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BURGKUNSTADT/ALTENKUNSTADT: Burgkunstadter Lokalgeschichte: Bis zu 12 000 Schuhe pro Tag

BURGKUNSTADT/ALTENKUNSTADT

Burgkunstadter Lokalgeschichte: Bis zu 12 000 Schuhe pro Tag

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    Visitenkarte der Firma Pretzfelder & Riexinger um 1920.
    Visitenkarte der Firma Pretzfelder & Riexinger um 1920. Foto: privat

    Seit dem ausgehenden Mittelalter gab es in Burgkunstadt ein bedeutendes Schuhmacherhandwerk. 1888 entstand die erste mechanische Schuhfabrik. Weitere Fabriken folgten, Burgkunstadt und Altenkunstadt galten als fränkisches Zentrum der Schuhindustrie: „Klein Pirmasens“ wurden Burgkunstadt und Altenkunstadt 102 Jahre lang auch genannt. Der Name weist auf das pfälzisches Pirmasens, wo bis Mitte des 20. Jahrhunderts über 300 Schuhfirmen tätig waren. In den 1980-er Jahren schloss eine Schuhfabrik nach der anderen; am 26. März 1990 wurde das letzte Paar Schuhe in Burgkunstadt angefertigt. Dem Konkurrenzdruck aus dem Ausland hatte die Schuhindustrie nicht standgehalten.

    Joseph Weiermann aus Burgkunstadt, Sohn eines Baumwollwebers, hatte am 1. Januar 1888 die erste mechanische Schuhwerkstätte in Burgkunstadt gegründet. Der damals 25-Jährige begann im Nebenzimmer der „Zapf‘schen Gastwirtschaft“ und im Nachbarhaus mit der maschinellen Herstellung von Schuhen. Schumacher, bisher auf auswärtige Stöhrarbeit angewiesen, erhielten eine neue Perspektive. Ebenso zahlreiche Schneider, Sattler und Gerber. Sie und etliche Ungelernte wurden nach und nach ausgebildet.

    Mit Markennamen „Kordigast“ produziert

    Weiermann hatte Erfolg, Konkurrenten blieben nicht aus. Carl Iglauer 1892, Astheimer & Riexinger 1898, Pretzfelder & Püls 1902, um nur die wichtigsten zu nennen. 1898 zog Weiermann in die neu errichtete Fabrik in der Nähe des Burgkunstadter Bahnhofs, 1925/26 folgte gegenüber der dreistöckige Püls-Fabrikbau.

    1907 wurde in Altenkunstadt rechts der Mainbrücke die Schuhfabrik Wachter & Herte gegründet. In der ehemaligen Spinnerei in Woffendorf versuchte Schonath & Krügel ab 1912 sein Glück. Unter dem Markennamen „Kordigast“ produzierten die Arbeiter Herrenstiefel und Arbeitsschuhe. Vor 90 Jahren gab es durch Inflation viele Betriebsstilllegungen. So verkündete ein Wochenbericht des Bezirksamtes Lichtenfels vom 22. Mai 1920: „Durch die Einstellung der Betriebe (Schuhfabriken) in Burgkundstadt und Altenkundstadt werden etwa 800 Arbeiterinnen und Arbeiter brotlos.“

    Visitenkarte der Firma Pretzfelder & Riexinger um 1920.
    Visitenkarte der Firma Pretzfelder & Riexinger um 1920. Foto: privat

    Max Pretzfelder, der sich von Hans Püls getrennt hatte, wollte 1910/11 im „Schwarzen Graben“ in Burgkunstadt den Neuanfang wagen. Doch er entschied sich für die andere Seite des Mains und baute dort die Fabrik. Die Altenkunstadter hatten bessere Konditionen geboten. Bereits zwei Jahre später waren 187 Personen, darunter 69 Frauen, beschäftigt.

    1911 dauert eine Arbeitswoche 57 Stunden

    Seitens der Politik sorgte die industrielle Schuhproduktion Weiermanns für Unmut, da man befürchtete, sie könne „sozialistische Elemente“ nach Burgkunstadt bringen. Dies bewahrheitete sich jedoch nicht. Am 5. August 1898 gründeten 13 Angestellte verschiedener Schuhfabriken eine Schuhmachergewerkschaft. Trotz erheblichen persönlichen Risikos wie dem Verlust des Arbeitsplatzes vertraten die Gewerkschaftsmitglieder die Interessen der damals rund 120 Arbeiter der Burgkunstadter Schuhfabriken. Sie hatten es anfangs schwer. Ein größerer Streik in den Schuhfabriken ist aus dem Jahr 1910 überliefert. 1911 dauert eine Arbeitswoche in der „Schuhbuudn“ 57 Stunden.

    Viele Arbeitsschritte waren für ein Paar Schuhe vonnöten. Es wurde gestanzt, genäht, gezwickt und besohlt. Mit dem runden Schusterhammer wurde gearbeitet, wir kennen das Sprichwort: „Schuster bleib bei deinen Leisten.“ Viele gingen zu Fuß in die Fabrik, oft aus weiter Entfernung. Zu Hause hatten etliche Fabrikarbeiter Kleinvieh: Hühner, Gänse, Stallhasen, Tauben, ein Schwein oder ein paar Ziegen.

    Familien der jüdischen Fabrikanten im KZ ermordet

    Ein Stolperstein erinnert an das Schiksal jüdischer Schuhfabriken, die in der NS-Zeit von der „Arisierung“ betroffen waren.
    Ein Stolperstein erinnert an das Schiksal jüdischer Schuhfabriken, die in der NS-Zeit von der „Arisierung“ betroffen waren. Foto: Andreas Motschmann

    Der Gründer der ersten Schuhfabrik und dessen Familie waren von den Folgen der Nazi-Zeit schwer getroffen. Nach der Umwandlung der Firma Joseph Weiermann 1906 in eine GmbH erfolgt 1911 die Joseph Weiermann Schuhfabrik Aktiengesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt verabschiedete er sich in den Ruhestand und zog nach Bamberg und München. Im Zuge der „Arisierung“ wurden die jüdischen Aktionäre der Joseph Weiermann Schuhfabrik A.G. von der Nazi-Diktatur zum Verkauf ihrer Anteile an deutsche Unternehmen gezwungen und die Firma in „Obermain-Schuhfabrik“ umbenannt. Maria Weiermann, geborene Steinhäuser, in Burgkunstadt aufgewachsen, wurde im Ghetto Theresienstadt am 16. Oktober 1942 ermordet. Weitere Familienmitgliedern wurde von den Nazis ermordet. Das gleiche Schicksal ereilte die jüdische Familie Pretzfelder.

    Da immer mehr Arbeiter der heimischen Schuhfabriken im Zweiten. Weltkrieg an die Front mussten, wurden die Arbeitsplätze durch kriegsgefangene Russen, Litauer, Polen und Franzosen besetzt.

    Nur das Deutsche Schustermuseum kündet von der Wirtschaftsgeschichte

    In der Blütezeit fanden 2300 Menschen in den Fabriken am Obermain Arbeit, die bis zu 12 000 Schuhe am Tag produzierten. 1990 schloss die letzte Schuhfabrik angesichts der billigeren Konkurrenz vor allem in Fernost ihre Tore. Heute erinnert das Deutsche Schustermuseum in Burgkunstadt an die Geschichte der Schuhindustrie im „fränkischen Pirmasens.“

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