Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Obermain
Icon Pfeil nach unten
Main, Rodach, Steinach
Icon Pfeil nach unten

MICHELAU: Wilfried Popp: „Das ist ein Stück meiner Ära“

MICHELAU

Wilfried Popp: „Das ist ein Stück meiner Ära“

    • |
    • |
    Wilfried Popp hat die erste und die jetzige Krone der Korbstadtköniginnen geflochten. Den Prototyp des aktuellen Diadems führt seine Enkelin Johanna Weis vor.
    Wilfried Popp hat die erste und die jetzige Krone der Korbstadtköniginnen geflochten. Den Prototyp des aktuellen Diadems führt seine Enkelin Johanna Weis vor. Foto: Alicia Vetter

    Der 12. Juni ist einer der denkwürdigsten Tage in meinem Leben. Gegen 19.50 Uhr teilte mir Bürgermeister Andreas Hügerich mit, dass ich die nächste Korbstadtkönigin werden sollte. Ein Grund für mich, mich intensiv mit meiner künftigen Rolle auseinanderzusetzen. Ich begann zu überlegen, was meine Insignien sein werden. Spontan kam mir die Krone in den Sinn: Seit wann gibt es sie? Wie ist die Entstehungsgeschichte? Und vor allem: Wer ist der Mensch, der sie entworfen hat?

    Die Spur führte mich zum Großvater meiner besten Freundin, was es besonders schwierig machte, mein Geheimnis zu wahren. Schon gar nicht im Gespräch mit einem so zauberhaften Korbmachermeister alter Schule: Wilfried Popp, früher stellvertretender Leiter der staatlichen Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung. Zu dem Zeitpunkt durfte jedoch noch niemand wissen, wer die nächste Korbstadtkönigin wird.

    „Das ist ein Stück meiner Ära“, erläutert er mir, als ich ihn in Michelau besuche. Versonnen dreht er die geflochtene Krone in der Hand. Genau genommen ist es der Prototyp. Er zeigt auf einen Bilderrahmen mit Fotos: Autogrammkarten von Ilka I. und Manuela II. Sie waren die ersten, die die aktuelle, aber nicht die ersten, die in Lichtenfels eine geflochtene Krone trugen. Aber der Reihe nach.

    1984 erhielt die Korbfachschule den Auftrag, eine Krone für die Korbstadtkönigin zu flechten und zu gestalten. Der damalige Schulleiter Alfred Schneider beauftragte damit Wilfried Popp, seinen „Spezialisten für besondere Fälle“.

    Wilfried Popp stammt aus einer Korbmacherfamilie in Michelau. Sein Vater ist im Krieg gefallen. Um den Familienunterhalt zu sichern, hat seine Mutter in Heimarbeit oft bis spät in der Nacht geflochten, weil sie sich tagsüber um Hausarbeit und Kinder kümmern musste. „Sie hat nicht nur einen Korb geflochten – sondern gleich Hunderte von einem Modell. Das ähnelte einer Art Massenproduktion, und das fand ich zu dieser Zeit ziemlich langweilig“, sagt der Flechtwerkgestalter.

    „Die Krone sollte zugleich einen deutlichen Bezug zu Geflecht und zum Korb haben, sodass sie sich deutlich von den Kronen anderer Königinnen abgrenzt.“

    Wilfried Popp, Schöpfer der geflochtenen Krone

    Der geringe Verdienst und die langen Arbeitszeiten der Korbflechter schreckten Wilfried Popp damals ab. Er wollte lieber Kürschner, Porzellanmaler, Fliesenleger oder Ofensetzer werden. Doch als er mit seinem Onkel von Michelau nach Lichtenfels ging, um dort bei einer Firma eine Bewerbung abzugeben und sich persönlich vorzustellen, erläuterte der ihm, was der Beruf des Ofensetzers so umfasst. In Lichtenfels angekommen, hatte es sich Wilfried Popp anders überlegt. Der Rückweg führte die beiden an der Deutschen Korbfachschule – der heutigen Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung – vorbei, wo gerade die Absolventen für ein Gruppenfoto posierten. Der damalige Schulleiter Will lud die Michelauer ein, sich die Ausstellung in der Schule und die Gesellenstücke anzuschauen. „Diese Vielfalt begeisterte mich, und mir wurde bewusst, was ein Korbmacher eigentlich können muss. Diese individuellen Kunstwerke standen so völlig im Gegensatz zur Massenproduktion der Körbe, wie meine Mutter sie fertigte. Das gefiel mir“, schildert Wilfried Popp. Der damals 14-Jährige unterschrieb spontan das Aufnahmeformular für die Schule und absolvierte eine dreijährige Ausbildung zum Gesellen. Der inzwischen 75-Jährige hat das nicht bereut: „Ich bin stolz, Korbmacher zu sein!“

