„Dem Volk auf's Maul g'schaut“ heißt es oft, wenn heimische Künstler Musiktextdichtungen oder selbstverfasste literarische Niederschriften mit Lokalkolorit zu Papier bringen. Unter dem Motto „Dem Volks auf?s Maul geschaut – Martin Luther und die deutsche Sprache“ erläuterte der Literatur- und Kulturwissenschaftler Professor Ralf Georg Czapla über die Bedeutung der Bibelübersetzung von Martin Luther für die deutsche Sprache. Ein ebenso interessanter wie erkenntnisreicher CHW-Vortrag für die zahlreichen Besucher der in der Weismainer Christuskirche.
Czapla ging dabei nicht nur auf Redewendungen ein, sondern auch auf die neuzeitliche Form des Deutschen seit der Reformationszeit. Nicht nur als theologischer Reformator hat Martin Luther Geschichte geschrieben – auch die Sprache hat er geprägt. Czapla zog Parallelen vom käuflichen Ablass und Ablasshandel, der in der Reformation ein Streithema war, zum heutigen Erlass von Strafen bei Steuerschulden. Neben Luthers religiösen Schwerpunktthemen wie die Eucharistie oder der Grundgedanke des Glaubens an Gott stehen heute auch sein Frauenbild oder seine Meinung zum jüdischen Glauben im Blickpunkt. Die Bibelübersetzung als eine seiner wichtigsten Leistungen bleibe dabei leider oft auf der Strecke, meinte der Professor.
Die Auslegung der Heiligen Schrift war um 1500 Papst und Obrigkeit vorbehalten. Dies änderte sich mit der 1522 in Wittenberg vorgelegten Bibelübersetzung Luthers, der sogenannten September-Übersetzung. Luther Ansicht, dass das Wort Gottes die einzige wahre Glaubensautorität sei und, dass der Mensch nur durch die Gnade Gottes erlöst werden könne, war nun in der Muttersprache zu lesen. Auf diesen Grundsätzen habe seine reformatorische Sichtweise gefußt. Dass zu dieser Zeit der Buchdruck entwickelt wurde, ermöglichte eine schnelle Verbreitung dieser Lehre. Die ersten 3000 Exemplare der 300 Seiten umfassenden Übersetzung waren schnell vergriffen. Bis zu Luthers Tod 29 Jahre später waren 600 000 Bibeln gedruckt und unter das Volk gebracht worden. So stand in jedem dritten Haushalt das Buch der Bücher. Die Bedeutung der Bibel für den Reformator zeigen auch viele Portraits, die ihn mit der Schrift in der Hand zeigen.
„Verständlichkeit war erstes Gebot.“
Ralf Georg Czapla, Literatur- und Kulturwissenschaftler
Vor seiner Übersetzung war das mündliche Wort bindend. Da Luther oft als Streitender dargestellt wird, kann man davon ausgehen, dass seine Sprache sehr deutlich und auch vulgär war, meinte Czapla. So bezeichnete er einen hochrangigen Kirchenvertreter als „Eselskopf“. Die Bibel hatte er aus dem Griechischen übersetzt. Es gab in dieser Zeit auch viele Dialekte, doch für Luther war nicht nur wichtig, dass die Bibel von jedem gelesen werden konnte, sondern dass sie auch verstanden wurde. So galt dem Sinn des Wortes sein besonderes Augenmerk. „Verständlichkeit war erstes Gebot“, betonte Ralf Georg Czapla. Und hier war er mit der lateinischen Sprache in der wörtlichen Übersetzung nicht zufrieden. Weil er sich dabei dem Sprachgebrauch des Volkes bediente, kam der Ausspruch zustande, „dem Volk aufs Maul schauen“. So übersetzte er das wörtliche „Warum ist die Verlierung der Salbe geschehen“ mit „Es ist schade um die Salbe“. Dabei kam Luther sein Talent als Prediger zugute.
Über 400 Redensarten geprägt
Damit verlieh er dem Deutschen, das zuvor oft als Pöbel- oder Gossensprache verachtet wurde, den Charakter einer allgemeinen Sprache in angemessener Form. So wurde die Bibel schließlich zum Beispiel für deutsche Sprache und Schrift. Mit einem „Denkzettel“ wollte Luther jemanden zum Nachdenken bringen. Ein Scheffel war zu dieser Zeit ein Korbmaß in Eimerform und diente oft als erhöhter Standort für eine brennende Kerze, um eine größere Helligkeit zu erreichen – also sollte die Kerze nicht „unter dem Scheffel gestellt werden“. Über derartige 400 Redensarten hat Luther eingeführt – von „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, über „das Maul stopfen“, bis zu „der Wolf im Schafspelz“. Bis 1545 hat Martin Luther mit seinem Freund Philipp Melanchthon die Bibel immer wieder umgearbeitet. Weitere Aktualisierungen erfolgten seit Luthers Übersetzung. „Für die heutigen Gottesdienste wäre die damalige Bibel nicht mehr zu verwenden“, schloss Ralf Georg Czapla.