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BAD STAFFELSTEIN: 1691 in Bad Staffelstein: „Beutetürke“ wird Einheimischer

BAD STAFFELSTEIN

1691 in Bad Staffelstein: „Beutetürke“ wird Einheimischer

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    Das Bild aus der Lahmer Schlosskirche zeigt die drei Phasen der Taufe des „türck pascha sohn“.
    Das Bild aus der Lahmer Schlosskirche zeigt die drei Phasen der Taufe des „türck pascha sohn“. Foto: Karlheinz Hößel

    Am Ende des 17. Jahrhunderts ereignete sich in der Staffelsteiner Pfarrkirche eine außergewöhnliche Tauffeier. Ein geborener Türke namens Mehemet, aus Istanbul stammend, wurde auf den Namen Johann Philipp Mahler getauft, nachdem er auf Fürsprache des Herrn Johann Philipp Freiherr von und zu Franckenstein, Kanonikus in Bamberg, ebendort gründlich im christlichen Glauben unterrichtet worden war.

    Der neu Getaufte zeigte dann auch gleich eine „einzigartige Frömmigkeit“ und dankte Gott dafür, dass er ihn auf so wunderbare Weise zum Christentum geführt habe. Er sei nämlich im Krieg des Kaisers mit den Türken in Gefangenschaft geraten und erst so zum christlichen Glauben gekommen. So berichtet das Taufregister von St. Kilian für den 29. Juli 1691.

    Die Türkenkriege

    Dieser Vorgang verdient es, seine Vorgeschichte etwas zu beleuchten. Die Auseinandersetzung mit den Osmanen dauerte zu Mehemets Zeiten bereits über 150 Jahre. 1529 hatte Suleiman der Prächtige zum ersten Mal vergeblich Wien belagert. 1682 schließlich beschloss Sultan Padischah Mehmed IV. einen erneuten Vorstoß ins Habsburger Reich und damit ins Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Der Vormarsch begann am 31. März 1683, bereits einen Monat später wurde die Donau überquert und zwei Wochen darauf Raab erreicht. Das osmanische Heer umfasste wohl ca. 165.000 Mann aus gänzlich unterschiedlichen Verbänden bestehend. Am gefürchtetsten waren die Janitscharen, Soldaten, die man aus christlichen Sklaven rekrutierte und die zu fanatischen Moslems und erbarmungslosen Kämpfern erzogen wurden.

    In Wien lagen nur rund 13.000 Mann Fußtruppen, dazu kamen 21.000 Mann Kavallerie, die außerhalb der Stadt nördlich der Donau lagen. Der Kaiser selbst war nach Linz geflohen und schickte Hilfegesuche an alle Reichsstände.

    Eines dieser Gesuche erreichte auch den Fränkischen Reichskreis, dessen Direktor der Bischof von Bamberg war, damals Marquard Sebastian Schenk von Stauffenberg. Eine Konferenz in Haßfurt am 29./30. Juli 1683, zu der alle Großen des Fränkischen Kreises eingeladen wurden, beschloss, seine Hilfe zuzusagen. Neben dem Kontingent, das man ohnehin für die Reichsarmee stellte, sollten weitere Truppen aufgestellt werden. Insgesamt kamen dabei 5900 Infanteristen und ca. 1400 Berittene zusammen.

    Mitte August erreichten diese Truppen Regensburg und zogen weiter zum Kaiser nach Linz. Am 12. September 1683 kam es schließlich zur Entsatzschlacht um Wien, wobei die fränkischen Fußtruppen auf die Janitscharen stießen. Nach stundenlangem Kampf brach die osmanische Front zusammen.

    Schicksale der „Beutetürken“

    Bei dieser Schlacht führte ein Verwandter von Mehemets späterem Gönner, ein Rittmeister von Franckenstein, die 48 Kürassiere des Deutschen Ritterordens in den Kampf, so dass eine Gefangennahme und Weitergabe des jungen Türken bei dieser Gelegenheit recht wahrscheinlich erscheint. Schon im Oktober nämlich beginnt der Rückmarsch der fränkischen Truppen, die vielleicht den gefangenen Mehemet mit sich führen nach Bamberg und schließlich nach Staffelstein.

