Elisabeth Gutgesell, Inhaberin von „Elli?s Mode aktuell“ in Michelau, ist verzweifelt. Am Donnerstag, 28. Januar, griff sie deshalb zum Telefonhörer. Sechs Stunden lang versuchte sie sich Gehör zu verschaffen. Sie telefonierte mit Landrat Christian Meißner, amtierenden Bürgermeister Jochen Weber (Michelau) und Roberto Bauer, dem Kreisvorsitzenden des Einzelhandelsverbandes. Elli Gutgesell kämpfte sich durch die lange Warteschleife bis nach Berlin. Sie hatte das Gefühl „im Stich gelassen worden zu sein.“ Es müsse endlich etwas geschehen, fand sie. Sie wartn vor einem Ausbluten des Einzelhandels nicht nur in Michelau, sondern landesweit.
Hinzu kam das Gefühl einer diskriminierenden Ungleichbehandlung. Während sich die Einzelhändler seit Wochen im kompletten Lockdown befinden, gestattet die Regierung dem Lebensmittelhandel eine Ausweitung des Angebots. Die Lebensmittelhandelsgeschäfte dürften plötzlich alles in ihren Läden verkaufen: Blumen, Textilen, Schuhe, Elektrogeräte, selbst Fahrräder. Derweil warte der Einzelhandel, der seine Mitarbeiter nicht weiter beschäftigen kann, aber weiterhin sämtliche Ausgaben, wie Miete, Wareneinkauf, stemmen muss, auf die zugesagte finanzielle Unterstützung.
„Wir haben noch keinen Cent gesehen, weder im ersten Lockdown noch jetzt im zweiten. Wir zahlen Steuern, Amazon nicht“, klagt Elisabeth Gutgesell. Vielen Menschen sei dieses Problem gar nicht bewusst.
„Wir sind am Ende! Wir haben alle unsere Hausaufgaben gemacht, aber wir stehen mit leeren Händen da.“
Elisabeth Gutgesell, Einzelhänderlin
„Wir sind am Ende! Wir haben alle unsere Hausaufgaben gemacht, aber wir stehen mit leeren Händen da. Wir Einzelhändler können nicht ruhig sein und nur leiden, und zusehen wie alles den Bach runter geht!“, so Elli Gutgesell, die bisher, wie viele ihre Kollegen aufs Ersparte fürs Alter zugreifen muss.
Entscheidend unterstützt wurde sie in ihren Bemühungen vom Michelauer amtierenden Bürgermeister Jochen Weber und der Verwaltung im Michelauer Rathaus. „Oberste Priorität für mich war es, unseren heimischen Geschäften mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Seite zu stehen und diesen entsprechend wissen zu lassen, dass ihre Heimatgemeinde sie nicht im Regen stehen lassen würde“, erklärte Jochen Weber.
Kontakte nach Berlin geknüpft
„Nach dem verzweifelten Anruf unserer Elli, die hier wohl stellvertretend für alle Einzel- und Fachhändler in unserer Gemeinde Michelau spricht“, stellte Weber mit den verschiedensten Behörden den Kontakt her. Durch die Vermittlung der Bundestagsabgeordneten Emmi Zeulner kam eine Videokonferenz mit namhaften Teilnehmern zustande.
Im Michelauer Rathaus trafen sich Bürgermeister Jochen Weber, Elli Gutgesell, Roberto Bauer und Melanie Wolf (Vorsitzende des Michelauer Einkaufkorbs). Hinzugeschaltet waren Frank Mirsberger (Felicissimo Mode, Staffelstein), Elke Bittermann (Blumengeschäft in Lichtenfels), ein Vertreter der Firma Leithner von Intersport Kulmbach, und vom Schuhhaus Hofmann in Lichtenfels. Als weiterer politischer Vertreter nahm Bürgermeister Bernreuther aus dem Landkreis Kulmbach teil.
Der entscheidende Ansprechpartner war der Parlamentarische Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums, Thomas Bareiß. Die Moderation der Video-Konferenz hatte die Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner übernommen. 45 Minuten lang hörte sich der Staatssekretär die Sorgen und Nöte der Einzelhändler an.
