Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs, die Bombardierung der Bahnhöfe in Lichtenfels und Hochstadt sowie Fliegerangriffe hat Agathe Streich, geborene Welsch, aus Hochstadt als junge Frau miterlebt. Lebhaft erinnert sie sich an die schreckliche Zeit, in der sie als Auszubildende auf dem Weg zu ihrem Betrieb in Lichtenfels mehrmals knapp den Angriffen von Flugzeugen der Alliierten entgangen ist. Im folgenden schildert sie die Zeit von Februar 1945 bis zum Kriegsende am 8. Mai:
Es war der 14. Februar 1945, einen Tag vor meinem 17. Geburtstag. Ich war zu der Zeit Lehrling bei Foto Eichinger in Lichtenfels, Coburger Straße15. Zu der Zeit verkehrte der sogenannte Striwa-Zug zwischen Lichtenfels und Hochstadt, damit die Leute zum Mittagessen nach hause konnten. Abfahrt war um 12.05 Uhr mit circa einer Stunde Aufenthalt in Hochstadt. Als ich schon im Zug saß war Fliegeralarm, nach einer Stunde Entwarnung, dann die Weiterfahrt.

Zwischen Michelau und Trieb wurde die Lokomotive zerschossen
Als wir in Michelau ankamen, schon wieder Fliegeralarm. Der Lokomotivführer wollte nicht mehr weiter fahren, aber der Fahrdienstleiter sagte, er lasse nicht den Bahnhof kaputt schießen, aber wir hätten durch den Krappenrother Berg Schutz gehabt. Als wir dann auf freier Strecke zwischen Michelau und Trieb waren, wurden wir von den Tieffliegern angegriffen. Die Lokomotive wurde als erstes kaputt geschossen. Eine Frau, die im ersten Wagen gleich hinter der Lokomotive saß, wurde getötet.
Als wir aus dem Zug wollten, folgte der nächste Angriff und alles ging wieder zurück, da stand die Klotür offen. Ich wollte da rein , habe mich aber im Gang auf den Boden geworfen – was für ein Glück. Das Klo war total zerschossen. Wer weiß, ob ich da noch lebend heraus gekommen wäre. Nachdem wir endlich den Zug verlassen konnten, haben wir Schutz am Bahndamm gesucht. Da wir von Schwürbitz her angegriffen wurden, haben wir uns auf die Seite in Richtung Krappenroth gelegt und wenn wir von Krappenroth herkamen, auf die Seite von Schwürbitz. So ging es noch einige Male.
Ich werde nie vergessen, wie ein älterer Eisenbahner, Herr Wittmann aus Hochstadt, um sein Leben gerannt ist. Und dann ist er am 23. Februar beim Bombenangriff auf den Lichtenfelser Güterbahnhof ums Leben gekommen.
Als die Flugzeuge abgedreht hatten, sind wir über die Felder gelaufen und haben noch eine Weile im Wald bei Trieb gewartet, bis wir nach Hochstadt gelaufen sind. Es war auch eine Frau aus einer Schaustellerfamilie, die in Lichtenfels auf dem Schützenanger war, dabei. Sie wollte ihre Tochter, die im Krankenhaus lag, besuchen. Sie hat am ganzen Körper so sehr gezittert, dass ich sie zum Krankenhaus geführt habe.
Beim Bombenangriff auf den Güterbahnhof starben 32 Menschen
Von diesem Tag an ist auch der Striwa-Zug nicht mehr verkehrt, so dass ich den Bombenangriff auf den Güterbahnhof in Lichtenfels miterlebt habe. Es war um die Mittagszeit, mein Chef und seine Tochter waren zum Mittagessen in ihre Wohnung in die Coburger Straße 38 gegangen. Ich stand auf dem Gehsteig vorm Geschäft und habe die angreifenden Flugzeuge beobachtet.
Plötzlich haben sich ein paar aus dem Verband gelöst und sind im Sturzflug runter und schon hat es gekracht. Dabei kamen 32 Menschen ums Leben.
Dann am 8. April 1945 der Angriff auf den Hochstadter Bahnhof. In der Zeit stand ein Militärzug mit Soldaten, Pferde und Wagen da. Dabei wurden vier Soldaten und einige Pferde getötet. Ein Soldat mit dem Namen Heiland hat bei uns in der Wohnung die Kreuze mit den Namen der Soldaten beschriftet. Sie wurden auch auf dem Friedhof beigesetzt.

Auch ein Munitionszug, der in der Nähe von Katzogel stand, wurde stark beschossen. Zum Glück ist alles in Katzogel explodiert. So wurden keine Häuser beschädigt.
Ich habe zu dieser Zeit mit meinen Eltern in der Nähe gewohnt. Auch standen Güterwagen mit Dosen Fleisch, Wurst, Käse und ganze Säcke mit ungeröstetem Bohnenkaffee, Haferflocken, Rauchwaren und Stoffballen dort. Das alles wurde von der Bevölkerung geplündert.
Die letzten Tage vor Ankunft der Amerikaner waren besonders schlimm
Nachdem auf die Gleise innerhalb des Bahnhofs Bomben gefallen waren, konnte auch kein Zug mehr fahren. Daher musste ich wochenlang mit dem Fahrrad nach Lichtenfels fahren, musste aber oft auch laufen, wenn mein Fahrrad einen Platten hatte. Einmal, als ich unterwegs bei der Eisenbahnbrücke in Michelau ankam, ist vor mir ein Trupp amerikanischer Gefangener mit deutscher Bewachung gelaufen. Als wieder die Schießerei losging, sind alle in den Wald gelaufen. Bei dieser Gelegenheit, habe ich die ersten Farbigen gesehen.

Die letzten Tage, bevor die Amerikaner kamen, waren besonders schlimm. Eines Tages wollte ich nicht mehr nach Lichtenfels fahren, aber mein Vater bestand darauf, dass ich zur Arbeit muss. Ich bin zu meiner Schulkameradin Erna, die im gleichen Haus wohnte, gegangen und habe sie gebeten, mich zu begleiten, was sie auch tat. Als wir zwischen Hochstadt und Trieb waren, mussten wir vor den Tieffliegern Schutz im Straßengraben suchen. Am Eingang von Lichtenfels standen zwei Männer vom Volkssturm und haben wegen des Fliegeralarms niemanden in die Stadt gelassen.
Als wir auf dem Rückweg bei den Gaabsweihern ankamen, kam uns unser Schulkamerad Paulus entgegen. Er sollte sich zwecks Einberufung in Lichtenfels melden. Wir konnten ihn überreden, mit uns zurückzufahren. Dadurch musste er nicht mehr in den Krieg.
Als dann die Amerikaner schon hier waren, war ich wie immer mit dem Fahrrad unterwegs. Eines Morgens, als ich nach Lichtenfels fuhr, standen auf dem Parkplatz bei Trieb Amerikaner mit Fahrzeugen. Da kamen zwei farbige Soldaten auf mich zu. Ich habe so schnell ich konnte in die Pedale getreten. Sie haben dann nur gelacht. Wahrscheinlich wollten sie mich erschrecken.
Als der Krieg zu Ende war, haben sich viele polnische Zwangsarbeiter auf der Straße herumgetrieben und den Leuten die Fahrräder abgenommen. Eines Abends auf dem Heimweg kamen mir kurz vor Hochstadt zwei Männer entgegen. Einer trat schon auf mich zu, als in dem Augenblick gerade ein Auto vorbeikam, so dass ich noch entkommen konnte. Zum Glück hab ich alles noch heil überstanden und bin noch am Leben.