Ein großes Ereignis in dem kleinen, von der Umwelt fast abgeschnittenen Ort: Der „Wanderer Automobil- und Motorradclub“ hatte zu einem internationalen Treffen eingeladen. Viele Einheimische und Besucher nutzten die Gunst der Stunde und sahen sich abends – wenn man die Baustellen passieren kann – diese wunderbaren alten Automobile an.
Handys und Fotoapparate wurden gezückt, man hörte Raunen, Staunen und Bewunderung. Fahrzeuge, wie man sie aus den Stummfilmen kennt, kantig, ungewöhnlich geformt, mit oder ohne Schiebedach, mit schmalen Speichenrädern und in bunten Farben. Mächtige Kühlergrille sollten den Wohlstand zeigen: den der Zeit und wohl auch den des Beisitzers, der sich um 1920 so ein Gefährt leisten konnte.

Ein Doppel-W am Kühler
Geteilte Frontscheibe, Winker statt Blinker, das Reserverad – natürlich in der Wagenfarbe – außen an der Karosserie montiert und den einen oder anderen Pappkarton, der vorsichtshalber unter die Ölleitung gelegt wurde – so präsentierten sich 57 Fahrzeuge, die am Donnerstag aus ganz Deutschland und Österreich angereist waren. Nur die Fahrer aus Tschechien waren verhindert.
Bei einigen Modellen zierte ein mächtiges „Doppel-W“ die Motorhaube, bei anderen war seitlich ein gekreuztes Doppelschwert in grüner Farbe mit der Unterschrift „Sachsen“ angebracht. Und von da stammen sie auch alle: Wanderer ist eine bereits 1885 in Chemnitz gegründete Marke, die Automobile, Hochräder, Zweiräder (mit und ohne Motor) und auch Schreibmaschinen herstellte.

„Zuerst ließ die Firma ihre Autos in England produzieren“, erzählte Hubert Winklhofer. Er muss es wissen, er ist der Enkel des Wanderer-Firmengründers Johann Baptist Winklhofer. „Wanderer“ war die deutsche Übersetzung des englischen Wortes „Rover“, erklärt er.
Ebenfalls zu sehen waren neun Zweiräder von Wanderer. Sie stammen aus den Baujahren 1920 bis 1940.
Wanderer-Automobile wurden von 1913 an gebaut. Wegen seiner sprichwörtlichen Qualität sei Wanderer in den 1930-er Jahren ein ernsthafter Konkurrent zu Mercedes-Benz gewesen, so Winklhofer. 1932 schloss sich Wanderer mit Horch, DKW und Audi zu einer Union zusammen, die „Auto-Union“entstand. Nach dem Krieg wurde die Produktion nicht wieder aufgenommen. Aus dem ursprünglichen Markenverbund der Auto Union ist die heutige Audi AG entstanden. Die vier Ringe sind geblieben.

80 Kilometer Spitzentempo
Auch die Fans der Oldtimer sind geblieben, sie sind meist mittleren oder höheren Alters. „Junge Leute interessieren sich eher nicht für einen so alten Wagen“, bedauert Organisator Uli Möhlmann. Das merke man auch an den Preisen und am Wert der Automobile. „Die Preise gehen nach unten. Keiner will mehr ein Vorkriegsfahrzeug fahren.“ Dabei seien die Wanderer sehr robust. Ja, zugegeben, mit 80 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit sind sie keine Raketen. Doch sie sind pflegeleicht, vertragen Sprit mit einer Oktanzahl bis 74 – also locker E10. „Er verträgt fast alles – er wurde ja auch für den Kriegseinsatz gebaut“, sagte Hubert Winklhofer und zeigte ein Datenblatt zu seinem Fahrzeug.
Winklhofer nahm an diesem Treffen mit dem ältesten Auto teil: „Puppchen“ (siehe unten), Baujahr 1914, Typ: W 3, mit zwölf PS, beigem Stoffverdeck und dunkelgrünschwarzer Karrosserie. Puppchen hat die Startnummer 1 und glänzt sogar noch im Licht der Dämmerung.
„Wieso halten die so lange?“, wollte Bürgermeister Mario Schönwald wissen. Schließlich seien die Wagen doch teilweise schon 100 Jahre alt. Nun, die Karrosserie bei den ganz alten Modellen sei eine Holzkonstruktion, auf denen Bleche befestigt seien. Beides müsse natürlich immer wieder ausgetauscht und restauriert werden, erklärte ihm Uli Möhlmann. Doch es sei von Vorteil, dass es fast überall noch Ersatzteile gebe und dass die Fahrer meist auch leidenschaftliche Schrauber seien.
Zum Würgauer Berg
Rund 500 von insgesamt 100.000 gebauten Wanderer-Autos existieren noch weltweit – 57 davon waren in Schwabthal. Ihr Auftrag: Zwei Tages-Ausfahrten von je 100 Kilometern Länge absolvieren. Die Touren sollten über wenig frequentierte Nebenstrecken durch die Fränkische Schweiz, das Obere Maintal und Coburger Land führen, in Verbindung mit einigen Besichtigungen. Für Freitagmorgen war geplant, die ehemalige Rennstrecke am Würgauer Berg zu befahren, auf der bereits 1913 erste Wanderer-Automobile und -Motorräder Rennen fuhren. Wegen dortiger Baustellen musste die Route aber kurzfristig verlegt werden. Als Etappenziel nannte Uli Möhlmann die Gemeinde Sanspareil. Weil ein Gasthof der Gruppe kurzfristig abgesagt hatte, half das Team vom Schwabthaler „Löwen“ und bereitete Lunchpakete vor. Für den Samstag war eine rund 100 Kilometer lange Ausfahrt ins Coburger Land und nach Ebensfeld zum „Engelhardts Keller“ geplant.

Das „Puppchen“ Der Wanderer W3 hat zwei Sitze, drei Gänge und eine Rückwärtsgang, einen vier-Zylinder Motor und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 75 bis 80 Stundenkilometern. Es wurde in einer Auflage von nur 700 Stück gebaut und kostete um 1914 etwa 3500 Mark. In einer Aufführungspause am Berliner Opernhaus – es wurde die Operette „Puppchen“ von Jean Gilbert gespielt – fuhr man das Automobil zu Werbezwecken auf die Bühne. Aus dem „Wanderer W3“ wurde im Volksmund das „Puppchen“. Viel Gewicht schaffte er aber nicht: das Fahrzeug hatte ein zulässiges Gesamtgewicht von 790 Kilo.