Mit dem Einmarsch der US-Armee am 12./13. April 1945 und der Entlassung der NSDAP-Bürgermeister und Landräte sei das Ende des Nazi-Terrors am Obermain verbunden gewesen, stellte Josef Motschmann zu Beginn seines Vortrages fest, in dem er sich mit Sühne, Verdrängung und Erinnerung der Schuldigen der Pogromnacht befasste.
Die NSDAP-Funktionäre seien in Internierungslagern untergebracht worden, in denen vorher Häftlinge oder Kriegsgefangene einquartiert waren. Sie hatten sich vor einer Spruchkammer zu verantworten, wo sie in eine von fünf Kategorien eingeordnet wurden: I Hauptschuldiger, II Belasteter, III Minderbelasteter, IV Mitläufer, V Entlasteter. Zusätzlich hätten sich die Beteiligten an der Pogromnacht in separaten Gerichtsverhandlungen zu verantworten.
Die Beteiligten in Altenkunstadt erhielten jeweils eine Gefängnisstrafe von vier Monaten, diejenigen von Burgkunstadt zunächst eine Gefängnisstrafe von drei Monaten, im Revisionsverfahren von 18 Monaten. Die Beteiligten in Lichtenfels wurden zu folgenden Strafen verurteilt: Lorenz Kraus, ehemaliger Kreisleiter, Wilhelm Krautheim, ehemaliger Bürgermeister von Lichtenfels, und Sattlermeister Franz Fischer jeweils eineinhalb Jahre Gefängnis, Nikolaus Rosenbauer und Lorenz Ditterich sechs beziehungsweise vier Monate Gefängnis. Der Tapeziermeister Franz Fischer jun. erhielt wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit schwerem Hausfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung zwei Jahre Zuchthaus. Zwei Beteiligte waren inzwischen verstorben.
„Persil-Scheine“
Die Tendenz, die eigene Schuld klein zu reden und mit Entlastungsbelegen, den so genannten „Persil-Scheinen“, zu dokumentieren, habe dazu geführt, dass fast alle ehemaligen Nazis am Schluss „Mitläufer“ waren, wodurch sich auch die Überschrift seines Vortrags „Die Mitläuferfabrik“ erkläre, stellte Motschmann fest. Diese Haltung, die eigene Schuld auf andere zu schieben, sei besonders stark in Lichtenfels ausgeprägt gewesen. Wenn man weiß, was in Lichtenfels vorgefallen ist, sei es geradezu widerlich zu sehen, wie die Beteiligten versuchten, ihre Schuld von sich zu weisen. In Altenkunstadt hätten vier Angeklagte ihre Schuld zugegeben. Auch habe es keine ernsthaften Bemühungen gegeben, die Begleitumstände um den Tod von Sofie Seliger aufzuklären und den möglichen Mörder zu finden. In diesem Zusammenhang richtete Josef Motschmann die Bitte an den Stadtrat von Lichtenfels, doch eine Straße nach Sofie Seliger zu benennen.
Der 50. Jahrestag zur Erinnerung an die Pogromnacht mit Gedenkfeiern in Lichtenfels und Altenkunstadt bildete 1988 so etwas wie den Auftakt dafür, ein Bewusstsein für eine Gedenkkultur zu entwickeln, die durch die jährlich folgenden Gedenkfeiern gefestigt wurde, meinte der Referent. Die Synagoge in Altenkunstadt sei 1993 ihrer Bestimmung als Stätte der Kultur, der Begegnung und des Gedenkens übergeben worden, die Synagoge in Lichtenfels erst sehr spät vor zwei Jahren. „Sehen wir unsere beiden renovierten Synagogen in Lichtenfels und Altenkunstadt als Orte, die uns einladen, ehrlich mit unserer Geschichte umzugehen, nicht nur mit den Namen der Opfer, sondern auch die Namen der Täter zu nennen“, bat der Diplom-Theologe.
Dies sei manchmal ein schmerzlicher Prozess. Jede Geburt sei mit Wehen verbunden, aber durch eine Geburt entstehe etwas Neues, zum Beispiel, wenn Kinder und Enkel ehemaliger Nationalsozialisten offen über die Schuld ihrer Väter und Großväter reden und nicht ihre „Leichen im Keller“ von Generation zu Generation weitertransportieren. Sowohl als Historiker als auch als Seelsorger sollte man ihnen dabei helfen. Er würde gerne helfen im Rahmen eines Gesprächskreises, in dem sich Angehörige ehemaliger Nationalsozialisten darüber austauschen könnten, wie sie bisher mit dem Thema umgegangen sind und wie sie in Zukunft vielleicht besser damit leben wollen und können.
Gebet an den gemeinsamen Gott
Abschließend wandte sich Josef Motschmann mit einem Gebet an den gemeinsamen Gott der Christen, Juden und Muslime, gedachte aller Menschen, die in dieser Nacht auf üble Weise beschimpft und gedemütigt wurden, und wünschte sich auch den rechten Umgang mit Schuld und Vergebung.