„Doch bei Lichte betrachtet sind sie im Grunde noch immer die alten Affen.“ Erich Kästner – das ist weit mehr als „Emil und die Detektive“ und „das fliegende Klassenzimmer“. Bei der Brückentheater-Aufführung im Bad Staffelsteiner Kurpark brachte Schauspieler Jan Burdinski dem Publikum unterhaltsam die vielschichtige, immer wieder auch tiefsinnige, manchmal gar ein wenig „wütende“ Kabarettlyrik des vielen nur durch seine Kinderbücher bekannten Autors nahe.
Jan Burdinski charakterisierte in der zweistündigen Veranstaltung – wie immer sein breites Repertoire an Mimik, Gestik und Stimmfarbe in die schauspielerische Waagschale werfend – ausgezeichnet den ganzen Menschen Erich Kästne, dessen Werke lachen, weinen oder anklagen.
Überzeugter Antimilitarist
Kästner war überzeugter Antimilitarist. In nachdenkliche Zuschauermienen blickte man beim Gedicht „Denn ihr seid dumm“, mit dem Kästner um 1930 den Nazis poetisch die Leviten las: „Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen / in die Kasernen der Vergangenheit / Glaubt nicht, dass wir uns wundern, wenn ihr schreit / denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien“.
Auf künstlerisch hochwertige Art bekam das Publikum vermittelt, wie genau Kästner die Welt um sich beobachtete und sein feines Gespür, Sackgassen der menschlichen Evolution schon frühzeitig zu erkennen, dichterisch umsetzte. So gewinnt das vor über 80 Jahren von ihm geschriebene Werk „Der synthetische Mensch“ eine fast erschreckende Aktualität. Darin stellt ein Professor seine neueste Erfindung vor – den Menschen auf Bestellung, frei ab Fabrik, ganz ohne Umwege über Wiege, Kindergarten und Abitur.
Den melancholischen („Eisenbahngleichnis“), den romantischen „Beispiel von ewiger Liebe“ und gelegentlich auch einmal etwas frivolen („Don Juans letzter Traum“) Kästner bekamen die Zuhörer ebenso geboten. Und wie beispielsweise auch Astrid Lindgren war Kästner der festen Überzeugung, dass ein guter Kinderbuchautor immer ein bisschen Kind bleiben sollte. Die Seele der Zuhörer berührte Burdinski hier mit „Kleine Epistel“. Kästner sieht darin die Welt mit Kinderaugen: „Die Stühle waren höher, die Straßen breiter, die Donner lauter, die Himmel weiter“.
„Erich Kästner lässt sich nicht in eine bestimmte Schublade stecken“, meinte Burdinski. Wie recht er damit hat. Kästner war keineswegs ein Grantler, er schaute nur den Menschen auf die Finger. Und Kästner hatte auch eine heitere Seite. Diese kam bei der letzten diesjährigen Brückentheater-Darbietung nicht zu kurz. Burdinski setzte sich, wie mehrmals an diesem Abend, ans Keyboard und trällerte, fröhlich in die Tasten greifend, den verrückt-lustigen Chanson „Wer hat noch nicht, wer will noch mal“, zu dem Kästner den Text geschrieben hatte. Von absurden Wesen eines Schreckenskabinetts wird dabei vergnüglich erzählt, von der boxenden Katze bis zum sprechenden Riesenwal. In einem anderen Gedicht outet sich Kästner nicht minder humorvoll als Faschingsmuffel, beschrieb, wie sich ein Mann fühlt, der einzig aus Liebe zu seiner Angetrauten mit ihr auf den Maskenball geht.
Und bei nicht wenigen Werken Kästners reichen sich Tiefsinnigkeit und Humor wunderbar die Hand. Eindrucksvolles Beispiel ist sein Gedicht „Die Entwicklung der Menschheit“, welches mit dem eingangs genannten Satz mit den Affen schließt. Wie ein solcher hüpfte Burdinski dabei über die Bühne – um beim nächsten, bissigeren Gedicht wieder ernster zu werden.
Dass sich Burdinski am Ende der zweistündigen Erich-Kästner-Hommage über kräftigen Applaus freuen durfte, kam nicht von ungefähr. Der Schauspieler kommt wohl deshalb so gut beim Publikum an, weil er die Schauspielkunst erstklassig beherrscht und auf der Bühne auch sein Herz sprechen lässt, die Zuschauer „mitnimmt“. So sagte mancher auf dem Nachhauseweg im Kurpark zum Spaß den gemeinsam einstudierten poetischen Ohrwurm „An die Maus in der Falle“ auf, welchen Burdinski zusammen mit dem Publikum einstudiert hatte: „Du rennst im Kreis und suchst ein Loch? Du rennst umsonst! Begreif es doch! Besinn dich – ein einz'ger Ausweg bleibt dir noch: Geh in dich!“