Für Udo Nuffer sind die kommenden Urlaubstage die arbeitsreichsten, gefährlichsten und emotionalsten Tage des Jahres. Statt irgendwo faul in der Sonne zu braten, kreuzt er in internationalen Gewässern im Mittelmeer. Seine Mission: Mit seinem Team Menschen vor Afrika vor dem sicheren Tod retten. Der Ebensfelder hat als Skipper auf dem Rettungsschiff „Sea-Eye“ angeheuert. Ehrenamtlich. Ende September beginnt der Auftrag vor der Küste Libyens.
Fast täglich geistern Bilder vom Massengrab Mittelmeer durch die Medien. Filmsequenzen von überladenen, kaputten oder untauglichen Schlauchbooten, von verzweifelten Menschen in Angst und höchster Not, auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Terror. „Kein Schlauchboot hat es je von Tripolis an die Küste Europas geschafft“, sagt Udo Nuffer mit ruhiger Stimme. Innerlich brodelt es in ihm. Er ist wütend, dass die europäische Staatengemeinschaft viel zu wenig unternimmt. Deshalb hat er sich selbst „ins Spiel“ gebracht.
Ein umgerüsteter Fischkutter
Der 52-Jährige war heuer bereits schon einmal auf der „Sea-Eye“. „Das war eine ganz spontane Sache. Mein langjähriger Freund Günther Pirnke erzählte mir von dem Verein, den der Regensburger Michael Buschheuer 2015 gründete und der alleine aus Spendengeldern einen hochseetauglichen Fischkutter aus Beständen der ehemaligen DDR zu einem Rettungsboot umrüstet. Günther half selbst bei der Restaurierung mit.“ Nuffer war sofort fasziniert von so viel Uneigennützigkeit. „Als mich dann mein Freund anrief und sagte, es sei, kurz nach der Überführung nach Sizilien, noch ein Platz frei auf der ,Sea-Eye‘, überlegte ich nicht lange. Ich bekam spontan frei, so habe ich innerhalb von vier Stunden einen Flug von München nach Sizilien gebucht, habe in zehn Minuten meinen Koffer gepackt – und bin losgefahren.“ Das war in den Osterferien, vom 19. bis 28. März. Im Hafen von Licata ging er an Bord. Er übernahm den Posten eines Rudergängers.
Udo Nuffer und seine Frau Petra sind seit Jahren begeisterte Segler, er kennt also die See und ihre Tücken. Trotzdem sind die Abläufe auf einem ehemaligen Fischkutter etwas ganz anderes. Vor allem, wenn der auf hoher See in internationalen Gewässern 30 Kilometer vor der libyschen Küste kreuzt. Gemeinsam mit internationalen Schlachtschiffen und Fregatten der EU-Mission „Sophia“, aber auch in Reichweite von wenig zimperlichen Piraten, Schmugglern und Schleusern. Dass die Rettungsmission der „Sea-Eye“ hoch gefährlich ist, darüber sind sich alle Crew-Mitglieder bewusst. Aber eben auch darüber, dass sie helfen müssen. „Schon bei meinem ersten Besuch an Bord probten wir die Abläufe, die für die Rettung von Flüchtlingen nötig sind“, erklärt Nuffer. „In diesen Tagen war die Hochsee 30 Kilometer vor Tripolis aber so rau, dass sich kein Schlauchboot in die Fluten wagte.“ Trotzdem wurde geübt. Im Ernstfall müssen alle Handgriffe sitzen.
„Als Crewmitglied hast du vier Stunden Wachdienst, dann acht Stunden für Schlaf, Körperhygiene, Regeneration“, erläutert er. „Alles auf dem ehemaligen Fischkutter ist rustikal, zweckmäßig, oft klein gehalten. Beispielsweise die Gemeinschaftstoilette oder die sehr enge Duschgelegenheit. Urlaub ist das nun wirklich nicht.“
Alle 14 Tage wechselt die Crew auf der „Sea-Eye“. „Es ist stets ein bunt zusammengewürfelter Haufen Freiwilliger aus allen Gesellschaftsschichten, von der Archäologin und dem Arzt über den Hobbysegler bis zum Berufspiloten. Sie alle bekommen kein Geld für ihren Einsatz“, erklärt der Diplom-Ingenieur. Für den 52-Jährigen stand von Anfang an fest, dass er ein zweites Mal auf der „Sea-Eye“ Dienst tun wolle. Seit einigen Wochen nun weiß er, dass er der Leiter der „M12“, der zwölften Rettungsmission, sein wird. Start ist Ende September auf Malta, Ziel ist wieder die Küste vor Libyen. Mit sieben Knoten Geschwindigkeit, 1500 Litern Trinkwasser in Flaschen, 700 Rettungswesten und Platz für 500 Personen in den Rettungsinseln.
