Es war anno 1958, das Wirtschaftswunder in Deutschland nahm immer mehr Fahrt auf und hatte auch schon in weiten Bereichen des Lebens Marktzeuln erreicht. Nur die Motorisierung der Zeulner Bürger war damals noch eher bescheiden. Einige Bürger hatten Motorräder und Mopeds, echte Automobile waren aber der Oberschicht vorbehalten – also dem Arzt, dem Bürger- sowie dem Metzgermeister. Die Handwerker hatten Kleinbusse und Transporter von VW, Ford, Hanomag usw.., Das war es auch schon.
Dem Otto, seines Zeichens braver Vertreter der Arbeiterklasse, missfiel diese ungerechte Verteilung der Ressourcen. Seit 1952 mit einer 200er Zündapp unterwegs kam auch bei ihm der Wunsch nach einem vierrädrigen Gefährt auf. Warum sollten die einfachen Leute nicht auch ein Blechdach über dem Kopf haben? In Schwürbitz, beim Autohändler Willi Engelhardt fand er alsbald das Objekt der Begierde. Einen Lloyd LP400, gebraucht, für 1500 Mark.
Nun waren die Finanzen der Familie zu dieser Zeit eher übersichtlich. Aber auch da fand der Otto Hilfe. Die Schwiegermutter wurde um einen Kredit angegangen. Mit dem Versprechen an die sehr fromme Frau, dass man mit solch einem modernen Automobil jederzeit Fahrten zu heiligen Stätten wie Vierzehnheiligen, Marienweiher oder gar Altötting unternehmen könnte.
Die Finanzierung war gesichert
Das leuchtete ein und damit war die Finanzierung gesichert. Mit dem Willi wurde man handelseinig und so stand schon bald der „Leukoplastbomber“, wie er im Volksmund genannt wurde, mit seinen satten 13 PS vor der Tür.
Nicht nur für die Fahrt zur Arbeit diente das Gefährt. Es wurden auch an den Wochenenden damit mannigfaltige Familienausflüge unternommen. Natürlich kam auch die Schwiegermama zu ihrem Recht. Manchmal wurden an einem Sonntag gleich mehrere berühmte Kirchen und Sakralbauten angesteuert, was beim nicht ganz so frommen Otto bisweilen zu einer klerikalen Reizüberflutung führte. Aber wenn die Schwiegermama gut gelaunt war und – speziell Anfang des Monats – die Rente im Geldbeutel klingelte, zeigte sie sich spendabel, und es wurde heimwärts ordentlich eingekehrt.
Natürlich ließ es sich der Otto nicht nehmen, einmal seinen besten Freund Gerch mit Familie zu einem Sonntagsausflug einzuladen, man wollte ja zeigen, was man hatte. So kletterte man frohgemut in das kleine Auto, der Otto und der Gerch vorn, die Gattinnen auf der Rückbank, also die heute noch gebräuchliche „Fränkische Sitzordnung“. Die insgesamt drei Sprösslinge fanden auf den Schößen der Erwachsenen Platz. Eine Fahrt in die fränkische Schweiz war geplant, gab es doch dort damals schon wunderbare Einkehrmöglichkeiten in den Brauereigaststätten.
Die Damen bestanden jedoch zunächst auf einen Besuch der Wallfahrtsbasilika in Gößweinstein, wohl auch um der Schwiegermutter Willen. Über Weismain, Kleinziegenfeld und Hollfeld ging es in die „Fränkische“, an der Wisent vorbei spröttelte der Lloyd sein fröhliches Lied. Als es jedoch zum letzten Anstieg Richtung Gößweinstein ging verließen an der steilsten Stelle dem schmalbrüstigen Motörchen die letzten Kräfte und er warf mit einem asthmatischen Röcheln das Handtuch.
Stillstand 300 Meter vor dem Ziel

Da stand man nun, mitten am Berg, 300 Meter vor dem Ziel. Dies trieb dem Otto die Schamröte ins Gesicht, er fühlte sich von seinem Mobil einfach verraten und im Stich gelassen. Dann, nach einer Schweigeminute, kam aus zusammengepressten Zähnen der unmissverständliche Befehl: „Gerch, aussteigen!“. Jener tat, wie ihm geheißen. Das Fuhrwerk, nunmehr um gut zweieinhalb Zentner erleichtert, nahm wieder Fahrt auf, die 13 PS stemmten sich auf die Kurbelwelle und brachte die Fahrgäste sicher zur Basilika, während der Gerch fußläufig schnaufend und schwitzend hinterher kam.
Allein, bei der folgenden Weiterfahrt durch die fränkische Schweiz nagte der Gram über diese blamable Vorstellung in Ottos Kopf, und das süffisante Grinsen vom Gerch vor jeder noch so kleinen Steigung tat ein Übriges. Nach der zweiten Einkehr und dem vierten Bier – damals nahm man es mit der Promillegrenze noch nicht so genau – reifte der Entschluss: Ein Upgrade musste her, so etwas darf einfach nicht mehr passieren.
Abermals ging es gleich Tags darauf zum Engelhardts-Willi, man ließ sich beraten und bald war er sicher, das nunmehr richtige Mobil für seine Zwecke gefunden zu haben: Ein Lloyd Alexander TS, mit fast schon sportlichen 25 PS. Allerdings musste erneut die Schwiegermutter ins Boot genommen werden, wegen der Streckung des Kreditrahmens. Die anfänglichen Bedenken wurden zerstreut, konnte man doch in so einem noblen Gefährt viel schneller und komfortabler zu den heiligen Orten gelangen. Wieder ließ sie sich überzeugen.
Dann kam die Arabella

Und so kam es, dass der Otto endlich ordentlich und standesgemäß motorisiert war. Viele Ausflüge mit der Familie – und der Schwiegermutter – wurden in der Folge unternommen und niemals mehr ließ das Auto seinen Besitzer in Stich. 1962 wurde noch eine Schippe draufgelegt, da kam es zur Anschaffung eines Borgward Arabella, damals schon fast Mittelklasse, mit amerikanisch anmutenden Design und schier unglaublichen 34 PS.
In diesen Tagen hatten es aber schon viele Zeulner Bürger dem Otto nachgetan, die Straßen wurden immer dichter bevölkert von Goggomobilen, Isettas, Opel Kadetts und natürlich dem Volkswagen Käfer. Die Automobilität in Marktzeuln, Deutschland und der Welt war nicht mehr aufzuhalten.
Anmerkung des Autors: Die älteren Zeulner werden es erraten haben, beim Otto handelt es sich um meinen lieben Papa Otto Fischer (1921 bis 1987).