„Wallfahrer sind wir, wir wallfahren gern / uns führt ein guter, ein himmlischer Stern / wir bringen die Sorgen, wir bringen das Leid, wir kommen aus dieser bedrängten Zeit“. In einem 1989 erschienenen Buch steht dieser Liedtext von Walter Berger geschrieben.

Doch an Aktualität haben diese Zeilen nichts eingebüßt – leider eher im Gegenteil angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Und so verwundert es nicht, dass sich Wallfahrten nach wie vor reger Resonanz erfreuen, quasi als Ventil, als spirituell-sportlicher Kraftspender. Philipp Janek, Pfarrivikar des Seelsorgebereichs Main-Itz, verschreibt sich der Thematik sogar für seine Promotion an der Uni Erfurt. Janeks geplante Doktorarbeit baut quasi eine Brücke zwischen Tradition und aktuellen Fragen, sie trägt den Titel „Die Wallfahrt nach Vierzehnheiligen – unterwegs zu einem Ort diakonischer Liturgie im 21. Jahrhundert“.
„Das gesellschaftliche Miteinander, der sportliche Charakter – es gibt eine Menge Gründe, warum jemand an einer Wallfahrt teilnimmt.“
Philipp Janek, Pfarrvikar

Wenn der unverminderten Beliebtheit der Basilika in Wallfahrerkreisen auf den Grund gegangen wird, ist es unumgänglich, die Zeit gedanklich knapp sechs Jahrhunderte zurückzudrehen. Zum spirituellen Kraftort für Gläubige wurde Vierzehnheiligen mit dem Erscheinen des Frankenthalters Kinderkranzes um 1446, woraus der Bau einer dortigen Kapelle resultierte. Nach diesem Wunder sowie einem weiteren, bei dem eine schwerkranke Frau zur Erscheinungsstätte gebracht wurde und daraufhin gesund wurde, setzte eine rege Wallfahrt ein. Das änderte sich auch nicht, als nach der Zerstörung der beiden vorausgegangenen Kirchenbauten aus der architektonischen Feder eines Balthasar Neumann schließlich das prächtige, heutige Gotteshaus entstand, welches Papst Leo XIII. 1897 in den Rang einer „Basilica minor“ erhob. Ganz im Gegenteil – angesichts von rund 200 Gruppen, die sich im Jahresverlauf wallfahrend auf den Weg nach Vierzehnheiligen begeben, kann man mit Fug und Recht von einem der deutschlandweit bekanntesten und beliebtesten Wallfahrtsorte Deutschlands sprechen.
Pfarrvikar Janek wandte sich, um Informationen, Eindrücke, auch Emotionen einzufangen und zu sammeln, bereits an all die Wallfahrtsführer. Er bat und bittet diese, ihm nicht nur Dauer, Ablauf und Gestaltungselemente, sprich Gebete und Lieder, mitzuteilen, sondern auch Beweggründe zur Entstehung und Beibehaltung der jeweiligen Wallfahrt. „Es geht mir natürlich nicht nur um eine bloße Analyse des Brauchtums, sondern auch darum, Veränderungen in der Motivation und aktuelle Entwicklungen zu beleuchten.“
Der ursprüngliche Anlass, eine Wallfahrt zum Gnadenort Vierzehnheiligen zu initiieren, reicht bei einigen Pfarrgemeinden allerdings schon Jahrhunderte zurück. So entstand die im nordhessischen Simmershausen startende Wallfahrt nach Vierzehnheiligen 1635 aus einem Gelübde, welches junge Männer damals gaben, weil sie die Pest überlebt hatten. Rund 500 Teilnehmer verzeichnete die 389. „Rhön-Wallfahrt“, wie die 120 Kilometer lange Fußwallfahrt auch genannt wird, im Mai diesen Jahres.
230 Kilometer zu Fuß
Seit rund 300 Jahren gibt es auch die Eichsfelder Wallfahrt. Diese Fußwallfahrt mit Start im niedersächsischen Duderstadt ist 230 Kilometer lang, weshalb die Pilger sieben Tage unterwegs sind. Es ist die längste Wallfahrt nach Vierzehnheiligen. In der jüngeren Zeit entwickelte sich in Duderstadt eine zweite Gruppe, die die Strecke radelnd absolviert. „Das gesellschaftliche Miteinander, der sportliche Charakter – es gibt eine Menge Gründe, warum jemand an einer Wallfahrt teilnimmt“, weiß Janek.
Von Autenhausen und Aufseß über Kirchenehrenbach bis zu Zeil am Main – von überall her ziehen sie zur Basilika Vierzehnheiligen, um dort bei einer Messe die Nothelfer anzurufen. Bei manchen Gruppen wie aus Gundelsheim, Sommerach oder aus Schwürbitz gestalten die mitreisenden Blaskapellen das Wallfahrtsamt mit.
Wenn Janek ins Gespräch mit Wallfahrtsführern oder Wallfahrtsteilnehmern kommt, wird schon zu Beginn seines Promotionsprojekts immer wieder deutlich, dass Start, Ziel und dazwischen natürlich als Höhepunkt die Messe in der Basilika die prägenden Ereignisse einer Wallfahrt darstellen. Doch das, was jung und alt – egal, ob zu Fuß, mit dem Rad oder auch als Buswallfahrt - vor allem „mitnehmen“, sind die neue Kraft vermittelnden Spuren im Herzen, in der Seele. Und selbst wenn jemand zum fünften, zehnten oder gar 20. Mal teilnimmt, bekommt er oder sie abermals neue Impulse „geschenkt“. Diese Erkenntnis gewinnt der Pfarrvikar während der Umsetzung seiner Doktorarbeit schon jetzt: „Man wird doch oft durch den Alltag durchgeschleust. Bei der Wallfahrt können die Gedanken auch mal zur Ruhe kommen.“ Moderne Technik ist bei diesem „Findungsprozess“ freilich eher hinderlich und kontraproduktiv, sprich Janek einen wichtigen Punkt an, den viele nicht gern hören wollen, der aber auf der Hand liegt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: „Bei einer Wallfahrt entscheiden sich manche, bewusst einmal nicht aufs Handy zu schauen“. Und augenzwinkernd nennt er einen „Trick“, mit dem man erst gar nicht in Versuchung gerät: „Oder man nimmt es gleich gar nicht mit“.

Es gibt hier und da noch die tagelangen Fußmarsch-Wallfahrten. Aber auch wer dazu nicht (mehr) imstande ist oder einfach keine Lust hat, so weit zu marschieren, kann den „Spirit“ von Wallfahrten erleben. Manche sind von der Streckenlänge sehr überschaubar, auch allerhand Buswallfahrten werden mittlerweile angeboten.
Die meisten haben - überspitzt ausgedrückt – nicht die Kapazitäten, um sechs Wochen in einem Kloster in Tibet zu verbringen. Doch auch eine Wallfahrt kann schon dazu verhelfen, den Kopf wieder freizukriegen. „Für manche sind Wallfahrten so etwas wie ein Besinnungstag oder Besinnungstage. Man nimmt sich einfach Zeit für sich“, kann aus dem Alltag heraustreten, neue Perspektiven gewinnen, so Janek.
Weg zur Selbstfindung
Der 35-jährige Pfarrvikar, der 2017 in Bamberg zum Priester geweiht wurde, wohnt und arbeitet seit Abschluss seines Theologiestudiums vor zehn Jahren in Franken. „Die Menschen hier kommen einem freundlich entgegen – und es gibt hier hervorragend ausgebaute Radwege“, sagt er. Geboren wurde Janek in Wittichenau in der Oberlausitz. Vor drei Jahren trat Janek die Aufgabe als Pfarrvikar des Seelsorgebereichs Main-Itz an. Soweit es ihm diese Tätigkeit erlaubt, widmet er sich nun seiner Doktorarbeit.

In einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint und in der vielfach auch die familiären Wurzeln oftmals nicht so gegeben sind, sieht auch die heutige Generation in Wallfahrten eine gute Möglichkeit der Selbstfindung. Die letzte Strophe des eingangs erwähnten Wallfahrtstextes von Walter Berger betont die aus dem Glauben erwachsende Kraft und Zuversicht: „Wallfahrer sind wir, nun ziehen wir heim / und tragen das Licht in das Dunkel hinein / wir wollen verkünden, was wir gesehen / und durch die Welt voller Liebe gehen.“