Schlendern, schauen und genießen beim Altstadtfest 2014 erstmals mit Festzug
„Auf Seitn, obachd, dä Radsherr kümmt!“ Mit grimmigem Gesicht brüllt der Lanzenträger Uwe Böh und schiebt die Neugierigen unerbittlich zur Seite, eine junge Frau im Büßergewand vor sich her treibend. Es ist Altstadtfest in Bad Staffelstein, und das Mittelalter lebt. Erstmals ziehen am Sonntagnachmittag die historisch Gewandeten durch die Straßen der Stadt. Der in Lumpen gehüllte Leprakranke bettelt um einen Obulus, während der Ritter im Kettenhemd vom hohen Ross herab das niedere Volk huldvoll grüßt und der Henker sein Beil schwingt.
Die Geburtsstadt des Rechenmeisters Adam Riese feiert zum 34. Mal zusammen mit den Einwohnern und Tausenden von Besuchern mit Vorführungen des historischen Handwerks, Lagerleben, mittelalterlichen Darbietungen, Musik aller Stilrichtungen und kulinarischen Angeboten ihr Altstadtfest.
Die Gäste reisen bei den Vorführungen der Handwerker, bei den glänzenden Kunststücken von Zauberer „Alexander von der Galgeneiche“, Tänzen aus dem Morgenland und vielen Attraktionen zurück in die Zeit des Mittelalters. Bunt und fröhlich und auch ein bisschen gruselig geht es zu. Alexander Krappmann fängt sich eine Hexe ein und bindet sie auf die Streckbank. Ein gnadenlos lautes „Jaaa“ erschallt, als er fragt: „Soll ich weiterstrecken?“ Roland Krappmann will auch ein wenig „foltern“, stellt jedoch lachend fest, dass die Hexe gar nicht kitzlig ist. Pranger und Scheiterhaufen erinnern daran: Im Mittelalter ging es radikal und nicht immer gerecht zur Sache.
Der Einmarsch der Kaufleute ist der Auftakt des Altstadtfestsonntags. Immer vorneweg dabei: Der Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Bad Staffelstein. Gern gesehene Gäste sind die Lanzenträger aus Ebensfeld unter der Regie des Ehepaars Böh. Die „hochwohllöblichen Festbesucher“ begrüßt Bürgermeister Jürgen Kohmann. Er und die Ehrengäste erwarten die historische Handwerker- und Kaufmannschaft, den Magistrat und die Marketenderinnen vor dem Rathaus. Kohmann dankt dem Organisatorenteam, den „glorreichen Sieben“ Susanne Mayr, Alexander Krappmann, Alexander Welsch, Markus Alin, Theo Wittmann, Michael Lieb und Thomas Hertel für die Vorbereitung des Altstadtfestes.
Der Mathematikprofessor Ulrich Reich aus Karlsruhe kommt gerne nach Bad Staffelstein. „Es war schwer, ein Zimmer zu bekommen“, sagt er. Wer kurz entschlossen zum Altstadtfestwochenende nach Bad Staffelstein kommen will, der muss langen Atem mitbringen bei der Zimmersuche. Da strahlt Markus Alin vom Kur und Tourismus Service. Ihn freut es, wenn die Unterkünfte so gut wie ausgebucht sind. Reich hat ein Zimmer gefunden und steht am Sonntag auf der Bühne, um lustig und kurzweilig über Adam Rieses Rechenkunst aufklären.
Eine besondere Vorführung ist die Darbietung des trommelnden Schusterjungen Elias Hertel. Er lässt auf dem Glockenspiel die Deutschlandhymne erklingen. Das Publikum singt mit und klatscht begeistert. Im Hintergrund wetzt schon der Barbier sein Messer und befreit die Bartträger von ihren Stoppeln.
Wer sehen will, wie ein Kachelofen entsteht oder ein Fachwerk ausgemauert wird, wer sich in Hypnose versetzen lassen will oder das Bierbrauen lernen, der ist hier an der richtigen Adresse.
Mit Ausdauer und Schweiß
Die Arbeit war anstrengend. Zum ersten Mal ist ein Schindelmacher beim Altstadtfest und zeigt seine Kunstfertigkeit. Viele kennen ihn aus seiner Zeit als Lehrer an der Adam-Riese-Schule: Es ist Robert Gagel aus Michelau. Der Mittelalterfan hat dieses alte Handwerk erst hobbymäßig erlernt, inzwischen beherrscht er das gleichmäßige Schlagen der Holzplatten so gut, dass er schon kleine Dächer eingeckt hat. „Erst wer selbst so gearbeitet hat, erkennt, was die Menschen früher geleistet haben“, sagt Gagel. Heute gebe es kaum mehr einen Handwerker, der das Schindelmachen beherrscht, nicht einmal im Alpenland. Dachdecker könnten die Schindeln zwar noch befestigen, bekommen diese aber fertig geliefert. „Lärche ist am besten geeignet“, verrät er weiter. Astfrei, verstehe sich. Er nimmt sein Schindelspalteisen und schlägt konzentriert das nächste Brett von dem Holzklotz, der vor ihm auf dem Boden liegt.
„Hol mich hier raus“: Das Brot im Backofen riecht märchenhaft lecker. Für das Altstadtfestwochenende haben Alexander Welsch und seine Frau extra einen Lehmbackofen aufgebaut und zeigen hier ganz ursprünglich das Brotbacken. Und vorher schwingen sie den Dreschflegel: Schweiß kostet es, bis die Körner aus den Ähren fliegen. Die Straßenmusiker und Tänzer der „Danserey Landshut“ sind ein besonderer Augenschmaus. Mit frechen Sprüchen, für jeden Schabernack zu haben und dabei Mittelaltermusik auf historischen Instrumenten spielend: Die Gruppe „Vogelfrei“ zieht die Blicke auf sich.
