Februar 2020, Florenz. Tobias Hohner aus Redwitz, 26 Jahre alt, steht in der Roccart-Gallery und nimmt Komplimente entgegen. Ohne zu reagieren. Völlig apathisch. Sprachlos.
Fünf seiner Bilder sind in der Ausstellung „Frauen in der Kunst“ zu sehen. Seit vier Jahren malt der Student, erst abstrakt in kräftigen Farben, mittlerweile fotorealistisch in Schwarz-Weiß. Per Zufall hat der italienische Galerist seine Arbeiten auf Instagram entdeckt und ihn nach Florenz eingeladen. Hohner freut sich riesig, sieht das als seine große Chance. Und weil er in der Galerie ein fünf Meter breites Stück Wand für die Hängung seiner Werke zur Verfügung hat, kniet er sich richtig rein und fertigt noch zwei Arbeiten extra für Florenz an.
„Ich hätte die Zeit meines Lebens haben sollen. Stattdessen ging's vom Himmel direkt in die Hölle.“
Tobias Hohner, Buchautor
„Ich habe gemalt wie ein Wahnsinniger, bis nachts um 2 Uhr, und früh um 7 Uhr bin ich aufgestanden und habe weiter gemacht“, erinnert sich Tobias Hohner heute. Entspannt und gut gelaunt sitzt er im Esszimmer seines Vaters in Redwitz, vor sich sein Buch, das bunte Cover selbst gestaltet: „Die Florenzgeschichte. Wie ich die Schizophrenie besiegte“ heißt es. In ihm hat er verarbeitet, was er in jenem Jahr durchgemacht hat.
Zurück in den Februar 2020. Total gestresst kommt Hohner in Florenz an. In der Kunststadt, mit der er so viele Hoffnungen verknüpft. Er will mit anderen Künstlern ins Gespräch kommen, freut sich, den Galeristen kennenzulernen. Und dann das. „Ich brachte gar nichts mehr raus, war total nervös.“
Wenn die Erfahrungswelt einer Computersimulation gleicht
Es ist der Beginn einer langen Leidenszeit. In Florenz entwickelt der 26-Jährige Tics, schnalzt nervös mit den Fingern, pfeift, schmatzt. „Ich hätte die Zeit meines Lebens haben sollen. Stattdessen ging's vom Himmel direkt in die Hölle.“
Die Freunde, die mit ihm in die Toskana gefahren sind, bringen ihn nach der Rückkehr direkt in die Notaufnahme. Im Krankenhaus hat er seine erste Psychose: „Ich hatte das Gefühl, alle um mich herum seien Roboter, und ich sei in einer Computersimulation.“
Befremdlich die Reaktionen im Krankenhaus, in das der junge Mann ja gekommen ist, um sich behandeln zu lassen. Er hört, wie Krankenschwestern sagen, er sei ein Irrer, ein Spinner, man müsse Angst vor ihm haben. Sein Bettnachbar deutet vor Besuchern auf ihn und macht die Geste des „Scheibenwischers“, das Zeichen für Verrücktheit. Da beschließt er aufzuschreiben, was er erlebt. So entstehen die ersten Notizen für das Buch.
Psychosen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen
Hohner bleibt nicht lange in diesem Krankenhaus, in dem er so schlecht behandelt wird. Er ist nicht verrückt. Die Diagnose lautet Schizophrenie. „Das ist eine Hormonkrankheit“, weiß der Redwitzer inzwischen, „ausgelöst durch zu viel Dopamin im Gehirn“. Die Folge: Psychosen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, auch von Verschwörungen. Selbst religiöse Aspekte spielen mit rein, erklärt Hohner. Und erzählt von seiner zweite Psychose: „Auch wenn das blöd klingt: Ich dachte, ich wäre Jesus und müsste Eva erschaffen. Da habe ich gerade ein Bild von meiner Schwester Eva gemalt.“
Zu der Zeit ist er bei seinem Vater in Redwitz und versucht, seine Probleme mit Hilfe einer ambulanten Therapie in den Griff zu bekommen. Aber diese zweite Psychose ist der Auslöser dafür, dass er erneut ins Krankenhaus muss, wenn auch in ein anderes. Seine Familie weiß sich nicht mehr zu helfen. Er erkennt sie auch nicht mehr, genauso wenig wie seine Freundin, wähnt sich von Dämonen mit großen Augen und kleinen Mündern umgeben. Unbedingt, so meint er, muss er in den Keller, an die Staffelei, muss malen. Mit vereinten Kräften versucht ihn die Familie davon abzuhalten.
