Ich, der Zeulner Abraham, stehe gleich gegenüber vom Rathaus in Marktzeuln auf meinem Sockel und habe den kompletten Überblick über das Geschehen im Marktflecken. Viele kennen mich, viele sollen mich noch kennenlernen. Ich bin zwar nur aus Sandstein, aber mein Mundwerk ist so scharf wie der Krummsäbel in meiner Hand. Also werde ich ab und zu mal meine Beobachtungen aus Marktzeuln in Worten fassen und euch zum Lesen und Nachdenken überlassen. So wie es ab und zu geschieht:
Was man heutzutage doch immer wieder mal beobachten kann... Beispielsweise treffen sich da oben am Flecken 47 zwei gute Bekannte, nennen wir sie mal die Dora und den Heiner. Sie haben sich allerhand zu erzählen, getreu dem Motto „kaafn und waafn“ und es geht vielleicht auch um gemeinsame Pläne und Anliegen, die man vorhat. Doch plötzlich ertönt aus dem „Off“ ein melodiöses Getriller. Die Dora fischt aus dem zweiten Untergeschoss ihrer Handtasche ein Smartphone und guckt auf das Display. „Wart mal schnell, da muss ich ran“, bedeutet sie dem Heiner und drückt die grüne Taste.
Der weiß nicht, wie er schnell warten soll, bisher hat er immer nur ganz normal gewartet. In den nächsten zehn Minuten erfährt er ohne allzu großes Interesse alles über die Befindlichkeiten der Gesprächsteilnehmerin von der Dora, über deren Gatten und die lieben Kinder und die fernere Verwandtschaft. Endlich, nach gefühlten Stunden, legt sie auf und meint: „Sorry, wo waren wir stehengeblieben?“
Der Heiner versucht krampfhaft, den Faden vom vorhergehenden Gespräch wieder zu finden, derweil die Dora auf dem Gerät noch eine WhatsApp-Nachricht tippt. Wahrscheinlich schreibt sie der Freundin, wie schön doch das Telefonat von soeben war. Dem Heiner, schon leicht genervt, reißt irgendwann der Geduldsfaden. Er verabschiedet sich winkend und geht seiner Wege. Ach ja, denkt er, ich wollt der Dora ja noch was ganz Wichtiges sagen. Aber das kann ich ja dann per WhatsApp schreiben. Vielleicht liest sie es ja.
Ich finde, es würde auch in der heutigen Zeit zu Anstand und Höflichkeit gehören, wenn man während einer Unterhaltung mit jemanden, der körperlich anwesend ist, das Handy einfach in der Tasche belässt oder sogar auf „lautlos“ stellt. Adolph Knigge hätte das bestimmt gewusst und in seinem Buch über die Benimmregeln mit aufgenommen. Aber leider gab es zu der Zeit von Knigge noch kein Smartphone. Schade, aber vielleicht sollte man trotzdem ab und zu daran denken. Dem freundlichen Miteinander würde das nicht schaden.
In diesem Sinne:
Euer Abraham.