Als Kenner der Mittelaltermode und als eloquenter Moderator beweist sich Michael Hess: Die jüngsten Teilnehmer dürfen sich einer Jury stellen, die drei am schönsten Gewandeten erhalten einen Preis, doch auch die anderen Teilnehmer dürfen sich über eine Anerkennung freuen. Elias Hertel mit seiner Gugel, einer historischen Kopfbedeckung, erringt den dritten, Anna Hess als Ritter mit Pferd den zweiten und Leo Stichert und Anton Weidler aus dem Nachbarlandkreis Coburg, wackere Ritter, den ersten Platz.
Traditionell erhellt bereits am Samstag Professor Dr. Günter Dippold den Schatten der Vergangenheit und erzählt manches, was selbst alteingesessenen Staffelsteinern unbekannt ist. Die Begehung führt in diesem Jahr in die Viktor-von-Scheffel-Straße, einst der Burgweg. „Hier hat sich viel verändert in den vergangenen Jahrhunderten“, weiß der Bezirksheimatpfleger. Als das Krankenhaus an der Stelle errichtet wurde, wo heute der Quellenhof eine Heimat für Senioren bietet, war die Bebauung hier zu Ende. Ein Krankenhaus, zu der Zeit eine moderne Einrichtung, gab es eher in Universitäts- denn in Kleinstädten. 34 Betten in sechs Zimmern versprachen den Kranken Hilfe. Bis 1971 das Lichtenfelser Kreiskrankenhaus eröffnet wurde.
Zum Ausgleich für den Verlust der Funktionen einer Kreisstadt in der Gebietsreform erhielt Staffelstein dafür 1973 an dem Platz das Kreisaltenheim. Seit 1993 ist auch das Geschichte, und es wurde abgerissen. Das Haus gegenüber wird ebenfalls bald von der Bildfläche verschwinden. Vor mehr als 100 Jahren vom damaligen Baulöwen Geyer errichtet, der auch Amtsgebäude und die Staffelbergklause erbaut hat, steht der Abbruch bevor für das zukunftsweisende Wohnprojekt „In der Heimat leben“.
Früher führte hier nur ein Weg aus der Stadt, der sich Richtung Staffelberg in eine Hohlgasse wandelte. Hier waren die Felsenkeller zu finden, in denen die Bauern ihr Bier lagerten. Den alten Weg vor Augen, marschierte die Schar bei der Begehung weiter zum Friedhof. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts begruben die Staffelsteiner ihre Toten rund um die Kirche. Wurde ein Grab erneut gebraucht, kamen die Knochen daraus ins Beinhaus. „Ordentlich gestapelt, Schädel zu Schädel, Oberarm zu Oberarm“, beschreibt Dippold. Die Verordnung des Bayerische Staates, den Friedhof entfernt von der Stadt anzulegen, ignorierten die Staffelsteiner einfach. Das war einem Lichtenfelser Beamten ein Dorn im Auge, er suchte einen Platz für die Begräbnisstätte und fand sie nahe der bekannten alten Linde. Das Beinhaus an der Kirche wurde abgerissen. Ein vergleichbares Bauwerk ist heute noch in Baunach zu finden.
Beim Sterben zugesehen
Die alte Linde, jeder Staffelsteiner kennt sie, und noch viele mehr. „Wer musste nicht alles auf den Wandertagen zum Staffelberg bis in die 90-er Jahre an den Resten der Linde vorbei und ihr beim Sterben zusehen?“, erinnert Dippold. Dass es sich um einen Gerichtsbaum handelte, wie es in der jüngeren Literatur geschrieben steht, bezweifelt der Historiker. Zur Zeit der Gerichtsplätze sei die Linde erst ein kleines Bäumchen gewesen. „Es spricht wenig für einen Gerichtssitz, doch die Linde war ein Naturdenkmal von nationaler Bedeutung“, lautet seine Überzeugung.
„Es spricht wenig für einen Gerichtssitz, doch die Linde war ein Naturdenkmal von nationaler Bedeutung.“
Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger
Rund 4,5 Meter Durchmesser und 24 Meter Umfang soll sie Anfang des 20. Jahrhunderts besessen haben. In dem hohlen Baum hätte ein Reiter sein Pferd umwenden können, so die Geschichte. Der Rest der Linde ist heute im Stadtmuseum zu finden. Letzte Station ist der Bauernhof der Familie Hümmer, hier stand einst eine moderne Mühle mit Dampfantrieb. Sie ist dem Mühlensterben zum Opfer gefallen wie die vielen Mühlen im Stadtgebiet, nur das Bauernhaus ist geblieben. Nach der Begehung wartet das Team der Adam-Riese-Werbegemeinschaft rund um Theo und Karin Wittmann mit einer Stärkung auf: Die Erbsensuppe in der Brotschüssel findet reißenden Absatz.
Ponyreiten im Stadtgraben, ein Flohmarkt für Kinder, die Porträtausstellung des AK Fotokunst der Kulturinitiative im Stadtturm sowie Musikbands an vielen Ecken, das Altstadtfest hat für jeden Besucher etwas zu bieten. Die kleinen Besucher tummeln sich in der Horsdorfer Straße bei den historischen Kinderspielen, vom Kegeln bis zum Armbrustschießen.
Als letztes großes Highlight ist das große Mittelalter-Feuerwerk mit Musik am Stadtturm als Ausklang des Altstadtfestes geplant. Doch um 17 Uhr beginnt es zu regnen. Der einzige Wermutstropfen an einem ansonsten rundum gelungenen Stadtfest mit vielen gut gelaunten Gästen und Akteuren.