Was sich für ihn wie ein paar Stunden angefühlt hat, dauerte Tage, weiß er heute. Wieder im Krankenhaus, verbringt er auch einige Zeit auf der geschlossenen Station. Man befürchtet wohl, dass er sich etwas antut. Tabletten sollen helfen, aber die Nebenwirkungen machen dem jungen Mann zu schaffen, bewirken, dass er nicht lange still sitzen kann, sich ständig bewegen muss. Und dann noch Corona, der Lockdown.
Sein Vater versucht, das Positive zu sehen. Schau, sagt er, zurzeit verpasst du nichts. Du kannst dich voll auf dich und deine Krankheit konzentrieren. Aber die Pandemie bedeutet nicht nur keine Besuche, sondern auch wenig Therapien. Vielleicht wird es deshalb auch so schlimm, dass sich die Ärzte am Ende nicht mehr anders zu helfen wissen, als die Elektrokonvulsionstherapie auszuprobieren. Über Elektroden an der Kopfhaut erhält das Gehirn kurze elektrische Impulse. Das lässt unwillkürlich schaudern und weckt Assoziationen mit den brutalen Elektroschocktherapien, die in den 1930-er Jahren bei psychisch Kranken angewandt wurden.
Diese Geschichte ist auch eine Liebesgeschichte
„Das klingt schrecklich, ist aber gar nicht schlimm“, beruhigt Hohner. Und ihm hat es letztlich geholfen. Im Oktober 2020 wird er entlassen, „super drauf, super eingestellt“, wie er sagt. Denn Tabletten muss er weiterhin nehmen, um den Dopamingehalt im Gehirn zu regulieren.

Kurz danach feiert er seinen 27. Geburtstag, richtig groß, mit allen Freunden, die während dieser harten Zeit zu ihm gehalten haben. Und mit seiner Freundin. Tobias Hohner lächelt. „Diese Geschichte ist auch eine Liebesgeschichte.“ Lisa war vor der Erkrankung eine gute Freundin, die bei ihm in der WG in Bamberg wohnte. Aber dann hat sie ihn, so lange Corona das erlaubte, jeden Tag im Krankenhaus besucht. „Jede andere Frau wäre bei diesen Gedanken, die ich damals hatte, davongelaufen“, ist dem jungen Mann bewusst. „In dieser Zeit habe ich mich verliebt.“
Besser hätte es nicht laufen können, sagt er: „Jetzt ist mein Buch fertig, ich habe meine Freundin, und ich weiß, wer auf meiner Seite steht und auf wen ich mich verlassen kann.“
„Jetzt ist mein Buch fertig, ich habe meine Freundin, und ich weiß, wer auf meiner Seite steht und auf wen ich mich verlassen kann.“
Tobias Hohner, Buchautor
So ist aus dieser bedrückenden Geschichte eine Geschichte mit Happy-End geworden. Damit will Tobias Hohner nun auch anderen Mut machen. Und er will aufklären über eine Krankheit, über die in der Gesellschaft immer noch wenig bekannt ist. „Bei euch habe ich das Schreiben gelernt“, würdigt der 28-Jährige die OT-Redaktion, bei der er als Praktikant in sehr guter Erinnerung ist. „Ich habe wirklich versucht, die Halluzinationen, meine Gedankenwelt, die Gefühle zu beschreiben.“
Während er mit der Schizophrenie kämpfte, war er froh, dass das keiner in Redwitz mitbekommen hat. Aber nun sucht er die Öffentlichkeit, ohne Pseudonym, um das Stigma zu brechen, wie er sagt: „Ich bin kein Spinner, kein Verrückter, einfach nur krank – und ich steh' dazu.“ Viele ermutigende, tolle Reaktionen bestärken ihn darin.
Über ein Jahr ist vergangen. Tobias Hohner, mittlerweile 28 Jahre alt, hat nicht nur ein Buch geschrieben, sondern auch seinen Bachelor in der Tasche und fängt am 1. April bei einer Werbeagentur in Fürth an. Das Malen macht wieder Spaß, gerade hat er eine Auftragsarbeit abgeschlossen. Der junge Mann streckt sich. „Ich hab mein Leben jetzt richtig im Griff, ich kann's wieder genießen.“
Das Buch „Die Florenzgeschichte. Wie ich die Schizophrenie besiegte“ von Tobias Hohner ist im Rediroma-Verlag erschienen, ISBN 978-3-9852745-9-8.