Sein politisches Vorbild? Ali-Cemil Şat, Bundestagskandidat der SPD, muss nicht lange nachdenken: sein Vater. Der aus Anatolien stammt, einer verarmten Region in der Türkei an der Grenze zu Syrien. Seine Mutter kommt aus Greiz in Thüringen. Zusammen haben sie sich in Münchberg eine Existenz aufgebaut und eine Familie gegründet. Şats Vater hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, 2015 wurde er als erster Mensch mit Migrationshintergrund in den Münchberger Stadtrat gewählt.
Er sei schon immer ein politischer Mensch gewesen, sagt sein Sohn. Und er wollte etwas zurückgeben. „Es gibt genug Leute, die schimpfen, und zu wenige, die selbst anpacken.“ Ein Leitsatz, der auch für Ali-Cemil Şat gilt.
Mit 13 Jahren hatte er Lehrer, die sein Interesse für Politik und Geschichte weckten. Şat lächelt. „Man kann ja gar nicht anders, wenn man am 9.11. geboren ist.“ Auch durch eigene Erfahrungen mit Diskriminierung hat er sich entschieden, sich politisch zu engagieren. Sein Vater, selbst Sozialdemokrat, hat ihn dazu ermutigt, sich mit verschiedenen Parteien auseinanderzusetzen. Letztlich ist er bei der SPD gelandet: „Ich habe eine sehr linke Ader. Gleichstellung, soziale Benachteiligung, der europäische Gedanke“, zählt er auf, worum es ihm geht.
Mitglied seit dem 14. Geburtstag
Die Jusos haben ihn gleich auf eine Aktion mitgenommen. Damals haben sie sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie barrierefrei Münchberg ist. Das habe ihn sehr bewegt, auch, weil seine Schwester das Down-Syndrom hat. Und so ist er an seinem 14. Geburtstag bei der SPD eingetreten.

„Ich bin immer noch überzeugt von den Inhalten“, sagt er zehn Jahre später, mittlerweile Stadtrat und Jugendreferent in Münchberg, Bezirksvorsitzender der Jusos und Vorstandsmitglied der Bayern-SPD. Der 24-Jährige ist der jüngste im Kommunalparlament seiner Heimatstadt. Das Amt will er für diese Legislaturperiode behalten, auch wenn er seinen Lebensschwerpunkt nach Hallstadt verlagert hat, wo seine Freundin wohnt. Dort lebt Şat nun mit ihr, drei Katzen und einem Schäferhund und pendelt fürs Jura-Studium nach Bayreuth und für die politische Arbeit nach Münchberg.
Die Kandidatur für den Bundestag hat er sich gut überlegt, sagt er. Sein Herz schlage für die Kommunalpolitik. Gerade durch seine Stadtratsarbeit sei ihm aber bewusst, wie stark Politik alle Lebensbereiche beeinflusst. Und dass sich Landes- und Bundespolitik eben auch darauf auswirken, ob eine Kommune zum Beispiel ihr Freibad weiterbetreiben kann oder nicht. „Die Kommunalpolitik sollte den Wahlkampf mitentscheiden“, findet Şat.
Das ist sein Ansatzpunkt. „Ich will Verantwortung übernehmen. Ich will morgens noch in den Spiegel schauen können. Ich will etwas gegen den Rechtsruck tun.“
Themen setzen im Wahlkampf
Der Listenplatz 35 ist wenig aussichtsreich. Aber der 24-Jährige sieht auch eine Chance im Wahlkampf: Der gebe ihm die Möglichkeit, Themen zu setzen. Als Schwerpunkt nennt er Integration. Von Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, Menschen, die in Armut leben, queeren Menschen. Wenn das nun heiße, dass er „woke“ ist, weil er ein Bewusstsein für diskriminierte Menschen hat: „Dann bin ich gerne woke.“
In Münchberg sei die migrantische Gesellschaft gut integriert. „Das ist ein großes Glück. In anderen Regionen ist das anders.“ Ali-Cemil Şat hat das erlebt. Betrunkene Nazi-Schläger in Bomberjacken und Springerstiefeln, die ihn im Zug anpöbelten. Da schützt auch der schwarze Gürtel in Judo nicht vor der Angst. „Das macht was mit Dir“, sagt er.
Es geht auch subtiler. Dann wird er etwa gefragt, warum er in die Politik geht, er repräsentiere doch nicht die „weißen Deutschen“. Schon als Jugendlicher hat Şat deshalb viel Selbstironie entwickelt. Und er hat schon mit 14 Jahren Hemden getragen und Hochdeutsch gesprochen. Heute trägt zum seriösen Erscheinungsbild noch ein gepflegter schwarzer Vollbart bei.
Schon als Kind sei er immer zwischen den Stühlen gewesen: für die Deutschen der Türke, für die Türken der Deutsch-Türke. Ali-Cemil Şat hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Diskussion um eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei Menschen mit Migrationshintergrund ist für ihn ein sehr emotionales Thema. „Deutsche wie wir sind dann immer Deutsche zweiter Klasse beziehungsweise nur vorübergehend Deutsche.“
„Es verletzt mich in meinem Herzen, dass es immer mehr in Richtung Populismus geht. Wenn ein Sprung im Glas ist, lässt sich das nicht mehr kitten.“
Ali-Cemil Şat, SPD-Bundestagskandidat
Der Jura-Student warnt: „Es verletzt mich in meinem Herzen, dass es immer mehr in Richtung Populismus geht. Wenn ein Sprung im Glas ist, lässt sich das nicht mehr kitten.“ Kriminalität, so sagt Ali-Cemil Şat, hängt nicht an der Herkunft, sondern entsteht aus Armut. Und von der seien halt oft migrantische Gruppen betroffen. Armutsbekämpfung gehört zu seinen Schwerpunkten.
Die Koalitionsfrage
Der 24-Jährige ist überzeugt davon, dass das Programm der SPD dafür die richtigen Akzente setzt – mit einer Erhöhung des Mindestlohns, Steuererleichterungen, der Stabilisierung der Rente bei 48 Prozent, der Reform der Schuldenbremse. Ob es eine Chance hat, realisiert zu werden? „Wir werden bis zum letzten Tag kämpfen“, versichert der Münchberger. Und dann? Şat outet sich als Fan von Rot-Rot-Grün. Die Union unter Merz und Söder hält er nicht für regierungstauglich, er hofft, dass es nicht zur Gro-Ko kommt. „Aber wenn's darauf ankommt, kann man sich darauf verlassen, dass die SPD Verantwortung übernimmt.“
Ali-Cemil Şat Geboren: 9. November 2000 in Münchberg Beruf: Student (Jura) Familienstand: in einer Beziehung Partei: seit seinem 14. Geburtstag in der SPD Ämter: Vorsitzender der Jusos Oberfranken, Vorstandsmitglied der Bayern-SPD, Stadtrat, Jugendreferent Hobbys: Judo, bis vor Kurzem auch als Trainer, lesen, Freunde treffen, Animé-/Manga-Sammelkarten sammeln, spielen, zum Beispiel Schach Lieblingsessen: Döner und Burger