Chandravathany Surenthiran ist in Michelau als Wirtin des italienisch-indischen Restaurants „s. Tabsi“ bekannt. Nach Deutschland kamen sie und ihr Mann im November 1984 – vor 40 Jahren. Für das Obermain-Tagblatt hat sie ihre bewegte Lebensgeschichte aufgeschrieben. Die Redaktion druckt sie in gekürzter Form.
Ursprünglich kommt sie aus Sri Lanka. Ihre Eltern haben sie wegen des damals dort wütenden Krieges ins Ausland geschickt. Am 21. November 1984 kamen sie und ihr Mann im damaligen Ost-Berlin an. Sie erhielten ein Tagesvisum, mit dem sie und weitere Einwanderer sofort nach West-Berlin weiterreisen sollten.

Dort wartete bereits die deutsche Polizei und nahm ihnen ihre Pässe ab. Chandravathany Surenthiran erinnert sich: „Für einen Moment schien die Welt zu verschwinden, in die uns unsere Eltern schickten, damit wir in unserer Heimat nicht den Soldaten zum Opfer fallen würden. Aber genau das Gleiche war hier der Fall: Sie brachten uns alle in ein großes Gebäude, das einem Gefängnis ähnelte.“
Der erste Schnee
Surenthiran war damals im siebten Monat schwanger. „Ich habe ständig geweint“, erzählte sie. Schließlich wurden alle registriert und in einem evangelischen Jugendheim untergebracht. Tagsüber musste das junge Paar aber das Gebäude verlassen, denn die Unterkunft schloss nach dem Frühstück und öffnete erst wieder um 17 Uhr. Es war Buß-und Bettag, damals noch ein Feiertag, und alle Geschäfte waren geschlossen. Die Einwanderer aus Sri Lanka froren in ihrer dünnen Kleidung: Im November 1984 schneite es bis zu den Knien. „Kalt, aber doch so rein und klar. Fast wie Kokosflocken“, dachte Surenthiran, die zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee sah.

Am nächsten Morgen meldete sich das Paar bei der Polizei und bekam seinen Asylausweis. Als es die Polizeistation verließ, war das Sozialamt bereits geschlossen. Es war Freitag, und die zzwei wussten nicht, wohin. Zum Glück trafen sie eine andere tamilische Familie, die sie beherbergte, bis sie am Montag zum Sozialamt konnten, um ihre Bescheinigungen zu holen.
Die Hektik dort, der Lärm, überall Zigarettenrauch – für die Schwangere war das zu viel: „Als der Beamte uns die Bescheinigung überreichen wollte, sah ich ein schwarzes Flackern und alles verschwamm. Und alles wurde dunkel. Und still.“ Sie war ohnmächtig geworden, kam ins Krankenhaus.
Nach der Geburt nach Zirndorf
Nach den Untersuchungen wurde dem Paar mitgeteilt, dass es bis zur Geburt des Babys in Berlin bleiben muss. Es zog in ein Zimmer mit Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsbad. Vom Sozialamt gab es 150 Mark pro Person in Form von Lebensmittelgutscheinen, die im Supermarkt eingelöst werden konnten, außerdem pro Person einen 50-Mark-Gutschein für eine Jacke und ein Paar Schuhe, um sich für den Winter auszustatten.
Am 1. Februar 1985 brachte Chandravathany Surenthiran ihr erstes Kind zur Welt. 20 Tage später wurde das Paar und sein Baby nach Bayern geschickt. Sie landeten im Zentralflüchtlingslager in Zirndorf, von wo die Flüchtlinge auf verschiedenen Orte verteilt wurden.

