Viele Zapfendorfer haben bisher nur den einen Ersten Bürgermeister in ihrer Marktgemeinde erlebt: Josef Martin hat seit 36 Jahren dieses Amt inne. Als er im Jahr 1978 mit 26 Jahren die Stichwahl gewann, war er der jüngste Bürgermeister in Bayern.
Jetzt ist er derjenige mit der längsten Amtszeit. Und diese neigt sich dem Ende zu. Am 30. April wird er zum letzten Mal hinter seinem Schreibtisch im Rathaus sitzen. Resturlaub nehmen, Überstunden abfeiern? Darauf verzichtet er, genießt die letzten Wochen als Rathauschef. Außerdem will er noch einiges abschließen. Die Kreuzungsvereinbarung mit der Bahn im Rahmen des ICE-Trassenausbaus beispielsweise, bevor der neu gewählte, teils unerfahrene Gemeinderat seinen Dienst antritt. „Der Vorschlag der Bahn entspricht unseren Vorstellungen. Die vorgestreckten Planungskosten für die Bahnquerung Zapfendorf Nord bekommen wir erstattet“, weist er auf einen viel diskutierten Punkt der Verhandlungen hin.
„Wo ist die Zeit geblieben?“
Josef Martin Bürgermeister
„Wo ist die Zeit geblieben?“, sinniert Martin und nimmt die Brille ab. Er kann sich noch an den Beginn seiner Ausbildung 1967 im Landratsamt Staffelstein erinnern. Wie er dann als junger Mitarbeiter dem Schulamt zugeteilt war und die Bildung der Schulverbände miterlebte. „Die Kommunen kauften eigene Schulbusse, das gab es nur im Landkreis Staffelstein.“
Oder den Tag, als Altbürgermeister Helmreich an der Tür des 20-Jährigen klopfte und fragte, ob er nicht Verwaltungsleiter in der neuen Großgemeinde werden will. Die Gebietsreform war gerade in Gang, die Akten der Ortsteile Sassendorf, Lauf, Roth, Oberoberndorf, Reuthlos, Kirchschletten und Oberleiterbach waren zu bearbeiten. Doch die Bundeswehr „drohte“ dem jungen Verwaltungsmann, der schon zweimal wegen Unabkömmlichkeit im Landratsamt zurückgestellt worden war. Die Lösung? Der Katastrophenzug in Hallstadt. Martin verpflichtete sich für zehn Jahre, konnte seine Bürgerpflicht nebenberuflich erfüllen und zog in sein Büro im Rathaus Zapfendorf ein, das insgesamt 42 Jahre sein Arbeitsplatz blieb.
„Das Erste, was ich im Mai in Angriff nehme, ist Fenster streichen.“
Josef Martin
Die Einrichtung war provisorisch. Ein alter Küchentisch aus Holz, die Aktenberge stapelten sich auf dem Boden. Heute prägen auf Maß geschreinerte Einbauschränke und ein großer Schreibtisch den Raum. Eine Sitzgruppe erwartet die Besucher, Fachleute zum Informationsaustausch, schwierige Verhandlungspartner, aber auch „normale Zapfendorfer“. „Sie kamen mit persönlichen Problemen, manchen konnte ich helfen, anderen nicht. Aber ich sah: Die Menschen haben Vertrauen zu ihrem Bürgermeister.“
Dabei ist er keiner, der auf allen Hochzeiten tanzt, sondern ein Familienmensch. Er hat es genossen, die Mittagspause zu Hause zu verbringen, nach Abendveranstaltungen blieb er nie sitzen bis in die Puppen, sondern strebte heim. Wofür er oft Kritik einsteckte. Er feierte nicht ein einziges Mal auf einer Wahlparty. „Wenn alle Wahlhelfer arbeiten, arbeite ich auch“, war seine Maxime.
Martin lebt in einem „Mehrgenerationenhaus“ mit seiner Frau, den Eltern und der Tochter mit Familie. Und er freut sich darauf, bald mehr Zeit hier zu verbringen. „Das erste, was ich im Mai in Angriff nehme, ist Fenster streichen“, verrät er und lacht. Auch im Garten will er arbeiten. Öfter verreisen. Endlich Zeit zum Lesen finden und neue Hobbys entdecken.
Der 63-Jährige hätte noch einmal kandidieren können, er wurde von vielen Seiten gefragt. „Wenn, dann hätte ich die Periode durchgezogen. Aber dann wäre ich 69 Jahre alt gewesen. Wer weiß, wieviel Zeit einem dann noch bleibt?“, begründet er seinen Ausstieg. Er weiß wovon er spricht, war er doch schon zweimal an Krebs erkrankt. Heute fragt sich der Nichtraucher und Nichttrinker, der sich stets sportlich betätigt und gesund ernährt hat, ob der Stress im Beruf zur Krankheit beigetragen hat. Er sei keiner gewesen, der das Büro verlassen und den Schalter umlegen konnte. „Ich habe viele Nächte gegrübelt und keinen Schlaf gefunden.“ Außenstehende könnten sich nicht vorstellen, womit ein Bürgermeister konfrontiert werde. Es gebe keinen Feierabend und kein Wochenende. Ob am Telefon, an der Haustüre oder auf der Straße, immer packe jemand die Gelegenheit beim Schopf und bringe sein Anliegen vor.
