Auf einmal ist es still in dem kleinen Raum, in dem gerade noch alle durcheinandergeredet haben. Es geht los. Fünf Frauen und ein Mann sitzen an einem mit Kunststofftischdecken abgedeckten Tisch, vor sich Spanpressplatten, in den Händen Drahtgeflecht. Konzentriert biegen sie es zu Rollen zusammen. Jenny schaut auf: „Ein Bein ist größer als das andere.“ Laura Erben lächelt. „Macht nichts“, beruhigt sie und steckt die Heißklebepistole an.
21 Jahre ist sie alt und gerade im letzten Ausbildungsjahr zur Erzieherin. Sie hat nicht nur Draht und Kleber mitgebracht, sondern auch Gipsbinden, Zeitungspapier und einen Ordner voll mit bunten Entwürfen. Die haben die sechs Teilnehmer des Workshops „Kunst kann alles, alle können Kunst“ bei ihrem ersten Treffen gezeichnet. Laura Erben leitet den Kurs, den die Offene Behindertenarbeit (OBA) des Heilpädagogischen Zentrums (HPZ) im Mehrgenerationenhaus in Michelau anbietet. An insgesamt fünf Abenden entstehen hier Nanas.
Nanas: So hat die französische Künstlerin Niki de Saint-Phalle die Polyester-Figuren genannt, für die sie berühmt wurde. Sie sind groß, sie sind dick, sie sind bunt – und viele von ihnen tanzen. Frauenplastiken, die für Lebensfreude und freie Entfaltung stehen. „Sie zeigen, dass jeder so sein kann, wie er will. Das fand ich ganz passend“, erklärt Laura Erben und schmunzelt.
Sie schaut in die Runde, erinnert daran, was sie beim ersten Treffen über Niki de Saint-Phalle gesagt hat. Dass diese als Kind von ihrem Vater missbraucht wurde und über eine Therapie zur Kunst kam. Dass die giftigen Dämpfe der Farben, mit denen sie arbeitete, zu gesundheitlichen Problemen führten. Wann sie gestorben ist? Jenny springt ein: „2002“. Gut gemerkt. Sie lächelt stolz.
Aus dem ganzen Landkreis
Mit 18 Jahren ist die Bad Staffelsteinerin die Jüngste in der Runde, Evi, eine der ehrenamtlichen Betreuerinnen der OBA, mit 63 Jahren die Älteste. Aus dem ganzen Landkreis sind sie nach Michelau gekommen: Nicole aus Lichtenfels, Janina aus Michelau, Sebastian aus Altenkunstadt, Sascha aus Bojendorf. Evi und Sascha sind erst an diesem Abend dazugestoßen. Neugierig beäugen sie die Entwürfe der anderen. „Die schaut ja aus wie Superman“, sagt Evi zu Sebastian, der schmunzelnd nickt. Seine Figur hat blaue Haut. Die Skulpturen werden kleiner sein als die echten Nanas, aber auch knallbunt. Bis es so weit ist, dauert es allerdings noch ein bisschen. Zuerst einmal wird ein Körper aus Drahtgeflecht geformt und mit Hilfe der Heißklebepistole auf der Spanpressplatte befestigt. Erst die Beine, dann der Körper, dann die Arme und der Hals. Bei den nächsten Treffen wird das Geflecht mit Pappmaché gefüllt und dieses mit Gips verkleidet.
Laura Erben hat eine große Rolle Drahtgeflecht mitgebracht und zwickt jetzt einzelne Stücke mit einer Zange ab. Evi schüttelt den Kopf, als sie sieht, wie die Kursleiterin sich abmüht. „Ist das denn ein Drahtschneider? Das ist doch eine Blechschere!“ Sofort ist eine Diskussion im Gange. Bis dann doch jeder versorgt ist und eifrig anfängt, Röhren zu rollen, aus denen später Beine werden sollen. Füße kann man später aus Pappmaché oder Gips formen, erklärt Laura Erben. Jetzt geht es erst mal darum, ein Grundgerüst aufzubauen. Sebastian ficht das nicht an. Er biegt an den Beinenden Füße zurecht. Am Anfang hat er ein bisschen hilflos gewirkt: „Ich weiß doch nicht, wie groß das werden soll“, hat er immer wieder gesagt. Jetzt aber hat er Feuer gefangen. Auf Tipps und Ratschläge achtet er gar nicht, so vertieft ist er. Und es sieht gut aus, was da unter seinen Händen entsteht.
Neben ihm schaut Evi erstaunt zu, wie die Kursleiterin für Janina die Ränder des Drahtstücks, das den Körper bilden soll, mit einem dünnen Draht verbindet, indem sie es durch die Löcher fädelt. „Ich hab des fei bloß mit am Drähtla festgemacht“, meldet Evi Zweifel an ihrer Arbeit an. Laura Erben sieht das gelassen: „Na, wenn's hält.“ Da kommt neben ihr Gelächter auf. Janinas Figur ist nach hinten weggekippt. „Die will net stehen“, beschwert sich Janina. Die Kursleiterin sieht das nicht so tragisch: „Das wird schon, wenn erst mal Gips dran ist.“
Lockere Atmosphäre
Sie strahlt viel Ruhe aus, lässt jeden selbst ausprobieren, mischt sich nicht zu viel ein, ist aber da, wenn sie gebraucht wird. Auch das trägt zur lockeren Atmosphäre bei. Während die Hände arbeiten, bleibt genug Zeit für Gespräche und Scherze. Nicole erzählt vom Urlaub, den sie 2014 mit der OBA auf dem Bauernhof verbracht hat, Evi von der Nordic-Wal-king-Gruppe. Beide wollen heuer mit in den Schwarzwald fahren, Sebastian hat sich für Bulgarien angemeldet. Laura Erben drückt Sascha das aktuelle OBA-Programm in die Hand. Aqua Zumba, Kochen, Stammtisch, gemeinsam ins Theater oder zur Faschingsdiscoparty: Vieles wird hier angeboten, um Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen. Integriert ist man schnell, Berührungsängste gibt es keine.
„Wie lange mach' mer denn überhaupt?“, fragt Evi auf einmal. Es ist zehn vor sechs. Schon? „Ich würd' sagen, wir hören dann langsam auf“, meint Laura Erben. „Ach so?“ Evi lacht. „Ich dachte, wir machen bis acht!“
Alle packen mit an, im Nu ist der Raum wieder sauber. Sascha freut sich schon aufs nächste Mal. Als Trauerrednerin und Kommunikationstrainerin arbeitet sie viel von Zuhause aus. Gerade im Winter kommt sie so wenig unter Leute. „Mein Mann hat mich auf den Kurs aufmerksam gemacht“, erzählt sie. „Ich war gleich ganz begeistert.“ Jetzt ist sie gespannt, wie ihre Skulptur aussehen wird, wenn sie fertig ist. Dass jede anders wird, ist jetzt schon zu erkennen.