Erst zögerte der Verteidiger von Äbtissin Mechthild Thürmer, der Münchner Rechtsanwalt Franz Bethäuser, ob der Vorschlag des Staatsanwalts als Gruppenleiter, Matthias Schmolke, akzeptabel ist. Dieser hatte am Prozessnachmittag des 28. Februar 2023 vor dem Amtsgericht Bamberg in Aussicht gestellt, das Verfahren gegen die Nonne einzustellen. Der Vorwurf lautete: Gewährung von Kirchenasyl in zwei Fällen kurz vor und in einem Fall nach Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist gemäß der Dublin-Verordnung.
Schmolke sprach von einem „Graubereich“, in dem es für einen wissentlichen und willentlichen Vorsatz, die Ausreisepflicht zu verhindern, keine Beweismittel gebe. Allerdings „drängt sich ein Freispruch nicht auf“, betonte der Staatsanwalt. Angeklagt war die Äbtissin wegen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt in den Jahren 2018 und 2019.
Bethäuser sagte nicht sofort Ja, weil besagter Paragraf 153 StPO lediglich „das Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit“ vorsieht, wenn an einer Verfolgung kein öffentliches Interesse besteht. „Es ist kein Freispruch, aber eine erhebliche Freiheitsstrafe wäre möglich gewesen“, bilanzierte der Rechtsanwalt gegenüber dieser Redaktion.
Das war der 64-jährigen Äbtissin bewusst, die dem Vorschlag des Staatsanwalts zustimmte – für Bethäuser ausschlaggebend - und den Beschluss, den Vorsitzender Richter Fahr verkündete, dankbar annahm. „Ich bin keine Kriminelle, das Verfahren ist wegen Nichtigkeiten eingestellt, das weiß jetzt die Öffentlichkeit“, freute sich die Nonne im Nachhinein, dass sie straffrei geblieben ist. Auch die im Strafbefehl festgesetzte Geldstrafe von 2500 Euro muss sie nicht zahlen, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
Hätte Mutter Mechthild der Verfahrenseinstellung nicht zugestimmt, wäre eine weitere Beweisaufnahme nötig gewesen. Zeugen hätten gehört werden müssen, vor allem im Fall einer Nigerianerin. Diese nämlich hatte bereits einen negativen Bamf-Bescheid, als sie in die Abtei Maria Frieden kam. Damit wären die Voraussetzungen für ein Kirchenasyl nicht gegeben gewesen. „Ich habe das nicht gewusst“, sagte die Äbtissin jedoch. Das hätte im Laufe des Prozesses geklärt werden müssen.
Ein Urteil, das Maßstäbe setzt
Verteidiger Bethäuser verwies in der Verhandlung auf das Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayOLG), zur Praxis des Kirchenasyls. „Wir akzeptieren dieses Urteil“, betonte der Bamberger Staatsanwalt Schmolke, Richter Fahr führte notwendige „individuelle Einzelfallentscheidungen“ an.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte am 25. Februar 2022 Bruder Abraham Sauer aus der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach freigesprochen, der einem Mann aus Gaza Kirchenasyl gewährt hatte, um ihn vor der Abschiebung nach Rumänien zu bewahren. Der 1. Strafsenat des BayOLG stellte fest, dass Geistliche, die ein Kirchenasyl auch nach einem negativen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bampf) aufrecht erhalten, straffrei bleiben können. Alleine Beherbergung und Verpflegung stellten keine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt dar.
Infolgedessen wurde auch das Berufungsverfahren gegen Schwester Juliana Seelmann aus dem Franziskanerinnenkloster Oberzell bei Würzburg am 14. Juli 2022 mit einem Freispruch beendet, die eine Nigerianerin aufgenommen hatte. „An dem Urteil kommt man nicht mehr vorbei“, sagte damals Rechtsanwalt Frank Bethäuser, der die Ordensleute vor Gericht vertrat. In zwei Fällen sahen es auch der Staatsanwalt und der Richter bei Mutter Mechthild so, ließen sie durchblicken. Der dritte Fall allerdings war der Grund, weshalb es nun keinen Freispruch gab. Die Verfahrenseinstellung ohne Auflagen hat für Äbtissin Thürmer aber keine Folgen.
Auf Anfrage begrüßte der Bamberger Diözesanadministrator Weihbischof Herwig Gössl die Einstellung des Verfahrens: „Mutter Mechthild hat mit der Gewährung von Kirchenasyl ausschließlich aus christlicher Nächstenliebe gehandelt, dafür danke ich ihr von Herzen.“ Er sehe im Kirchenasyl eine Möglichkeit des Rechtsstaates, gemäß der Vereinbarung zwischen Kirche und Regierung in Härtefällen alle Möglichkeiten des Rechts auszuschöpfen, so Gössl.
Seit Sommer 2020 hing das Damoklesschwert eines Gerichtsprozesses über Äbtissin Thürmer. Über 30 Mal gewährte sie in der Abtei Kirchenasyl. „Ich habe in absoluten Härtefällen so gehandelt, wie Jesus es auch getan hätte. Ich habe nichts falsch gemacht“, begründete die Nonne ihre Taten aus Gewissensgründen.
Der Prozess war ursprünglich für Juli 2020 anberaumt, wurde aber aus „prozessökonomischen Gründen abgesetzt“, wie der Gerichtssprecher damals erklärte. Es waren jedenfalls Ermittlungen in einem weiteren Fall von Kirchenasyl in der Abtei, die zur Verzögerung führten. Das Gericht stellte der Äbtissin damals für den Fall einer Verurteilung eine „empfindliche Freiheitsstrafe“ in Aussicht.
Dass es jetzt zu einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht kam, war der Tatsache geschuldet, dass sich Mutter Mechthild weigerte, die im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft festgesetzte Geldstrafe von 2500 Euro zu bezahlen, weil ihr das als Schuldeingeständnis vorgekommen wäre. Da die Staatsanwaltschaft Bamberg bereits vor der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landgerichts zum Kirchenasyl Anklage erhoben hatte, kam es jetzt zu der Verhandlung gegen die Äbtissin.
Wieder bereit, Kirchenasyl zu gewähren?
Ob sie nach den Erfahrungen mit dem Gericht bereit sei, wieder Kirchenasyl zu gewähren, ließ Mutter Mechthild gegenüber unserer Zeitung offen. Sie räumte ein, dass ihre Mitschwestern nach der Androhung von Gefängnis wohl nicht bereit seien, zuzustimmen. „Kommt drauf an, wer Hilfe sucht“, meinte die Äbtissin diplomatisch.
In allen Fällen von Kirchenasyl in ihrer Abtei hat sie die rechtlichen und behördlichen Auflagen voll erfüllt, wie sie dem Richter und Staatsanwalt glaubhaft versichern konnte. „Ich habe nichts verheimlicht, war zutiefst erschüttert über die Schicksale der Schutzsuchenden“, bekannte Äbtissin Thürmer. Auf eine etwaige Gewissensentscheidung berief sich die Ordensfrau vor dem Amtsgericht jetzt nicht. Darüber hatte Richter Fahr auch nicht zu befinden.