Ein freies Klassenzimmer im Erdgeschoss der Adam-Riese-Schule, bunte, fröhliche Kinderbilder an den Fenstern, ein Osterstrauß, der mit Häschen und Eiern geschmückt ist, eine Lehrerin und lernbegierige Schüler.
Wer nun denkt, es handele sich hier um eine „normale“ Unterrichtsstunde, der hat gefehlt. Mit anwesend ist an diesem Donnerstagnachmittag noch eine Dolmetscherin, Tetyana Langbein. Sie hat über Facebook und Mundpropaganda einen Aufruf an die ukrainischen Flüchlinge gestartet und sie zu einem Deutschkurs eingeladen: „Liebe Frauen und Kinder. Wir möchten Euch ganz herzlich einladen zu einem Anfängerkurs, um die deutsche Sprache zu lernen.“
Integration ist nur über die Sprache möglich

„Wir“ – das sind in dem Fall Tetyana Langbein als Dolmetscherin und Alexandra Lulei als Lehrerin. Alexandra Lulei ist Erzieherin und arbeitet mit Schulkindern im heilpädagogischen Bereich in Bamberg. Schon 2015/2016 hatte sie Deutschkurse für Geflüchtete gegeben, damals waren es Menschen aus Eritrea, die bei ihr die Grundbegriffe der deutschen Sprache lernten. Nun war sie wieder ehrenamtlich unterwegs, half, beim Bahnhof in Bad Staffelstein Sachspenden zu sortieren und zu packen. Das tat auch Tetyana. Man kam ins Gespräch.
Schnell war den Frauen klar, das eine Integration nur über die Sprache erfolgen könne. Sie fragten Bürgermeister Mario Schönwald und Schul-Rektorin Astrid Balzar und erhielt von beiden sofort die Zusage für die Idee eines Deutschkurses im Schulgebäude.
Vorangestellte Artikel gibt es im Ukrainischen nicht

Start frei für die erste Unterrichtsstunde! Wladislav (17), Anastasia, Albina, Valentina und die beiden Kindergartenkinder Maria (5) und Zlata (3) blicken gespannt zur Wandtafel. Alexandra Lulei stellt sich mit Hilfe der Dolmetscherin vor. „Bitte nennen Sie nur die Vornamen für die Zeitung“, bittet der Bad Staffelsteiner Nils Semjan, „zuerst muss Vertrauen aufgebaut werden“. Nils engagiert sich sehr für die Flüchtlinge, ist derzeit auf der Suche nach Wohnungen für die Frauen mit ihren Kindern.
Auf dem Schreibtisch der Deutsch Lernenden liegen Handys. Sie nehmen die Wortlaute und die Tonmelodie auf, die Lehrerin Lulei laut und deutlich vorspricht. Die Kinder hören aufmerksam zu, versuchen, ein Ü oder ein Ä nachzusprechen. Umlaute, die es in der ukrainischen Sprache nicht gibt. Auch vorangestellte Artikel sind ihnen fremd. Wie war das noch mal mit „der, die, das“? Spätestens jetzt merkt jeder im Raum, dass es stimmt: „deutsche Sprache – schwere Sprache.“ Im Ukrainischen wird der Artikel nachgestellt, und zwar als weibliche oder männliche Endung, hintendran ans Wort gehängt.
Wie viele Buchstaben hat das ukrainische Alphabet?

Wie viele Buchstaben hat denn das ukrainische Alphabet? Wladislav besucht die elfte Klasse, eigentlich, und möchte später einmal Programmierer werden. Sein Englisch ist nicht schlecht, und die Verständigung klappt ohne Schwierigkeiten. Die Buchstabenzahl weiß er nicht. Nicht, dass er dumm ist – nein, bestimmt nicht. Doch die Anzahl der Buchstaben variiert: Es gibt ein „i“ mit einem i-Tüpfelchen und eines mit zwei. Es gibt ein „B“, das hart, und eines, das weich gesprochen wird. Erkennen kann man das an einem weiteren Buchstaben, der dem „B“ vorangestellt wird. Das bestätigt auch die Dolmetscherin Tetyana. Sie zeigt das ABC auf ihrem Handydisplay. Schwere Kost.
Wladislav möchte die Zeit in Deutschland nutzen, um Deutsch zu lernen. Das möchte auch seine Mutter Anastasia. Sie ist Ärztin und arbeitet im pharmazeutischen Bereich. Auch sie spricht englisch, und das nicht einmal so schlecht. Albiana ist praktizierende Ärztin, sie hört aufmerksam jedem Wort, jeder Erklärung der Deutschlehrerin zu. Und auch Valentina kommt aus der Medizin, sie ist Kardiologin. „Alles, was ich hier lerne, kann in meinem Land später nützlich sein“, erklärt sie mit Hilfe der Dolmetscherin. Auf Dauer hierbleiben möchte keiner von ihnen, die Sehnsucht und die Gefühle für die Heimat sind sehr groß.
„Alles, was ich hier lerne, kann in meinem Land später nützlich sein.“
Valentina, Kardiologin aus der Ukraine
Indessen üben Maria und Zlata die Buchstaben: „ssssssss, wie Schlange“, erklärt Lulei einen weiteren deutschen Buchstaben. Schlange – das heißt auf ukrainisch „Smija“. Mit Hilfe des bunten Osterstraußes am Fenster lernen die beiden Mädchen weitere Wörter: „Ostern“ („Velukden“ oder „Pasha“) oder „Vogel“ („Pdaschka“). Aber auch die „Toilette“ kommt ins Spiel („Toalet“).

Wünschenswert wären zwei Unterrichtseinheiten, die ersten 45 Minuten nur für die Mütter, weitere 45 Minuten für Mütter und Kinder zusammen. Alexandra Lulei hofft nun , das sich junge Erwachsene oder ältere Schüler melden, die in den ersten 45 Minuten mit den Kindern spielen könnten.
Lustige Episode am Schluss der Deutschstunde: Tetyana erzählt, dass es auch in der Ukraine verschiedene Dialekte gibt. Auch ihr als Muttersprachlerin sei es schon passiert, dass sie ihr Gegenüber nicht verstanden habe. Dann sagte ich: „Hä?“ Sie lacht herzhaft.
Auf Wiedersehen bei der nächsten Deutschstunde und „Vsogo Dobroga (Alles Gute)“!

Die ukrainische Sprache In der Ukraine ist Ukrainisch die alleinige Amtssprache. Das hat historische Gründe: Nach dem Zerfall der UdSSR und der Gründung des souveränen ukrainischen Staates 1991 haben die Ukrainer beschlossen, nur diese Sprache zur Amtssprache zu erklären, als Zeichen für ihre Unabhängigkeit. Russisch wird aber in einem großen Teil des Landes, vor allem im Osten und im Süden, vorrangig gesprochen. Die meisten Ukrainer sprechen beide Sprachen. Das ukrainische Alphabet hat etwa 33 Buchstaben. (ds)