„Selbst wenn die See ruhig ist, liegt der Wellengang in unserem Patrouillebereich selten unter zwei Metern. Dazu ist es heiß und stickig, es kann bis zu 45 Grad Celsius haben. Da hat der Körper kräftig zu kämpfen“, erklärt er. Koordiniert wird die „Sea-Eye“, wie alle Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) auf Rettungsmission, via Satelliten-Telefon vom „Maritime Rescue Coordination Centre Rome“, der internationalen Seenotrettungszentrale in Italiens Hauptstadt. „Die Jungs machen das mit, weil es sonst keiner macht“, sagt Nuffer süffisant. Wird ein Flüchtlingsboot gesichtet, wie beispielsweise gleich in der Mission 1 der „Sea-Eye“ geschehen, werden sämtliche Schiffe der Region in die Menschenrettung eingebunden. „Das ist internationales Seerecht. Jeder muss helfen“, betont der Ebensfelder. Auch die Kriegsschiffe.
Intensive Vorbereitung
Nuffer ist sich bewusst, dass längst nicht jede Rettungsmission ein glückliches Ende hat. Auch die Crew der „Sea-Eye“ musste schon miterleben, dass jede Hilfe zu spät kam. „Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir NGOs zahlreich vor Ort sind“, bekräftigt er. „Die Zusammenarbeit beispielsweise mit Sea-Watch oder auch Ärzte ohne Grenzen, die jeweils mit Schiffen vor Ort sind, läuft überaus positiv. Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, wir sehen uns als Partner.“
Derzeit bereitet Nuffer sich akribisch auf die Leitung der Rettungsmission vor. Er studiert Seekarten, liest Missionsprotokolle, knüpft Kontakte und sammelt jedwede Informationen. Der Ebensfelder will möglichst gut vorbereitet sein auf das Ungewisse. „Keiner weiß, was uns erwartet“, gibt er unumwunden zu. „Es ist für alle ein Wagnis, darüber muss man sich klar sein. Doch es gibt nichts Schöneres, als auf hoher See helfen zu können.“ Als Hobbysegler hat Nuffer schon oft in Not Geratenen auf hoher See Hilfestellung gegeben. Neu ist, dass es nun um Menschleben geht.
Während seiner Zeit auf See hat Nuffer dann keinen Kontakt zu seiner Familie. „Das Satellitentelefon wird für die Missionen gebraucht, steht privat nicht zur Verfügung“, sagt er verständnisvoll. Vollste Rückendeckung bekommt er auch von Ehefrau Petra und den Kindern. Sie spricht von „Wir auf der Sea-Eye“, ist mit ganzem Herzen dabei.
Rund 1500 Euro kostet ein Tag der Rettungsmission „Sea-Eye“: 19 Liter Schiffsdiesel pro Stunde wollen bezahlt sein. Um weiter Menschenleben retten zu können, ist der gemeinnützige Verein auf Spendengelder angewiesen (siehe Infobox). Und auf Freiwillige, die sich für die Hilfsaktionen zur Verfügung stellen. Auf der Homepage: www.sea-eye.org gibt es eine Fülle an Informationen rund um die Rettungseinsätze.
Spendenkonto
Konto Sea-Eye e.V.
IBAN: DE60 7509 0000 0000 0798 98
BIC: GENODEF1R01
Kreditinstitut: Volksbank Regensburg, Stichwort: „Sea-Eye“
„Kein Schlauchboot hat es je von Tripolis an die Küste Europas geschafft.“
Udo Nuffer, Leiter der Rettungsmission 12