Der Kandidat der in Teilen rechtsextremen Partei AfD zeigt sich bürgerlich. Weißes Hemd, blauer Pullover und braune Cord-Hose und ein wenig Pomade im nach hinten gekämmtem Haar. So könnte ein Delegierter bei einer FDP-Versammlung aussehen.
Doch das Treffen findet in einem kleinen Café in Kronach statt. Der Heimatstadt von Sebastian Görtler, dem AfD-Direktkandidaten für den Bundestag. Wirtschafts-liberal klingt es, was der Selbstständige zu Wirtschaftsfragen sagt. „Wir setzen nicht auf Subventionen, sondern auf die Verringerung von Steuerlast. Bürokratieabbau soll den Unternehmen helfen“, meint der 40-Jährige. Dazu ein Bekenntnis zu kleinen und mittelständischen Betrieben.
Radikal klingt anders. Görtler gibt sich als Mann aus der Mitte des Volks. Erinnert an sein Engagement als Jugendleiter beim Roten Kreuz und im Kreisjugendring. Für die AfD sitzt er seit 2020 im Kronacher Kreistag. „Jugend- und Bildungspolitik ist mir wichtig“, sagt er. Görtler würde gerne „das starre Schulsystem aufbrechen“. Er fordert mehr individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen. Bildung ist jedoch in erster Linie Landes- und nicht Bundessache. Görtler gibt ein Bekenntnis zum Sozialstaat. „Bildung muss kostenlos bleiben“, fügt er hinzu. Aber auch die Studiengebühren in Bayern waren Landessache.
Eine durchgehende Elektrifizerung der Bahnstrecke Bamberg-Hof ist ein Thema für einen Bundestagsabgeordneten. Die Antwort: „Es muss abgewogen werden, ob das wirtschaftlich Sinn macht“, so der 40-Jährige. Das Thema steht bereits seit Jahren auf der Agenda. Zahlen, Daten und Argumente liegen vor.
Hört man Görtler zum Thema „Migrationspolitik“, könnte man im Gespräch fast vergessen, dass er für eine fremdenfeindliche Partei kandidiert, über die eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte (2021) zu folgendem Schluss kommt: „Rassistische und rechtsextreme Positionen sind fester Bestandteil des AfD-Programms, der AfD-Strategie sowie der Positionierungen von AfD-Führungspersonen und Mandatsträger_innen.“
„Ich habe kein Problem mit einem Ausländer als Nachbarn. Aber sie müssen sich integrieren, die deutsche Sprache lernen“, erklärt Görtler. Das fordern ebenso andere Parteien. Doch die Politik der AfD ist eine andere als die der Aussagen Görtlers bei diesem Interview. Das Erstarken der AfD und zunehmende Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft gehen Hand in Hand. Mittlerweile drohen dadurch in AfD-Hochburgen dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland verloren zu gehen. So nennt der Nachrichtensender NTV die Firma CAC Engineering in Chemnitz als Beispiel. Dort haben in den vergangenen zwölf Monaten 40 ausländische Beschäftigte wegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit in ihrer sächsischen Wahlheimat gekündigt. In der Großstadt Chemnitz ist die AfD stärkste politische Kraft.
Harmlos bei einem Interview mit einem Politiker sind in der Regel die Fragen zum Thema „Hobbys“. Görtler berichtet von Radtouren über Stock und Stein, von seiner Liebe zur Natur und zur Heimat. „Naturschutz ist für mich ein wichtiges Thema“, erklärt er. Zugleich sieht er den Klimawandel als „nicht menschengemacht“ an. Folglich ist eine Energiewende für ihn keine allzu dringende Notwendigkeit. Stattdessen stellen Windkraftanlagen aus seiner Sicht sogar eine Gefahr für die Gesundheit dar: „Durch den Abrieb an den Rotorblättern“, erklärt er. Der verseuche den Boden. Abrieb gibt es, bestätigt auch der Bundesverband Windenergie. Durch den Erosionsprozess lösen sich kleine Partikel aus den oberen Lagen der Blattbeschichtung ab. Nur, der Abrieb zum Beispiel von Autoreifen gilt da als ein ungleich größeres Problem.
Görtler bringt Thorium-Reaktoren ins Gespräch, verweist auf einen Test-Reaktor in China. Das Risiko eines GAUs gilt als niedriger: Aber zu einer Serienproduktion ist es ein langer Weg. Thorium-Reaktoren haben Schattenseiten, so die Kritiker: Die deutlich stärkere Gammastrahlung des Abfalls führe zu Herausforderungen bei Transport, Sicherheit und Lagerung.
Die AfD macht sich für Verbrenner stark: unter Motorhauben, in Kraftwerken. Und in Sachen Weltpolitik. Putin lässt in der Ukraine seine Armee bomben und morden. Unter russischer Besatzung wird systematisch gefoltert und getötet. Tausende sind verschwunden. Grundrechte außer Kraft gesetzt. In Russland sitzen politische Gefangene in Straflagern, andere wurden ermordet. Eine demokratische Opposition, das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Medien sind in Russland mundtot gemacht. Das alles sieht er als eine „Meinung“ an.
Doch es sind Fakten, belegt unter anderem durch Berichte von Menschenrechtsorganisationen, durch zerstörte Städte und Zehntausende von Toten. Putin ist für Görtler ein in freien Wahlen gewählter Präsident und Russland aus seiner Sicht eine Demokratie. Während Russland aufrüstet und Nachbarländer überfällt, liebäugeln AfD-Größen mit einem Nato-Austritt.
Vom „furchtbaren“ Krieg Russlands in der Ukraine distanziert sich Görtler „natürlich“. Faktisch verharmlost er Unterdrückung, Mord und Entrechtung. Die „Diplomatie“, die er und seine Partei vorsehen: letztendlich Kapitulationsverhandlungen für die Ukraine, die ohne Waffen einer aggressiven Diktatur schutzlos ausgeliefert wäre. Fraglich, welche Art von Staatsform Görtler und seine Partei Deutschland bringen, wenn sie Russland als eine Demokratie definieren.
Der Kandidat Name: Sebastian Johannes Görtler Geboren: 23.01.1984 Beruf: Drucker und Schriftsetzer, technischer Mediengestalter und Unternehmer Familienstand: ledig Partei: seit 2020 Mitglied der AfD Ämter: Kreisrat in Kronach seit 2020 Hobbys: Enduro/Downhill-Mountainbiken, Wandern Lieblingsessen: Double Bacon Butter Burger von Burger&Beyon London