„Es ist ein Trauerspiel, dass der vom Landratsamt abgesagt hat!“ Josef Braun ist sehr enttäuscht. Die Einladung an Vertreter der Stadt Bad Staffelstein, Bauamt, Sehbindertenbund Oberfranken, Stadtplanungsbüro und Presse gingen rechtzeitig heraus, und alle waren da. Nur Rudolf Ruckdeschel, Behindertenbeauftragter vom Landsratsamt ließ sich sehr kurzfristig entschuldigen: „Er müsse sich erst informieren“, erklärte Braun.
Grund des Treffens am Samstagmorgen war eine Stadtbegehung, die vor Beginn des letzten Bauabschnittes V in der Bahnhofstraße stattfinden sollte. Zum einen, um zu sehen, was bei den Bauabschnitten (BA) I bis IV gut oder nicht so gut geworden ist, zum anderen, um eventuelle Verbesserungen in den BA V einzubringen.
Aufzug und barrierefrei erreichbare Bahnsteige
Aber auch um zu besprechen, was die Deutsche Bahn im nächsten Jahr vorhat. Sie plant nämlich, den Bahnhofsplatz behindertengerecht umzugestalten: Dazu gehörten der Einbau eines Aufzuges und barierrefrei zu erreichende Bahnsteige. Das Bahnhofsgebäude selbst, das ja im Besitz der Stadt Bad Staffelstein ist, sei von den Baumaßnahmen nicht betroffen.

Hoffentlich aber der Fahrkartenautomat. Oliver Krain, Berater des Bayerischen Blinden und Sehbehinderten Bundes (BBSB) für Bauliche Barrierefreiheit bei der Verkehrsraumgestaltung in Oberfranken, hatte vor dem Stadtrundgang nämlich erst mal ein anderes Augenmerk. Wobei das Wort Augenmerk nicht wörtlich zu nehmen war. Er selbst ist stark sehbehindert, Josef Braun und Teilnehmerin Margit Böhm sind blind.
Das Display ist auch für Sehende bei Sonnenschein nicht erkennbar
Am Ticketautomat der Bahn ist es bei Sonnenschein nicht möglich, das Display zu erkennen. Es fehlt ein kleines Dächlein oder ein anderer Sonnenschutz. Auch wer gut sieht, kann bei der spiegelnden Scheibe so gut wie nichts erkennen, geschweige denn Start- und Zielbahnhof auf dem Display eingeben. Eine Sprachausgabe fehlt komplett. Das ist allerdings Aufgabe der Bahn.
Was in den Aufgabenbereich der Stadt fällt, ist der Einbau eines funktionierenden Blindenleitsystems in die neuen, breiten Gehwege, die parallel zur Bahnhofstraße in die Innenstadt führen. Die Bauabschnitte I bis IV sind dahingehend schon fertig. Sie sehen in der Tat gut aus. „Aber es ist nichts gemacht worden!“, bemängelte Oliver Krain bei der Begehung.
Tastbare Bodenmarkierungen führen auf die Durchgangsstraße
Es fehlten Kanten, die der Blinde mit seinem Langstock ertasten kann. Querungen seien zwar als solche mit tastbaren Bodenmarkierungen gekennzeichnet – führten aber mitten auf die befahrene Durchgangsstraße. „Wo ist die Ampel oder ein Zebrastreifen?“, fragte Krain verwundert. Die speziellen Bodenplatten mit Noppen und Rillen vermittelten den Blinden zwei Infos, nämlich erstens „Achtung, Besonderheit“ und zweitens „gefahrloser Übergang möglich“.

Manuel Kellner vom Planungsbüro zeigte sich sehr überrascht und fast ungläubig: Er habe alle diesbezüglichen Pläne nach DIN-Vorschrift ausgearbeitet, erst der Stadt, dann dem Landratsamt weitergeleitet und keinerlei Änderungsauflagen bekommen. „Und wenn ich nichts hör?, geh ich davon aus, dass es passt“, so Kellner. „Da ist etwas gemacht worden, ohne dass jemand eine Ahnung gehabt hat“, schüttelte Margit Böhm den Kopf.
„Da ist etwas gemacht worden, ohne dass jemand eine Ahnung gehabt hat.“
Margit Böhm, Betroffene
„Warum nehmen Sie nicht einen Betroffenen mit, wenn so etwas geplant wird?“, richtete die blinde Frau ihre Frage an Städteplaner Manuel Kellner und an Michael Hess vom Stadtbauamt. Beide versprachen, sich zu kümmern. Einige der mit Markierungen versehenen Bodenplatten sollen nun ausgetauscht oder versetzt werden. Laut Michael Hess seien auch die Planungen für Zebrastreifen nicht beendet: „Wir sind hier noch am Prüfen“, versicherte er. Stadträtin Sandra Nossek (SBUN) hörte aufmerksam zu, fragte nach, machte sich Notizen.

Nicht ganz einig waren sich die Teilnehmer der Begehung, was den Kompromiss bei der Höhe der Bordsteinkante angeht. Rollstuhlfahrer bräuchten am besten null Zentimeter Höhe zum Überwinden, Blinde benötigten für ein sicheres Gehen mit ihrem Langstock eine Sechs-Zentimeter-Kante. Der Kompromiss mit drei Zentimetern wird wohl beiden Gruppen Aufmerksamkeit abverlangen.
Nächste Begehung rechtzeitig und mit Betroffenen
Ergebnis nach knapp zwei Stunden Begehung: die Zusage von Planer Manuel Kellner und Michael Hess, vor der Fertigstellung von „Bauabschnitt V“ eine erneute Begehung, dieses Mal in Zusammenarbeit mit Betroffenen zu organisieren. „Wenn man keine Kritik bekommt, kann man sich auch nicht verbessern“, so Michael Hess vom Stadtbauamt.

Zahlen aus der Blindengeldstatistik Laut „Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS)“ stehen folgenden aktuelle Zahlen (Dezember 2021) in der Blindengeldstatistik: Insgesamt erhielten im vergangenen Jahr 14 943 Menschen Leistungen nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (Vorjahr: 15 185). Laut Gesetz gilt als blind, wer eine Sehkraft von weniger als zwei Prozent hat. Bei der Aufteilung fällt auf, dass nicht nur ältere Menschen betroffen sind. 470 Personen der Blinden in Bayern sind unter 18 Jahre alt, 3863 sind zwischen 18 und unter 60 Jahre alt. Von 60 bis unter 65 Jahre beträgt der Anteil 871 Personen, im Alter von 65 bis unter 80 Jahre sind es 2932 Personen und bei den über 80-Jährigen 6807 Männer und Frauen. 7001 Betroffene (46,9 Prozent) erhielten gemäß Artikel 1 Absatz 2 BayBlindG das volle Blindengeld. Davon sind 132 Personen taubblind, 1600 Menschen von Sehbehinderung betroffen und 30 Personen taubsehbehindert. (Quelle: Oliver Krain)