Im September findet das zweitägige jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana statt. Der Beginn des neuen Jahres 5781 „nach Erschaffung der Welt“ wird gefeiert. Es wird 163 Tage nach dem Pessachfest gefeiert, in diesem Jahr vom Abend vor dem 19. September bis zum 20. September. Gleichzeitig ist der Neujahrstag der erste der zehn Bußtage, die am großen Versöhnungstag Jom Kippur enden. In den Tagen um das Neujahrsfest besuchen die Juden nach altem Brauch die Gräber der Verstorbenen, ähnlich wie die Christen im November. Auf dem Grab hinterlegen die Angehörigen keine Blumen, sondern meist einen Stein, von zuhause oder aus Israel mitgebracht. Seit über 30 Jahren veranstaltet die Interessengemeinschaft Synagoge an einem Sonntag im September einen Gedenknachmittag auf dem Judenfriedhof bei Burgkunstadt.
Ein Friedhof (Bet-hachajim) wird im jüdischen Volksmund „Haus des ewigen Lebens“ oder „guter Ort“ genannt. Dieser „gute Ort“ nördlich der Stadt am Ebnether Berg wurde am „Hutanger“ vor 400 Jahren angelegt. Er zählt mit seinen über 2000 Grabsteinen zu den größten jüdischen Landfriedhöfen Bayerns und ist der größte in Oberfranken. Von 1626 bis 1940 diente er den jüdischen Bürgern aus dem Obermain-Gebiet und den Nachbargemeinden zwischen Kronach und Bayreuth als letzte Ruhestätte. Heute erinnert der Friedhof an eine ehemals blühende Kultur in unserer Region, die durch die Vernichtungspolitik der Nazi-Diktatur ein jähes Ende fand.
Kaum lesbaren Grabinschriften mit den Fingern erfühlt

Vor Jahrzehnten besuchte der Autor dieses Beitrages mit seinem inzwischen verstorbenen Bruder Josef mehrmals diesen Ort und schrieb seine Eindrücke nieder: „Wir versuchten, systematisch den Friedhof zu erforschen. Viele Steine waren so alt, das die Inschriften verwittert und einige der Buchstaben ganz verblichen waren. So mussten wir oft die Schrift erfühlen. Einige Male suchten wir gezielt nach Gräbern von Verstorbenen, mit deren Verwandten mein Bruder in den USA in Kontakt stand. Interessant und neu war für mich, dass die Vorderseite des Grabsteines in Hebräisch beschriftet war und die Rückseite in Deutsch.“
Josef Motschmann hat mit Siegfried Rudolph ein Buch über den jüdischer Friedhof geschrieben. Es wurde unter dem Titel: „Guter Ort über dem Maintal“ 1999 als CHW-Monographie veröffentlicht. Es ist ein sorgfältig und liebevoll recherchiertes, detail- und kenntnisreich geschriebenes Buch über diesen sehenswerten Friedhof.
Die ältesten Grabsteine stammen aus dem 17. Jahrhundert

