Ansteckend sind Depressionen und Alkohol- oder Spielsucht nicht. Aber es wäre fatal, derlei Erkrankte nur isoliert zu betrachten, ohne die Familie einzubeziehen. Das 17. Psychiatrie-Symposium des Bezirksklinikums Obermain am Samstag in Kutzenberg widmete sich mit Vorträgen und Workshops der Belastung, ja bisweilen Überforderung der Angehörigen psychisch Kranker oder Suchtkranker.
Das Symposium richtete sich an alle, die im psychosozialen Bereich tätig sind und erfuhr eine sehr gute Resonanz. Ärzte und Psychotherapeuten, Vertreter von Selbsthilfegruppen und viele mehr kamen, um sich auszutauschen. Dass die Belange der Angehörigen der Patienten nicht außen vor bleiben dürfen, betonte Dr. Christoph Mattern, Chefarzt der veranstaltenden Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Obermain: „Jeder, der einen psychisch Kranken in der Familie hat, weiß, wie viele Mühen und Sorgen damit verbunden sind“. Vorträge thematisierten wichtige Aspekte rund um den Themenkomplex. Ohnmacht, ja bisweilen Wut, weil der depressive Partner sich mitunter sehr egozentrisch gibt, fühlten die Angehörigen und seien somit einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt, betonte etwa Oberärztin Dr. Iris Matzner vom Bezirksklinikum. Der Vortrag der Medizinerin war überschrieben mit dem Satz, den die Witwe des bekannten Fußballprofis Robert Enke einen Tag nach dessen Suizid im Interview gesagte hatte: „Wir dachten, mit Liebe geht das“. Matzner stellte Hilfestrategien für Angehörige vor, räumte auf mit dem immer noch verbreiteten Irrglauben, dass Kinder nicht depressiv werden können, und ging ein auf Stigmatisierung und falsches Schamgefühl im Umgang mit Suchterkrankungen und Depressionen.
„Genauso gut können Sie einer Magersüchtigen sagen, sie solle doch etwas essen, weil sie so dünn ist.“
Diplompsychologin Ursula Buchner, zum Thema Spielsucht
Fachlich fundiert, aber auch aufrüttelnd und schonungslos gestaltete sich der Vortrag von Diplompsychologin Ursula Buchner von der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen zum Thema Spielsucht. Die Ehefrau eines Spielsüchtigen müsse begreifen, dass ihr Gatte sie deshalb immer wieder anlügt und heimlich ihren Geldbeutel leert, weil er krank ist. Die Referentin zeigte Lösungsstrategien auf, erläuterte in diesem Kontext die für betroffene Angehörige sehr hilfreiche Homepage www.verspiel-nicht-dein-leben.de, einer Initiative der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern sowie weitere Hilfemöglichkeiten wie „ETAPPE“ oder „EfA“. Mitunter werde die Glücksspielsucht noch verharmlost nach dem Motto „Das ist doch keine Krankheit, der kann doch einfach aufhören, wenn er Schulden hat“. Buchner, die auch einen Workshop zum Thema leitete, kann bei solchen Sätzen nur mit dem Kopf schütteln: „Genauso gut können Sie einer Magersüchtigen sagen, sie solle doch etwas essen, weil sie so dünn ist“.
Als weitere Referenten sprachen Oberärztin Dr. Angela Roth aus Göttingen, Chefarzt Dr. Abiodun Bernard Joseph aus Wermsdorf sowie Ute Geßlein von der Selbsthilfegruppe „Angehörige psychisch Kranker Bayreuth“ (APK). Eine Industrieausstellung bot den Fachbesuchern die Möglichkeit, mit den Vertretern von Selbsthilfegruppen, Arzneimittelherstellern oder auch zum Thema ADHS ins Gespräch zu kommen.
Thema Suizid darf kein Tabu sein
Das Symposium trug auch zur Enttabuisierung des Themas „Suizid“ bei. So befasste sich einer von zwei Workshops mit der „Verarbeitung des Suizids des geliebten Partners“. Der Workshop wurde geleitet von Elisabeth Brockmann von der AGUS-Selbsthilfegruppe Bayreuth, die betroffenen Angehörigen neuen Halt und Lebensmut gibt.
„Der Mann, der den Berg abtrug, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen“. Diese chinesische Weisheit zitierte in ihrem Vortrag Dr. Angela Roth. Wer einen Suchtkranken oder Depressiven in der Familie hat oder gar den Suizid des Partners verkraften muss, habe wahrlich schwer zu schleppen. Ärzte, Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen – so der Tenor des gelungenen Symposiums – helfen gerne beim Tragen.