eines Tages wieder auf eigenen Beinen zu stehen.
Mut machen sich die Patienten auch gegenseitig, etwa sein Zimmernachbar, der an einer Verletzung der Halswirbelsäule leidet oder eine bei der Olympiade von Sotschi verletzte russische Skiläuferin, mit der Lukas viel Zeit verbringt. Gegenseitig bauen sie sich an schlechten Tagen auf, wetteifern an guten Tagen um Therapiefortschritte. Dazu gehören Gaudi-Wettbewerbe an Fasching, die die Patienten – als Schlümpfe blau geschminkt – im Rollstuhl absolvieren. Zum Erlebnis wird das Einsteigen ins Auto. Weil der Gymnasiast kräftig und geschickt ist, lernt er sich gleich ohne Rutschhilfe vom Rollstuhl auf den Beifahrersitz zu hangeln. Und strahlt: Bald will er wieder hinterm Steuer sitzen.
Kleine Ziele, aber große Schritte für den Patienten. So wie das Foto mit seinem Freund Eddi: Lukas hat sich auf einen Stuhl gehievt und sitzt neben Eddi als ob ihm nichts fehlen würde. Gerade diese Besuche und die Anteilnahme vieler Menschen geben ihm Kraft – auch wenn es manchmal anstrengend ist, alle Anfragen zu beantworten. So hat er sich über die Spendenaktion seines Heimatvereins AMC Sonneberg ebenso gefreut wie über die Genesungswünsche seiner Schulklasse oder eine Aufkleber-Aktion.
Noch etwa drei Monate wird die Reha dauern – solange bis der Gymnasiast sich mit dem Rollstuhl selbstständig bewegen und den Alltag vom Waschen bis zum Anziehen selbst bewältigen kann. Sein Abitur wird er um ein Jahr verschieben müssen, jetzt ist die Rückkehr in den Alltag die wichtigste Prüfung. Lukas freut sich schon auf sein Zimmer im Elternhaus.
Damit er wieder einziehen kann, müssen die Eltern das historische Gebäude umbauen. „Wir rechnen mit einer sechsstelligen Summe“, berichtet Harry Reichstein von ersten Planungen. Allein ein Außenaufzug würde rund 70 000 Euro kosten. Günstiger wäre ein Innenaufzug, doch auf jeden Fall müsste ein barrierefreier Zugang über den Hof des Anwesens geschaffen werden. Das Bad muss behindertengerecht umgebaut werden, Türschwellen und andere Stolperfallen beseitigt werden.
Welche Zukunftspläne hat Lukas Reichstein? Zuerst will er wieder selbstständig den Alltag meistern und sein Abitur machen. Den Motorrad-Sport, der so lange sein Leben war, will er nicht aufgeben. So freut er sich schon auf die Mannschaftsweltmeisterschaft „Six-Days“ im November in Argentinien. Das Flugticket hat ihm der Verband schon geschickt – allerdings wird er nicht, wie geplant, an den Start gehen, sondern als Betreuer dabei sein.
Wer hilft Lukas Reichstein?
Mit einer Spendenaktion will die Karin Schöpf Stiftung Lukas Reichstein und seiner Familie in ihrer schwierigen Situation unterstützten. „Wir sind von verschiedenen Leuten aus Strössendorf angesprochen worden, wie sie der Familie helfen können“, berichtet Thomas Siebenaller, Geschäftsführer der Stiftung. Außerdem sei er von dem tragischen Unfall sehr betroffen, da sein Sohn Julius und Lukas Reichstein seit dem Krabbelalter miteinander befreundet sind.
Mit seiner Idee, die Stiftung könnte nicht nur helfen, sondern auch eine Spendenaktion anstoßen, hat er beim Stiftungsrat offene Türen eingerannt. Zwar liegen die Schwerpunkte der Stiftung in der Begabtenförderung und der Unterstützung der Hospizbewegung, doch stehe für akute Fälle ein Notfallfonds bereit, aus dem Lukas mit einer vierstelligen Summe unterstützt werden könne. Schließlich stehe nicht nur die Familie vor beachtlichen Investitionen – auch Lukas Reichstein brauche Unterstützung, etwa bei der Anschaffung eines behindertengerechten Autos oder anderer Hilfsmittel.
Birgit und Harry Reichstein freuen sich über die großherzige Hilfsbereitschaft, wollen aber auf jeden Fall vermeiden, dass der Eindruck aufkomme, sie bäten um Geld. „Was zusammenkommt, werden wir für Lukas auf einem Sonderkonto anlegen, damit er wegen seiner Verletzung erforderliche Aufwendungen davon zahlen kann. Sollte er genesen, werden wir es für eine Organisation spenden, die Menschen mit Rückenmarksproblemen hilft“, betonen sie.
Spenden können unter dem Stichwort „Lukas Reichstein“ auf das Konto DE 68 770 610 0401 00000 345 bei der Raiffeisenbank Obermain Nord (GENODE F1 ALK) eingezahlt werden. Spendenquittungen werden bei Angabe von Namen und Anschrift ab 100 Euro ausgestellt.