Wir haben bereits von Handel und Wandel im unteren Teil von Marktzeuln berichtet. Aber auch am Flecken im Bereich des oberen Tores gab es in den 1950-er bis 1980-er Jahren Gewerbe, besonders geprägt durch die Familien Flieger, fast schon eine „Dynastie“ von Gewerbetreibenden.

Da war mal westlich des Torhauses der Anton, genannt „Radio-Flieger“ mit seinem Elektrogeschäft, dann der Hanni „Uhren-Flieger“ im Torhaus, daneben das Schreibwarengeschäft von Karl und Eva Flieger, genannt „Buchbinder“ und schließlich das Gasthaus mit Metzgerei von Leonhard Flieger, genannt „Zum Paula“. Darüber soll hier etwas ausführlicher berichtet werden.
Erste Erwähnung 1906, aber Ursprünge sicherlich vier früher
Der Name stammt vom Vater des letzten Wirtes mit Namen Paul Flieger. Eine erste Erwähnung findet sich 1906, hier ist von einer Gastwirtschaft und Metzgerei von Anton Flieger die Rede. Die Ursprünge gehen aber sicher noch weiter zurück in die Zeit, als es in Zeuln noch das berühmte Kommunbier gab.

Interessant ist die Gliederung des Gebäudes. Es handelt sich um eine Doppelhaushälfte, die aber vom Zugang am Gummel bis zum Haupteingang am Flecken vier Stockwerke plus Dachgeschoss aufweist. In der untersten Etage, vom Gummel aus zugänglich, waren die Stallungen. Leonhard Flieger betrieb auch noch eine Landwirtschaft. Scheune und Geräteschuppen hierfür befanden sich in der Scheunenzeile in der heutigen Marktstraße. Für Landwirte aus dem Ortsinneren durchaus üblich, nicht zuletzt aus Brandschutzgründen.
„Green Mile“: Letzter Gang über eine Treppe im Freien
In einer Zwischenetage war ein sogenannter Futterboden, in dem Futter für das Vieh gelagert wurde. Im Stockwerk darüber, aus Sicht vom Flecken immer noch Kellergeschoss, befanden sich das Schlachthaus und die Wurstküche. Die Schweine und Rinder mussten also ihren letzten Gang über eine Treppe im Freien antreten, quasi die „Green Mile“ vom Paula.

Ebenerdig am Flecken waren dann die Gastwirtschaft und der Fleisch- und Wurstladen. Der Gastraum hatte eine eigentümliche Einteilung, die Tische standen alle in einer Reihe links an der Fensterfront. Von der Bevölkerung wurde der Raum deshalb liebevoll „der Waggon“ genannt. Zwischen Gastraum und Laden waren die Toiletten. Heutzutage würde dies jeden Hygienekontrolleur den Schweiß auf die Stirn treiben, damals war es eher unproblematisch. Im ersten Obergeschoss waren die Wohnräume untergebracht.
Deftige Hausmannskost aus eigener Schlachtung,
In der Wirtschaft gab es deftige Hausmannskost aus eigener Schlachtung, viele Bürger fanden sich schon zur Mittagszeit zum Essen ein, es wurde damals schon so eine Art Abonnement-Essen angeboten. Legendär war die hausgemachte Fleischwurst, allgemein als die „Paulawurscht“ bekannt. Diese gab es kesselfrisch stets am Freitag, was vom Bruder des Wirts, dem Geistlichen Rat Anton Flieger, nicht gern gesehen wurde, war doch der Freitag ein Fasttag.