    1,50 Mark Stundenlohn

    Nach seiner Ausbildung arbeitete er fünf Jahre als Geselle, bevor er seine Meisterprüfung ablegen konnte: Angefangen hat er mit 1,50 Mark pro Stunde bei einer Marktzeulner Firma. Als Meister bekam er dann einen Vertrag als Lehrer an der Berufsfachschule, wo er zum stellvertretenden Schulleiter aufstieg. Bis zu seinem Ruhestand im August prägte er die Schule, das Handwerk und damit auch die Deutsche Korbstadt entscheidend mit – auch durch die Gestaltung der Krone für die Korbstadtkönigin.

    Für ihn sei es wichtig gewesen, mit dem Geflecht die ganze Vielfalt der Flechtkunst zum Ausdruck zu bringen, sagt er. Und: „Die Krone sollte würdig und dekorativ sein. Sie sollte zugleich einen deutlichen Bezug zum Geflecht und zum Korb haben, sodass sie sich deutlich von den Kronen anderer Königinnen abgrenzt.“ Er fertigte zunächst eine Krone in Feinflechtarbeit aus Weidenschienen und Peddigrohr. Frau Deuerling verzierte diese mit Strass-Perlen, um sie noch glanzvoller zu machen. Sie krönte sieben Königinnen während ihrer jeweiligen Amtszeit. Da dieses erste Modell nicht individuell auf die verschiedenen Kopfgrößen und Frisuren seiner Trägerinnen verstellt werden konnte, beschloss Popp 1999, eine neue zum 20. Korbmarkt zu flechten, die ihm persönlich dann auch noch besser gefiel.

    Er wählte die Form eines Diadems. Das Grundgerüst bildet ein einfacher Kunststoffhaarreif, der hinten geöffnet ist, wodurch das Problem mit Kopfgröße und Frisur umgangen wird. Als Ausgangsmaterial nahm er isolierten Kupferdraht, weil der beweglich und nicht zerbrechlich ist. Diesen formte der Flechter kunstvoll und umwickelte ihn mit feinsten Weidenschienen. Seine Enkelin Johanna stand Wilfried Popp Modell. Korbstadtkönigin Manuela Witzgall war die erste, die mit der neuen Krone inthronisiert wurde.

    Wie viele Stunden er für die Kunstwerke gebraucht hat, vermag Wilfried Popp nicht zu sagen. Doch das sei auch nicht wichtig, findet er. Die Krone sei etwas Einzigartiges, Ausdruck der ganzen Handwerkskunst der Feinflechterei und der Korbmachertradition.

    Ehrengast beim Festakt

    Das würdigte die Stadt Lichtenfels mit einem Dankschreiben, einem Bildband und einer mit Körbchen und Stadtwappen bestickten Krawatte. Diese trägt Wilfried Popp jedes Jahr stolz beim Korbmarkt. Und er hatte ein wichtiges Ehrenamt: Er gehörte dem Gremium an, das alle zwei Jahre die neue Korbstadtkönigin wählt. Der Michelauer ist Ehrengast beim Festakt zur Krönung der Königin und den anderen wichtigen Anlässen beim Korbmarkt. Das freut Wilfried Popp. „Ich bin sehr stolz, dass ich derjenige war, der die Krone flechten durfte“, resümiert er. „Immer, wenn ich sie auf dem Kopf der Königin sehe, freue ich mich. Das ist ein Stück meiner Ära.“

    Ein bisschen nachdenklich stimmt es ihn, dass die Handwerkstradition in jüngeren Generationen doch einiges an Wertschätzung eingebüßt hat. Der passionierte Flechtwerkgestalter wünscht sich, dass es gelingt, das zu ändern, und dass dieses Handwerk wieder mehr gewürdigt wird und auch weiterhin Bestand hat.

    Die geflochtene Krone könne dabei so etwas wie ein Symbol sein, ihre Trägerin, die Korbstadtkönigin, eine Botschafterin. „Die Krone ist für mich die wichtigste Anfertigung gewesen. Deshalb ist mein größter Wunsch, dass sie weiterhin benutzt und geschätzt wird“, sagt Popp.Das ist ein Versprechen, das ich als angehende Korbstadtkönigin gerne geben möchte: Ich werde die Krone mit großem Respekt tragen, Respekt vor so viel Handwerkskunst und vor dem Meister seines Fachs, der sie mit so viel Herzblut geflochten hat.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden