Zum 750-jährigen Bestehen von Redwitz hat die Gemeinde unter dem damaligen Bürgermeister Jochen Neumann das Buch „750 Jahre Redwitz a. d. Rodach und Unterlangenstadt“ herausgebracht. Dazu hat Jochen Körner basierend auf den Erinnerungen von Yvonne Burkert und Ruth Harthan einen Beitrag zum Kriegsende verfasst, den er dem Obermain-Tagblatt zur Verfügung stellt. Die zitierten Originaltexte sind in voller Länge im Buch abgedruckt.
„Frau Yvonne Burkert war zusammen mit ihren vier und acht Jahre alten Kindern aus Nürnberg nach Redwitz evakuiert worden. Ihr Mann kämpfte in Russland. Sie war in Redwitz im ,Katzeneck‘ untergebracht.
Weiße Fahnen aushängen und keinen Widerstand leisten
Nach den Erinnerungen von Ruth Harthan kam am 12. April 1945 Herr Karl Partheymüller aus Marktgraitz, in Begleitung zweier amerikanischer Soldaten, als Dolmetscher zu ihr ins Haus. Sie wurde beauftragt, mit ihrem Telefon Kontakt zu den umliegenden Ortschaften aufzunehmen. Auf Wunsch der Amerikaner sollten in allen Ortschaften weiße Fahnen ausgehängt und die Orte ohne Widerstand übergeben werden.
Die Telefonleitung war aber schon unterbrochen. Deshalb wurde ein zufällig vorbeikommender Fremdarbeiter beauftragt, mit dem Fahrrad die Ortschaften aufzusuchen und die Botschaft der Amerikaner zu übermitteln.
Wie das Gemeindeblatt zu seinem Namen kam
Am 13. April kam der damalige Bürgermeister Bergmann zu Frau Burkert und bat sie, ihn bei Anrücken der amerikanischen Truppen zu begleiten. Grund dafür war, dass Frau Burkert fließend englisch sprach, sonst aber niemand im Ort war, der die Sprache beherrschte. Der Plan des Bürgermeisters war, dass bei Anrücken der Amerikaner die Kirchenglocken läuten sollten, als Signal, dass sich die Einwohner in die Keller begeben sollen. Dies wurde anschließend durch ,Ausschellen‘ in der Gemeinde bekannt gegeben.
Damals und noch bis in die 1960-er Jahre lief der Gemeindediener mit einer Glocke durch die Straßen und verkündigte wichtige Bekanntmachungen. In Erinnerung an diese Zeit heißt heute das Redwitzer Gemeindeblatt noch ,Ausscheller‘.
Sollten die Deutschen schießen, sollte Frau Burkert erschossen werden
Am 14. April rückten nun die Truppen aus Richtung Marktgraitz kommend auf Redwitz zu. Frau Burkert und Bürgermeister Bergmann wollten den Amerikanern über die hölzerne Rodachbrücke entgegen gehen. Es wurde von den Amerikanern aber die Anweisung gegeben, dass nur Frau Burkert die Brücke überqueren durfte.
Frau Burkert schreibt: ,Ich sagte, ich möchte den Ort übergeben, der Mann auf der anderen Seite der Brücke sei der Bürgermeister. Er antwortete, er sei bereit, den Ort zu verschonen und ihn nicht anzugreifen, wenn ich versicherte, dass kein deutscher Soldat mehr im Ort sei. Wenn der erste Schuss fällt, würde er nicht eine Sekunde zögern, mich an der nächsten Wand erschießen zu lassen.‘
Da die Panzer nicht über die Holzbrücke fahren konnten, mussten sie einen Bogen fahren und kamen von der anderen Seite nach Redwitz.
Die mutige Frau aus Nürnberg stellte sich zwei Soldaten entgegen
Frau Burkert eilte zurück zu ihren Kindern. Sie beschreibt nun die folgenden Minuten: ,Im Hausflur packte mich das Entsetzen. Dort standen zwei deutsche Soldaten mit Panzerfäusten und erklärten auf meine entsetzte Frage, dass sie von hier aus die feindlichen Panzer abschießen würden. Ich wusste, dass es sinnlos war und dass es viele Menschenleben kosten würde; ich wusste aber auch, dass dies mein Ende sein würde.
Ich ging noch mal zu meinen Kindern in den Keller. Bei ihrem Anblick beschloss ich, nicht aufzugeben. Ich befahl den im Keller anwesenden Frauen, in höchster Eile Zivilkleider für die Soldaten zu beschaffen, was zum Glück sehr schnell gelang. Den Soldaten machte ich klar, dass ihre einzige Chance war, in diesen Zivilkleider sofort zu verschwinden, wozu sie auch sehr schnell bereit waren.‘
In vielen Fällen half Frau Burkert beim Übersetzen
In den folgenden Tagen half Frau Burkert in vielen Fällen beim Übersetzen. Als es dann zu Übergriffen von D. P.s (Displaced Persons, Zwangsarbeiter), die im Siemenswerk am Ortsrand untergebracht waren, gegenüber der Ortsbevölkerung kam, fuhr Frau Burkert zusammen mit Bürgermeister Bergmann in einer Kutsche nach Lichtenfels zur übergeordneten amerikanischen Besatzungsdienststelle und erreichte, dass die D. P.s. aus Redwitz abtransportiert wurden.
Frau Burkert kehrte kurze Zeit später mit ihren Kindern nach Nürnberg zurück und konnte ein dreiviertel Jahr später ihren Mann wieder in die Arme nehmen.
Die Glocken läutete Frau Martha Schlemmer, Frau Dora Pülz (verh. Ledwig) holte die Hakenkreuzfahne ein, die weiße Fahne auf der Kirche wurde von Frau Kathi Löppert gehisst.
Freies Schussfeld von der „Haa“ auf Redwitz
Meine Mutter Helga erinnert sich noch, dass die Panzer auf der ,Haa‘ Aufstellung genommen haben. Von dort hätten sie freies Schussfeld nach Redwitz gehabt. Für Auswärtige, die ,Haa‘ ist die Anhöhe jenseits der Bundesstraße, hinter dem jetzigen Aussiedlerhof Mohr. Die Kanonenrohre waren auf Redwitz gerichtet. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn diese Panzerkolonne von den beiden Soldaten mit Panzerfäusten angegriffen worden wäre.
Es ist der mutigen Frau aus Nürnberg zu verdanken, dass Redwitz nicht zerstört wurde.“ (red)