    Mit diesem Schicksal ist der junge Staffelsteiner Türke allerdings keine Ausnahme. Deutschlandweit kennt man einige hundert solcher Fälle, und für Franken sind bisher ca. 75 Menschen osmanischer Herkunft vor 1700 nachweisbar. Ein ähnliches Schicksal wie Mehemet hatte beispielsweise ein 14-jähriger Knabe, der 1686 bei der Erstürmung der Stadt Ofen gefangengesetzt wurde und schließlich in Auerbach in der Oberpfalz landete, wo sich der Bürgermeister Held seiner annahm, ihn christlich erziehen und als Cölestin Christian Auerbacher taufen ließ.

    Als Bräuknecht kam dieser schließlich im Kloster Michelfeld unter und heiratete das dortige „Küchenmensch“, die Taglöhnerstochter Magdalena Frölig.

    Mit 20 Jahren kam Hussin, der 1686 in Gefangenschaft geraten war, nach Bamberg, wo ihn der Freiherr Christoph von Wiesenthal um 45 Reichsthaler kaufte. Von ihm übernahm ein Dragonerhauptmann den jungen Mann. Seine Taufe 1694 in Nürnberg wird ein Ereignis für das Patriziat, aus dessen Reihen auch einige die Patenschaft übernahmen. Schon im Jahr danach heiratet Hussin die Tochter eines Branntweinbrenners und übernimmt das Gewerbe.

    Man darf wohl auch für den Staffelsteiner Mehemet einen ähnlichen biographischen Verlauf vermuten, wie er sich bei hunderten dieser sogenannten „Beutetürken“ ergibt. Nach der sprachlichen und religiösen Assimilation erfolgte die berufliche Eingliederung, oft begleitet von der Eheschließung mit Einheimischen. Dabei war es sicherlich auch die Jugend der Gefangenen, die die Assimilation erleichterte. Tatsächlich waren einige dieser Osmanen sehr erfolgreich, so z.B. der Kammerdiener des Kurfürsten Georg I. von Hannover, der als Mehmet Königstreu 1716 sogar in den Adelsstand erhoben wurde.

    „Türkenkoppjes“, kleine henkellose Tassen, in der Schneyer Porzellanfabrik in großer Zahl hergestellt, belegen die Faszination für die türkische Kultur auch noch im 19. Jahrhundert.
    „Türkenkoppjes“, kleine henkellose Tassen, in der Schneyer Porzellanfabrik in großer Zahl hergestellt, belegen die Faszination für die türkische Kultur auch noch im 19. Jahrhundert. Foto: Gertrud Kugler-Hößel

    Türkisches wird Mode

    Im weiteren Sinne waren diese „Beutetürken“ auch Teil der Türkenmode des 18. Jahrhunderts, die in weiten Teilen Deutschlands verbreitet war. So kamen nicht nur neue Figurenwelten in die Porzellankunst, in der Militärmusik findet sich nun das neue Instrumentarium der „Janitscharenmusik“, die Bühnen wurden erobert von den „Türkenopern“, die mit Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ (1781) ihren Höhepunkt finden. Nicht zu vergessen ist auch, dass bereits 1697 in Würzburg Nikolaus Strauß, ein geborener Mehmet Sadullah Pascha, eines der ersten Kaffeehäuser Deutschlands eröffnet.

    Ein solches Umfeld war sicherlich hilfreich bei der Aufnahme der neuen Mitbewohner in die städtische oder dörfliche Gemeinschaft. Leider erfahren wir nicht, wie diese Sozialisation bei Mehemet in Staffelstein verlief. Außer dem Eintrag ins Kirchenbuch schweigen die Quellen.

    Kriegsgefangenschaft ist heute kein Grund mehr, der Menschen nach Franken führt, wohl aber Flucht vor Krieg und Gewalt. Und auch die Religion muss niemand mehr wechseln, um seinen Platz in unserer Gesellschaft finden zu können. Auch die Lebensumstände und die kulturelle Prägung kann ein jeder relativ frei gestalten.

    Was bleibt und bleiben sollte ist die sprachliche Akkulturation und die Anerkennung gewisser Grundwerte, die auch in einer liberalen Demokratie nicht zur Disposition stehen.

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