1978 hatte Zapfendorf 3630 Einwohner. Bei der Gebietsreform sei eine Zusammenlegung von Zapfendorf mit Rattelsdorf im Gespräch gewesen. Martin ist sich sicher, dass eine erneute Gebietsreform bereits in den Schubladen der Verantwortlichen schlummert. Dass Dörfer wie Wattendorf mit 687 Einwohnern noch einen eigenen Bürgermeister haben, sei erstaunlich. Auch die kleinen Landkreise werden nicht auf Dauer eigenständig bleiben, so seine Überzeugung.
Heute ist er der „Chef“ von rund 5000 Bürgern. Der größte Arbeitgeber in der Gemeinde ist die Milch verarbeitende BMI mit rund 220 Mitarbeitern. Ein weiterer wichtiger Betrieb ist Nestmann Pharma. „Das Gesündeste bei uns ist das gute Handwerk“, sagt der Bürgermeister. Das stütze die Gewerbesteuer. Einnahmen braucht die Kommune. Mit dem Schwimmbad mit seiner bekannten Riesenrutsche besitzt sie eine Draufzahleinrichtung. „Ich habe mich immer gerne für das Warmwasserfreibad ausgesprochen“, so Martin. Es sei ein weicher Standortfaktor und ziehe, wie die gute Verkehrsanbindung und Infrastruktur, Neubürger an.
Das Freibad öffnet als erstes in Bayern und schließt als letztes. Das ist möglich, weil die BMI warmes Wasser über Wärmetauscher liefert. Martin hofft, dass der Freistaat sich dazu durchringt, Sanierungen an Bädern wieder zu fördern: „Kinder müssen schwimmen lernen.“
Der Rathauschef hat sich kontinuierlich fortgebildet, Seminare besucht und Fachwissen angeeignet. Er hat als Kreisvorsitzender des Bayrischen Gemeindetags den Austausch mit anderen Bürgermeistern gepflegt und war immer auf dem Laufenden, was aktuelle Fördermöglichkeiten anbelangt. „Als das Konjunkturpaket II beschlossen wurde, hatten wir die Pläne für eine energetische Schulsanierung schon fertig im Schreibtisch.“
Eine Maßnahme hat die Entwicklung Zapfendorfs in den vergangenen 23 Jahren behindert: Der geplante Ausbau der Bahntrasse, der immer wieder verschoben wurde. „Wahnsinnig viel Zeit habe ich da investiert, Monate an Arbeit. Kein Bürgermeisterkollege und kein Bahnplaner ist so lange dabei wie ich.“ Viele Verhandlungen mit der Bahn seien nötig gewesen. „Reine Konfrontation bringt nichts“, unterstreicht Martin. Mit Sicherheit komme jetzt ein massiver Einschnitt auf Zapfendorf zu. Drei Jahre Baustelle rund um die Uhr.
Das Hin und Her der vergangenen zwei Jahrzehnte hat die Realisierung der Ortsumgehung „Westtangente“ verhindert. Erst diese Umgehung mache eine Aufwertung der Durchgangsstraße möglich. „Ich hätte so gerne geordnete Parkmöglichkeiten in der Hauptstraße, dazwischen Bäume, ähnlich wie in Ebensfeld“, so Martin. Jetzt sei die Verwirklichung in greifbare Nähe gerückt. Wenn die Westtangente steht, werde die Durchgangsstraße von Staatsstraße auf Kreis- und Gemeindestraße herabgestuft. Dann sei eine Umgestaltung möglich. „Hier muss der neue Gemeinderat dranbleiben.“ Stolz ist der Bürgermeister, dass Zapfendorf zurzeit eine von drei Pilotgemeinden ist zur energetischen Stadtsanierung.
„Wenn mein Nachfolger Fragen hat und intern meine Unterstützung braucht, bin ich da.“
Josef Martin
Ganz mit der Politik abschließen will Martin nicht. Er hat erneut für den Kreistag kandidiert und ist erwartungsgemäß gewählt worden. Hier bringt er seine Erfahrung weiterhin ein.
Seinem Nachfolger wünscht er alles Gute. Er soll überlegt und ruhig an alle Projekte herangehen, so gelängen gute Entscheidungen. Und er soll an seine eigene Gesundheit denken, nur gesund könne er etwas für die Gemeinde verwirklichen. „Ich werde mich nicht aufdrängen, aber wenn mein Nachfolger Fragen hat und intern meine Unterstützung braucht, bin ich da“, versichert Martin. Bürgermeister sei eine anstrengende Aufgabe, aber hochinteressant. Wer eine Gemeinde gestalten und vorwärts bringen will, für den sei es eine prima Sache. „Ich hab' es nie bereut. Jetzt freue ich mich darauf, nicht mehr nach der Uhr leben zu müssen.“