Am Samstagmittag gab es dann Salzfleisch, Leberkäs und Knöchla mit Kraut „to go“, wie man heute sagen würde. Ab elf Uhr standen die Kunden Topf- und Schüssel-bewehrt zur Abholung bereit. Die Warteschlange ging nicht selten bis zum Tor. Das Bier kam von der Brauerei Leikeim in Altenkunstadt. Und so reimte man alsbald den Slogan: „Des Leikeimbier, die Paulawurscht, hilft für Hunger und für Durscht“.
Allerdings war der Paula auch bekannt als das „Haus der 100 Biere“. Tatsächlich hatte der Wirt immer bis zu dreizehn Sorten parat, darunter auch Exoten wie Becks-Bier in 0,33er-Flaschen.
Manche mussten sich auf der Treppe beim „Uhren-Flieger“ kurz ausruhen
Natürlich traf sich beim Paula manche fröhliche Bierrunde. Und wenn mal eines über den Durst getrunken wurde, kam es schon vor, dass sich der Zecher auf der Treppe beim „Uhren-Flieger“ noch ein bisschen ausruhen musste, bevor er schwankend den Heimweg antrat.
Beim Paula war auch das Stammlokal des Marktzeulner „Pfeifenclubs“, ein Gemütlichkeitsverein, dessen Gründung auf 1900 zurückgeht. Im Protokoll der Jahreshauptversammlung vom Januar 1975 ist vermerkt: „Ein Gast randalierte während der Sitzung und musste vom 1. Vorsitzenden Adam Kerling zur Ordnung gerufen werden“. Meist ging es aber friedlich zu beim Paula. Selbst bei den sonntäglichen Schafkopfrunden wurde höchstens mal einer als „Nüsskadde“ gescholten. Jener Vorsitzende des Pfeifenclubs, „Knaggn-Oodl“ genannt, pflegte die Sitzungen stets mit einem Trinkspruch zu beenden: „In diesem Sinne, hinein in die Rinne“.
Beim Paule hielt der Pfeifenclub auch seine jährliche Faschingsveranstaltung ab, gern besucht und stets bis in die Morgenstunden andauernd. Erstaunlich, dass in diesen beengten Räumlichkeiten auch noch das Tanzbein geschwungen werden konnte. Die Melodien dazu kamen aus einer Musicbox. Aber in diesen Tagen galten wohl noch andere Abstands- und Anstandsregeln.
Martin Flieger, der Sohn vom Leonhard erinnert sich an einige Anekdoten: Einmal bestellte ein alter Stammgast seine gewohnte 30er-Zigarre. Diese waren aber leider aus. Da der Mann aber mit Vehemenz darauf bestand, musste sich der Wirt Lenhard was einfallen lassen. Und wie wir bereits wissen, waren die Zeulner Wirte schon immer einfallsreich, wenn es um das Wohl ihrer Gäste ging. Er verschwand in die Küche und kam kurz darauf mit einem liebevoll dekorierten Teller zurück, auf dem in der Mitte eine 20er-Zigarre drapiert war. Wegen des dekorativen Mehraufwandes berechnete der schlaue Wirt 30 Pfennig. Unter den Augen seiner feixenden Stammtischfreunde zündete sich der Gast kommentarlos seine 20er-Zigarre an.
Der Schreiner brauchte doch keinen Segen
Ein anderer Stammtischbruder wollte einmal von einem Hochspannungsmast berichten, nur fiel ihm, nach einigen Glas Bier, ums Verrecken der Begriff nicht ein. Nach langem Grübeln und Überlegen kam dann die Umschreibung: „Hald su a Eiserner Baam“. Den Spitznamen hatte er dann für längere Zeit weg.
In älterer Zeit, wohl vor dem Zweiten Weltkrieg, trug sich folgende Episode zu: Der ortsansässige Schreiner Georg Hotzelt, genannt „Gorch“, hatte die Holzverkleidung in der Gaststube, die sogenannte Lamberie, zu erneuern. Das Werk war fast vollendet, die letzten Handgriffe zur Fertigstellung wollte er am Sonntag früh erledigen. Nun waren die Fliegers schon immer fromme und gottesfürchtige Leute, und so sprach die Wirtin zum Gorch: „Om Sunndouch ärbedn? Wöösd liebe nei die Kerring und hädds de än Sejng lous gejb“. Darauf der Gorch: „Sejng hou ich dahamm genuch, Bredde bräuchd ich!“
Für alle Nichtfranken: „Sejng“ ist ein fränkisches Homophon, das sowohl „Segen“ als auch „Sägen“ bedeutet. Nichtsdestotrotz hatte die Wirtsfrau noch einen Auftrag für den Gorch: „No die Abortstüä ghööd nuch a Schild mid zwaa Nulle (00)“. Der Gorch erwiderte: „Ihr hobbd doch öschd gschlocht, heng hald zwaa Lejbewösch hie“.
Damit schloss sich wieder ein Kapitel
1984, nach dem Tod von Leonhard, wurde die Metzgerei geschlossen, zwei Jahre später kam auch das Ende der Gastwirtschaft. Damit schloss wieder ein Kapitel Marktzeulner Gasthaustradition. Auch vom Buchbinder blieb nur noch einige Jahre die Lottoannahmestelle, und der „Uhren-Flieger“ zog in die Kreisstadt. So wurde es ruhig im oberen Flecken.
Wirtshäuser gab es aber auch in den Ortsteilen Zettlitz und Horb. Auch davon soll noch berichtet werden.