Die Erwartungen waren hoch. Ein Urgestein gab sich auf der so gut wie ausverkauften Seebühne die Ehre. John Lees, eine noch verbliebene Hälfte einer der besten Progressive-Rock-Bands aller Zeiten, trat im Rahmen seiner Abschiedstournee in Bad Staffelstein auf. Lange vorbei sind die Zeiten, als er gemeinsam mit Les Holroyd, der mit einer eigenen Formation die Legende weiterleben lässt, Stuart Wolstenhome und Mel Pritchard die großen Hallen füllte. Unvergessen das legendäre „Concert for the people“ am 30. August 1980 auf dem Gelände der Berliner Reichstages, wo nach Angaben der Band 250.000 Menschen anwesend waren.

Als die ersten Töne schließlich erklangen und die Band die Seebühne betrat, war der Jubel dennoch groß. Doch wirkte John Lees am Anfang abwesend, fand auch nicht so recht in sein Gitarrenspiel. Das änderte sich im Laufe des Konzertes, aber man merkte ihm doch an, dass es anstrengend für ihn war. Auch seine Stimme, die früher kraftvoll die Instrumente übertönte, ist dünn geworden.
Bei „Suicide“ blüht John Lees auf
Allerdings ist er auch nicht mehr die Stimme der Band, diese Rolle hat Bassist Craig Fletcher in den meisten Liedern übernommen. Er ist nicht der Virtuose am Bass wie Les Holroyd, aber sein Spiel ist sauber und er treibt den Rhythmus gemeinsam mit Schlagzeuger Kevin Whitehead voran. Craig Fletcher übernahm dazu noch die Rolle des Moderators und Sprechers, auch ein Part, den John Lees früher ausfüllte. Wobei Craig seine Sache gut machte, er spricht sogar ein wenig Deutsch, wenn auch mit einigen charmanten Fehlern. Doch das tat der Stimmung keinen Abbruch.

So spielten die Musiker sich durch das Repertoire der langen Bandgeschichte. Und es durften auch die Klassiker wie „Child of the Universe“, ein Lied, das heute aktueller denn je ist, oder „Poor man´s moody blues“ nicht fehlen. Dabei war allerdings festzustellen, dass das Publikum textsicherer als John Lees zu sein schien.
Einer der Höhepunkte kam mit „Suicide“ aus dem Jahr 1976. Da waren sie wieder, die epischen Melodien, die Keyboarder Jez Smith den Instrumenten entlockte, aufgepeitscht von den, oft leider alles zu stark überlagernden, Schlagzeugrhythmen. Und endlich war er wieder da, der John Lees an der Gitarre, wie man ihn von früher kennt. Von gefühlvoll bis laut fordernd kamen die Akkorde, bis er wieder zurücksank in die scheinbare Abwesenheit, die er fast während des gesamten Konzertes an den Tag legte.
Auch neuere Stücke standen auf dem Programm wie „North“ aus dem gleichnamigen Album, ein Stück, das anknüpft an die legendäre Zeit – episch, lang, schwülstig.
Nach gut zwei Stunden kam man zum Ende, doch das Publikum forderte lautstark nach einer Zugabe. Zu viele Stücke aus der Hochzeit der Band fehlten noch. Es ertönten Rufe wie „Live is for living“, „Love on the line” und „Mockingbird.” Die Band ließ sich nicht lange bitten und kehrte unter großem Jubel auf die Bühne zurück. „Wir können ja nicht gehen, ohne ein Stück zu spielen, das nie fehlen darf“, sagte Craig Fletcher lächelnd, bevor Jez Smith die bekannten Akkorde aus „Mockingbird“ spielte. Und hier sprang er endlich wirklich über, der Funke, der das ganze Konzert über irgendwie gefehlt hat. Ein Stück, das mit beinahe zehn Minuten kein Ende zu nehmen schien, und entsprechend bejubelt wurde.

Bei „Hymn“ leuchten Feuerzeuge
Als sich John Lees, Craig Fletcher und auch Jez Smith schließlich die Akkustikgitarren umhängten, da wusste wirklich jeder im Publikum, was folgte. Eine Hymne, ein wahres Stück Musikgeschichte. „Hymn“ aus dem Jahr 1977. Es hätte den Gesang von John Lees nicht gebraucht, jeder schien den Text zu kennen. Allerdings kam sein bekanntes „Yeah“ nur noch zögerlich und leise, was das Publikum dennoch lautstark erwiderte. Feuerzeuge und Handy-Taschenlampen wurden geschwenkt und eine gewisse Melancholie machte sich breit.

Jeder wusste, es ist eines der letzten Male, dass man dieses Lied so erleben würde. Denn nach der Tournee ist John Lees Barclay James Harvest Geschichte. Und vielleicht ist es auch gut so, denn die Wahrheit überdeckte in weiten Teilen mit ihrer grausamen Härte die Träume von den glorreichen Zeiten einer legendären Band. Dennoch, für viele war es noch einmal eine Retrospektive in eine andere Zeit, und gelohnt hat es sich, aller Schwächen zum Trotz, allemal, noch einmal den Sound von damals zu hören, zu erleben und zu spüren.