Die junge Familie aus Sri Lanka kam in eine Unterkunft in Coburg Neukirchen. Zweimal pro Woche erhielt sie Lebensmittel: ein Kilo Mehl, ein Kilo Zucker, 200 Gramm Schweinefleisch, 100 Gramm trockene Früchte, außerdem ein Babybrei, ein Glas Fruchtbrei und Milchpulver. Der monatliche Zuschuss betrug für Surenthirans Mann 50 Mark, für sie selbst als 18- bis 21-Jährige 65 Mark.
Ein „Engel in der Not“
Die evangelische Kirchengemeinde in Coburg unterstützte sie bei alltäglichen Aufgaben. Eine ältere Dame namens Johanna Volk aus Seubelsdorf wurde ihnen zugeteilt. Sie behandelte das junge Paar wie ihre eigenen Kinder, nahm es auch mit in die Kirche. „Für uns war das selbstverständlich, auch wenn es nicht unsere Religion war“, erklärt Surenthiran: „Es war ein Gotteshaus, und Gott begleitete uns auf unserem schwierigen Weg.“ Johanna Volk nennt sie einen „Engel in unserer Not“.
Nach vielen Monaten durften sie nach Burgkunstadt umziehen. Dort war die Asylunterkunft ein gewöhnliches Haus. Jede Familie bekam ihre eigene kleine Wohnung für sich. Keine Gemeinschaftsküche. Keine Gemeinschaftsbäder. Kein Gemeinschaftsklo. Ein Traum für die junge Familie, die neue Hoffnung fasste. Allerdings reichten das Geld und die Lebensmittelrationen immer nur knapp, zumal Surenthiran wieder schwanger war und ein Säugling zu versorgen war.
„Beim Spazierengehen trafen wir eine unbekannte Frau, die auf uns zukam und mir einen 20 Mark Schein in meine Hand legte und diese schloss. Frau Weichert war ein weiterer Engel, die uns auf unserer Reise begleitete.“
Vier Jahre ohne Arbeitserlaubnis
Am 15. Februar 1986 kam ihre Tochter zur Welt. Ihre Seubelsdorfer „Mama Johanna“ begleitete sie ins Krankenhaus. Johanna Volk war für sie da, feierte die Geburtstage ihrer Kinder mit ihnen und half ihnen, als sie die Sprache nicht beherrschten.
Vier Jahre lebte die Familie von monatlichen Gutscheinen und Lebensmittelrationen, ohne dass sie eine Arbeitserlaubnis erhielten. „In genau diesen schweren Zeiten habe ich so viel Freundlichkeit, Nächstenliebe, Wärme und Mitgefühl von völlig fremden Menschen erfahren, ohne die ich nicht die wäre, die ich heute bin“, betont Surenthiran. „Aus Fremden wurden Freunde. Euch werde ich bis zu meinem Tod niemals vergessen. Danke an Angelika Kießling, geborene Dauer, Christa Grosch, Petra Dauer, Jutta Schelder.“
1988 bekamen sie eine Arbeitserlaubnis und Chandravathany Surenthirans Mann begann zu arbeiten. Am 17. Januar 1989 kam ihr zweiter Sohn zur Welt. Im August mussten sie ihre Wohnung verlassen. Auf ihre Bitten hin vergab der damalige Bürgermeister Dora eine Wohnung an sie: „Ein Traum wurde Wirklichkeit.“
Das eigene Restaurant
Die Kinder kamen in den Kindergarten, Chandravathany Surenthiran nahm mehrere Putzstellen an. Ab 1999 arbeitete sie Tag und Nacht in einer Fabrik, was krankheitsbedingt sehr schwierig war. Eine ihrer Putzstellen war eine Pizzeria in Burgkunstadt gewesen, in der sie dann auch 20 Jahre als Köchin gearbeitet hatte. Jetzt übernahm sie das Michelauer Geschäft des Vaters ihres damaligen Chefs. Zusätzlich zu italienischen Gerichten bot sie indisches beziehungsweise tamilisches Essen an. Den Traum vom eigenen Restaurant verwirklichte sie zwei Jahre später, als in derselben Straße ein Restaurant leer stand. Ihre Kinder sind mittlerweile erwachsen, haben eigene Familien und stehen fest im Leben.
„Ich habe so viel Freundlichkeit, Nächstenliebe, Wärme und Mitgefühl von völlig fremden Menschen erfahren.“
Chandravathany Surenthiran
Chandravathany Surenthiran möchte den Leserinnen und Lesern etwas mitgeben: „Jeder Mensch ist ein Erdenbürger, ungeachtet bestehender Grenzen. Wenn man was erreichen will, dann gelingt es, wenn man diszipliniert und engagiert ist. Dabei ist und bleibt Sprache der Schlüssel der Kommunikation. Bei den heutigen Bildungsmöglichkeiten in Form von Deutschkursen sollte man die Chance effektiv nutzen, um sich schneller integrieren zu können. Mein Weg war ein harter und steiniger, aber die Arbeit und die Mühen haben sich gelohnt.“