Dass die Kleinkunstabende in diesen Sommer im Brückentheater unter den niedrigen Temperaturen gelitten haben, kann niemand behaupten. Auch bei der letzten Aufführung in dieser Saison gab es angenehme Temperaturen, auch wenn Jan Burdinski auf die vom Theatersommer angeschafften warmen Decken hinwies. War es vor einer Woche noch mit Otto Reutter, einer der ganz großen Vertreter des deutschen Varietés, so widmete sich Burdinski diesmal den Franzose Francois Villon, einen der bedeutenden Poeten des französischen Spätmittelalters.
In die Halbwelt abgetaucht
Mit Chansons und Balladen zeigten Jan Burdinski und Lutz Götzfried in „Himmelsflüge - Höllenstürze“ einen Dichter im Frankreich des 15. Jahrhunderts, der sich als Straßenräuber und Frauenheld durchschlug und sein wildes Leben für die Nachwelt in zum Teil deftigen Versen festhielt. Dessen berühmtester Satz „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ bis heute unvergessen ist. Ausgangspunkt des szenischen Spiels war eine Gerichtsverhandlung wegen versuchten Totschlags gegen Francois Villon. Lutz Götzfried schlüpft mit Richterrobe bekleidet in die Rolle des Anklägers und Jan Burdinski in die Rolle Villons.
Francois Villon, 1431 in Paris geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen. Zu jener Zeit lebte der Adel und die Kirchenfürsten im Überfluss, während dem einfachen Volk oft bittere Armut die letzte Menschenwürde raubte. Francois Villon ist mitten im Hundertjährigen Krieg aufgewachsen, der die Erbfeindschaft zwischen England und Frankreich begründete. Er erhielt durch Pater Guillaume de Villon eine für die damalige Zeit exzellente Ausbildung, die er 1452 mit dem Magister Artium abschloss. Schon bald kommt er wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt. Wegen eines im Streit verübten Totschlags taucht er um 1455 in die Pariser Halbwelt unter und wird Mitglied im Geheimbund der „Coquille“.
Ein Baum im Sommerwind
In Liedern und Texten bringen Götzfried und Burdinski die Gegensätze wie Tod und Leben, Liebe und Trennung, Reichtum und Armut auf den Punkt. Die Sommerballade von der armen Louise erzählt von einem Schicksal, welches viele Frauen jener Zeit erlebten. „Sie war nur armer Leute Waisenkind und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind“ heißt es zu Beginn des Liedes um dann in der Erkenntnis zu münden, das nicht nur Brot allein satt macht, es muss auch Liebe sein. Ihr Mann stirbt schließlich auf dem Schlachtfeld. Am 21. November 1461 wird der Dichter schändlicher Lieder des versuchten Mordes erneut angeklagt. Die Anklage wirft ihn vor, die gute Erziehung durch Pater Guillaume de Villon zu missbrauchen für Hurerei und Sauferei.
Erinnerung an Liebschaften
Unter Folter gesteht er schließlich das Verbrechen. „Wenn ihr niemanden habt, dann bin ich euer Mann“. In frech-frivolen Liedern erinnert sich Villon an seine unzähligen Liebschaften und Schäferstündchen. Auf seltsame Art berührend ist die Ballade vom Mäuslein, dass in Villons Zelle Junge bekam. Auch die Ballade von den drei Landstreichern kommt reichlich Makaber daher. Durch den Wechsel zwischen derb-zynischem Wortwitz und tiefer, aufrichtiger Empfindung wirken Villons Balladen auch über 500 Jahre noch frisch und sehr Lebendig. Den Sommer 1461 verbringt er im Kerker des Bischofs von Orléans und schreibt an seinem Testament. Seine Versuche den Herzog gnädig zu stimmen schlagen fehl. Erst der neugekrönte König Louis XI. begnadigt Villon. „Wieder einmal ist eine Chance vertan, einen Schurken das Handwerk zu legen“, stellt der Ankläger fest, und schlägt das Buch zu. Götzfried und Burdinski erhalten von einem hochzufriedenen Publikum einen minutenlangen Applaus für ihre Leistung.