„Wie kann ein Volk, das wir mit Goethe, Rilke und Schiller verbinden, solche Gräueltaten vollbringen, wie im Zweiten Weltkrieg geschehen?“ Eine Frage, die bleischwer im Raum liegt. Dr. Mathias Rösch, promovierter Historiker und Leiter des Schulmuseums Nürnberg, erwartet an diesem Abend bei seinem Vortrag im katholischen Jugendheim in Marktzeuln keine Antwort. Sein Thema, auf Einladung der CHW-Bezirksgruppe Hochstadt/Marktzeuln gehalten, betraf die „Schule im Nationalsozialismus und der Widerstand von Lehrkräften“.
Für seine Doktorarbeit über die NSDAP hat Rösch 20 laufende Meter Akten durchforstet und 30 Zeitzeugen befragt. Dabei ging er auch der Frage nach, wie es zu dieser riesengroßen Zustimmung für die Nazis kam, deren Tendenzen schon lange vor Hitlers Machtergreifung sichtbar waren.
Erste Anzeichen macht der Referent im 18. Jahrhundert aus. Einzelne Bestandteile der späteren NS-Ideologie wie Eugenik, Rassismus, Führerkult, ein konservatives Frauenbild, extremer Nationalismus und Glauben an die eigene Volksgemeinschaft finden seitdem über die damaligen Parteigrenzen hinaus allgemeine Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten. Erst den Nazis sei es gelungen, diese Gemengen Lage für ihre Ideologie zu nutzen.
Wenig Berichte über Widerstand
Der zweite Weltkrieg haben sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens und 27 Millionen Russen das Leben gekostet. Neben der Wehrmacht sei auch die Polizei, die SS und die Deutsche Zivilverwaltung am Massensterben beteiligt gewesen, so der Referent. Allein drei Millionen kriegsgefangene Russen seien schlichtweg verhungert.
Auch die Schule lag im Fokus der Nationalsozialisten. Welche Rolle die Nazis dabei spielten, belegen laut des Referenten eine Fülle von Schulheften, Schulaufsätzen, Klassenfotos und Tagebücher des Schulalltags von 1933 bis 1945. Während sich über Schüler jede Menge Material finden lasse, sei verhältnismäßig wenig über Lehrkräfte im Widerstand bekannt.
Zwar spiegeln sich in den Schulakten Reibereien zwischen Schulleitern und örtlichen Nazigrößen wie Ortsgruppenleiter wieder, aber der Widerstand von Lehrkräften werde nur bekannt, wenn ein Zugriff durch die Gestapo erfolgt sei.
Nur wenige nicht verhaftete Widerständler hätten nach 1945 über ihre Erlebnisse berichtet. Dieses Schweigen habe bis in die 1980er Jahre gedauert. Bezeichnend dabei sei, „dass sich nach 1945 fasst alle Lehrkräfte als Regimegegner oder gar als Widerständler bezeichnet hätten.“
Verfolgten Juden geholfen
„Wir haben bis heute keine klaren Zahlen über Deutsche, die im Widerstand waren“, erklärte der Referent. Einem Zufall sei es zu verdanken, dass in den Archiven die Pädagogen Leonhard Rieger (1890 -1960) und Elisabeth Schmitz (1893 -1977) entdeckt wurden. Von der Persönlichkeit her zwei gegensätzliche Personen. Auf der einen Seite ein nationalkonservativer Mann, auf der anderen Seite eine religiös-liberale intellektuelle Frau. Beide hätten sich für verfolgte Juden eingesetzt.
Elisabeth Schmitz war von 1929 bis 1938 Gymnasiallehrerin in Berlin und Hanau. Die Studienrätin für Deutsch, Geschichte und Religion an einem Berliner Mädchengymnasium verfasste 1935 ein Memorandum, in dem sie ihre Kirche aufforderte, sich für die entrechteten Jüdinnen und Juden einzusetzen. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 quittierte sie zum 31. Dezember 1938 den Dienst als Lehrerin. Elisabeth Schmitz wollte nicht länger Beamtin eines tyrannischen Staates sein.
Zu Weltoffenheit erziehen
Leonard Rieger stand als Rektor von 1920 bis 1945 dem Mädchen-Lyzeum in Fürth vor. Sein Bestreben war es, seine Mädchen zu weltoffenen, emanzipierten Wesen zu erziehen. Nach 1945 bescheinigten ihm seine Schülerinnen, dass Rieger „niemals als Nazi handelte und lehrte“.
Der viel benutzten Ausrede der Deutschen, sie hätten von den Gräueltaten der Nazis nichts gewusst, widerspricht der Referent. „Der Unrechtsstaat war offen sichtbar.“ Die Schikanen, Quälereien, die Folter und der Mord seien für sehr viele sichtbar gewesen. Ebenso der Massenmord an Polen und Russen durch die Wehrmacht und die Vernichtung von Juden und Sinti und Roma.