Nicht nur die Straßen vor dem Stadtcafé in Bad Staffelstein waren schlüpfrig. Diese jedoch aufgrund des Nieselregens, während man im Inneren gemütlich und trocken saß und den schlüpfrigen Gedichten von Goethe, Ringelnatz, Wilhelm Busch und Heinrich Heine lauschte. Krankheitsbedingt hatten zwar einige Besucher abgesagt, dennoch lauschten rund 45 Interessierte, was Helga Siebert, Hamburgerin und Wahl-Bad-Staffelsteinerin, so alles aus den Tiefen der Geschichte zutage förderte.
„Ich wurde mal gefragt, ob ich nicht aus den Römischen Elegien vortragen könne“, erzählte sie. „Eine Veranstalterin hatte sie gelesen und fand sie nicht erotisch. Dann hab ich es gelesen und dachte, oha.“ Es war ein Rahmenprogramm für eine Veranstaltung eines Chores, der italienische Marienlieder vortrug. „Also ein absolutes Kontrastprogramm, und ich dachte nur: Hoffentlich geht das gut.“ Es ging gut, sogar so gut, dass der Chor hinterher meinte, sie hätten auch erotische Lieder, die sie hätten singen können.
Die Römischen Elegien
Es war auf jeden Fall eine spannende Frage, ob Goethe wirklich Erotik geschrieben hat. Siebert erläuterte anhand der Römischen Elegien und dem Lebenslauf Goethes, dass er durchaus Schlüpfriges zu Papier gebracht hatte. Natürlich in einer anderen Form und einer anderen Sprache, als es heutzutage wohl gang und gäbe wäre. Durchaus deutlich zuweilen, doch meist versteckt und umschrieben.
„Dieses Buch“, gemeint war die Ausgabe der Römischen Elegien, „wurde erst 1914 als Gesamtwerk zum ersten Mal veröffentlicht“, führte Helga Siebert aus. „Vorher nur in Auszügen und stark gekürzt. Na, wenn das mal nicht deutlich macht, um was es wirklich ging.“
„Roma“ und „Amor“
Texte, die in Wortspielereien und -verdrehungen durchaus heftig-deftig waren. Meinte er bei seiner Liebeserklärung wirklich „Roma“, die Stadt, oder doch eher, rückwärts gelesen, „Amor“? Anhand einiger Beispiele wurde deutlich, man kann es auf beide Weisen sehen. Das Publikum, anfangs ein wenig zurückhaltend und hinter vorgehaltener Hand kichernd, taute mit fortschreitendem Abend auf, herzhaftes Lachen und erstaunte Ausrufe folgten.
Doch nicht nur Goethe, sondern auch Christian Morgenstern und Frank Wedekind hatten Heiter-Erotisches im Programm, was zum Erstaunen des Publikums führte. „Im Grunde genommen geht es doch immer um die gleichen fünf Dinge“, führte Siebert aus. „Anbaggern, Überreden, Entkleiden, lodernde Flamme, Flamme erlischt – auf Wiedersehen. Oder kurz gesagt: Hose runter, Gartenzwerg.“
Erotik auf dem Bauernhof
Und das spiegelte sich in einigen Gedichten durchaus wider. Doch auch die weibliche Fraktion der Schreibenden blieb nicht unerwähnt, so war auch Johanna Ambrosius (1854 – 1939) durchaus in der Lage, in einem eigenen Stil Erotik und Liebe zu beschreiben. „Man muss sich das vorstellen: Eine Frau, die trotz der Arbeit auf dem Bauernhof ihres Mannes, was ja nun beileibe nicht so einfach war, noch Zeit hatte, Gedichte zu schreiben. Und dann auch noch so etwas“, lachte Siebert.
Auch Wilhelm Busch, dem man das nicht zutraute, oder Ringelnatz reihten sich in die illustre Runde der Zitierten ein. Wobei Wilhelm Busch hier ein wenig aus der Rolle fiel. Er, der Junggeselle, machte deutlich, dass er die Ehe eher als Sklaverei und eher liebestötende Angelegenheit ansah. Beim Blick auf die Zuschauer sah man an dieser Stelle bei einigen ein leichtes Nicken. Ob er wohl damit Recht hatte?
Abstecher an die Küste
Mal heimlich und versteckt durch die Blume, dann schon fast mit erschreckender Offenheit beschrieben die Dichter, was sie eigentlich im Schilde führten, wenn es um die holde Weiblichkeit ging. Als Kind der See durfte für Helga Siebert ein Abstecher an die Küste nicht fehlen: Sie zitierte das Gedicht „Das Mädchen und der Matrose“, das eindeutig und deutlich war. Waren es anfangs die Sprachbarrieren, die dazu führten, dass man sich anderweitig verständigte, so führte das Erlernen der Sprache des anderen dann zum Ende, da man sich nun verstand.
So waren die Gedichte nicht nur erotisch-erheiternd, sondern häufig geprägt von Sehnsucht und auch von der Erkenntnis, dass die Liebe oft flüchtig sei. Die Grenzen zwischen Liebesgedicht und Erotik gingen fließend ineinander über. Unerfüllte Sehnsüchte, offene und versteckt geäußerte Wünsche, aber auch Verlust der Liebe waren immer wieder Thema.
Am Ende war es Heinrich Heine, mit dem der Abend beschlossen wurde. Und dessen Gedichte waren an Deftigkeit kaum zu überbieten. Etwas, was man ihm kaum zugetraut hätte. Und so kam die Erkenntnis, dass man auch früher durchaus Erotika geschrieben hat. Nicht in einer – wie heute üblich – plumpen und einfallslosen Sprache, sondern eher subtil, versteckt, aber immer wieder auch heftig auflodernd. Das Publikum jedenfalls war begeistert und spendete lang anhaltenden Applaus.