„Für 79 Prozent der von der Schließung betroffenen Geschäfte reichen die aktuellen Hilfsmaßnahmen nicht zu einer Existenzsicherung aus.“
Roberto Bauer, Vorsitzender der Einzelhändler
Roberto Bauer zitierte in diesem Zusammenhang die aktuelle Aussage des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsident und bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger: „Den Bayrischen Firmen geht das Geld aus. Die Anzeichen für eine Pleitewelle sind da.“ Fakt sei, so Robert Bauer, dass vom Lockdown circa 200 000 Unternehmen betroffen sind. „Für 79 Prozent der von der Schließung betroffenen Geschäfte reichen die aktuellen Hilfsmaßnahmen nicht zur Existenzsicherung aus. Über 60 Prozent der Modehändler sehen ihre unternehmerische Existenz derzeit akut gefährdet, und sie werden ohne entsprechende Wirtschaftshilfen ihr Geschäft in diesem Jahr aufgeben müssen. Die Folge: leere Innenstädte, öde Straßen“, so Roberto Bauer.
Existenzängste, Frust und Verzweiflung
Nicht nur nach seiner Einschätzung nehmen Frust, Existenzängste, Verzweiflung und Wut auf die Politik dramatisch zu. „Wie haben es satt, immer nur salbungsvolle Worte zu hören. Ein Textilhändler, ein Baumarkt oder die Gastronomie können genauso die Hygienevorschriften einhalten wie ein Lebensmittelgeschäft. Wir akzeptieren alles, was gesundheitspolitisch geboten ist. Aber das sture Festhalten an den Beschränkungen für den Handel ist immer weniger nachvollziehbar“, erklärte Bauer.
Während von allen Beteiligten das Engagement und die Moderation durch die Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner gelobt wurde, konnten das Auftreten und die Antworten des Staatsekretärs aus dem Wirtschaftsministerium die Teilnehmer an der Videokonferenz nur unzureichend zufrieden stellen.
„Wir haben Gehör gekriegt. Der Hilfeschrei wurde zumindest gehört. Was die Regierung daraus macht, wissen wir nicht. Herr Bareiß hat uns in seiner Eigenschaft als Politiker angehört – das ist ganz wichtig“, stellte Elli Gutgesell in ihrer Nachbetrachtung fest.
Enttäuscht vom Ergebnis der Videokonferenz
Maßlos enttäuscht vom Verlauf und vom Ergebnis der Videokonferenz zeigte sich Frank Mirsberger von dem Unternehmen Felicissimo Mode in Bad Staffelstein. Er ist zugleich der Vorsitzende der Adam-Riese-Unternehmergemeinschaft. „Wir waren im Vorfeld fest davon überzeugt, dass nun anstelle der Dezemberhilfe die Überbrückungshilfe III zu Beginn des zweiten Lockdowns kommt. Jetzt erfahren wir, dass die Überbrückungshilfe III erst nächste Woche oder übernächste Woche finalisiert werden soll. Es dauert also noch mal länger bis einen Unterstützung kommt. Denn auch die entsprechende Software muss dann erst noch programmiert werden. „Wir mussten im Dezember schließen, haben seitdem so gut wie keine Einnahmen mehr, aber die Kosten laufen weiter. Dass man dann als Staatsekretär ganz tiefenentspannt verkündet, ,das dauert halt jetzt noch ein paar Wochen', das war ein Schock für uns alle! Die kleinen Familienbetriebe sind dem Wirtschaftsministerium offensichtlich völlig egal. Es werden viele ihre Existenz verlieren.“
Nicht kampflos das Feld räumen
Doch kampflos wollen die Einzelhändler das Feld nicht räumen, und sie werden dabei von Weber unterstützt. Der will in diesem Zusammenhang mit allen Beteiligten eine Petition auf den Weg bringen. Alle betroffenen Einzelhändler sollten diese unterschreiben. Damit könnte ein Signal von dieser Videokonferenz in Michelau ausgehen – weit über den Landkreis hinaus. Lippenbekenntnisse alleine helfen den Einzelhändlern ebenso wie die zugesagte Soforthilfe von 4000 Euro nicht weiter.