Die viereckige Friedhofsanlage des Burgkunstadter Distriktsrabbinats am Ebnether Berg wurde durch den Israelitischen Begräbnisverein finanziert. Bedingt durch das Anwachsen der jüdischen Gemeinden im Einzugsgebiet des Friedhofs wurde er 1844 erweitert. Dabei wurde die Friedhofsmauer erneuert und mit einem großen Portal versehen, ein neues Taharahaus und ein neuer Brunnen errichtet. Die meisten Beerdigungen fanden in der Blütezeit der jüdischen Gemeinden von 1830 bis 1850 statt. Waren dies um 1840 über 2000 Personen, sank die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder bis 1867 auf rund 800. Der Grund lag vor allem an der Abwanderung in größere Städte wie Bamberg oder Nürnberg und die Auswanderung nach Amerika.
Die ältesten Steine „wachsen“ in die Erde hinein
Man kann drei Belegungsphasen unterscheiden. Der älteste Teil im oberen Bereich wurde 1620 angelegt, ein weiterer zwischen 1830 und 1870 und der tiefer gelegene Teil von 1870 bis 1940. Die meisten Grabsteine der ältesten Belegungsphase aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind umgekippt und tief in die Erde gesunken. Gras überwuchert die Steine; sie„wachsen“ in die Erde hinein. Jüdische Friedhöfe werden im Gegensatz zu christlichen bewusst nicht gepflegt, um die Ruhe der Toten nicht zu stören. Im Gegensatz zu christlichen Friedhöfen, wo ein Grab auf Zeit gekauft wird, hat der Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof sein Grab für immer.
Dort gibt es nur Einzelgräber und keine Familiengräber. Sie liegen eng aneinander. Das spart Platz. Außerdem gibt es Reihen mit Männer- oder Frauengräbern. Jüdische Friedhöfe werden außerhalb der Stadt angelegt. Sie sind schlicht wie die Beisetzungen. Die Größe des Grabsteins richtete sich nach den finanziellen Möglichkeiten. Der Grabstein markiert die Stelle, an der das Haupt des Verstorbenen liegt.
Der erste Grabstein wurde 1626, sechs Jahre nach der Eröffnung des Friedhofs, aufgestellt. Oftmals bestehen die Inschriften lediglich aus dem Namen und Todestag des Verstorbenen, zusammen mit einem kurzen Spruch wie „Friede seiner Asche“.

Manchmal sind sie mit Symbolen und Ornamenten versehen, die auf die Herkunft und soziale Stellung des Toten schließen lassen. Eine Kanne bedeutet, dass es sich um den Gedenkstein eines Angehörigen des Leviten-Stammes handelt. Einige Steine zeigen nach oben gerichtete gespreizte Hände. Diese segnenden Hände bedeuten, dass hier ein Nachkomme des Stammes „cohen“, ein Priestergeschlecht, begraben liegt. Häufig findet man deshalb den Nachnamen: Kohn, Kahn oder Kuhn. Viele Grabsteine tragen die Inschrift „Möge deine Seele eingebunden sein in das ewige Leben“.
Bewegende Schicksale von Verfolgten der Nazis
Wir wissen wenig, welche Schicksale sich hinter den Toten verbergen. Auf einem Stein steht: „Für die im Mainflusse verunglückte Jungfrau Sara Lobenheiner. In Liebe errichtet von ihrem Bruder“.
Mehr wissen wir über die Verstorbenen der jüngsten Gräber: Otto Heimann aus Burgkunstadt, 41 Jahre alt, hatte sich am 3. Oktober 1938 vor den Zug geworfen. Er war von Arbeitern in der Schuhfabrik denunziert worden, weil er Mitleid mit dem Schicksal der jungen Soldaten im Hinblick auf einen möglichen Kriegseinsatz geäußert hatte. Nach einem Verhör bei Bürgermeister Dr. Leo Feuersinger war Heimann so aufgewühlt, dass er sich hastig von seiner Frau verabschiedete und verschwand.
Emil Schuster wurde nur 34 Jahre alt. Er hielt die tagtäglichen Schikanen der Nazis vor seinem Haus am Altenkunstadter Marktplatz nicht mehr aus und suchte am 29. Oktober 1939 den Freitod.
Während der Nazi-Diktatur wurden Teile des Friedhofs geschändet
Während der Nazi-Diktatur wurden Teile des Friedhofs geschändet. Außerdem stand der Friedhof in den 1970-er Jahren bundesweit in den Schlagzeilen, als er von betrunkenen Jugendlichen verwüstet wurde. Trotzdem ist er gut erhalten. Er ist ein Denkmal der jüdischen Geschichte weit über die Region hinaus und bedeutsames Zeugnis der Vergangenheit.
Am 24. April 1942 zwangen die Nazis die in Burgkunstadt und Altenkunstadt verbliebenen Juden auf ihren letzten Weg: zum Bahnhof. Gemeinsam mit Glaubensgenossen aus dem Bamberger Land ging es in Bamberg mit einem Güterzug weiter. Im Juni 1942 wurden sie in den Gaskammern von Belzec und Sobibor ermordet. Mit diesem Verbrechen endet die 700-jährige Geschichte der jüdischen Gemeinden am Obermain.