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„Die Gesellschaft vergisst uns“

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„Die Gesellschaft vergisst uns“

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    Abenddämmerung: Damit die Zukunft der Hebammen nicht finster wie die Nacht dunkel wird, muss sich etwas verändern. Hebamme Elisabeth Zipfel ist für „ihre“ 120 Frauen, die sie jedes Jahr betreut, die erste Ratgeberin in sehr vielen Lebenslagen.
    Abenddämmerung: Damit die Zukunft der Hebammen nicht finster wie die Nacht dunkel wird, muss sich etwas verändern. Hebamme Elisabeth Zipfel ist für „ihre“ 120 Frauen, die sie jedes Jahr betreut, die erste Ratgeberin in sehr vielen Lebenslagen. Foto: Tim Birkner–

    Marktzeuln Hebammen sind immer im Einsatz - und werden dafür denkbar schlecht bezahlt. Mit Protesten machen sie im ganzen Land auf ihre Situation aufmerksam. Hebamme Elisabeth Zipfel sitzt in ihrem Garten in Marktzeuln. Die Sonne ist schon am Horizont verschwunden. Es dämmert. Sie trinkt ein Glas Wasser und klingt hellwach.

    Frau Zipfel, jetzt gibt es eine große Plakat-Kampagne „Das erste Gesicht“, auf dem jede Menge Hebammen zu sehen sind. Haben die Menschen ihre Hebammen vergessen?

    Die Menschen, die Kinder bekommen haben, erinnern sich an uns, schätzen uns. Und das oft noch nach Jahren oder Jahrzehnten. Das erlebe ich jeden Tag wieder. Die Gesellschaft vergisst uns. Die Politik, die Krankenkassen, die Banken und Versicherungen. Überall dort, wo überwiegend ältere Männer an den Hebeln der Macht sitzen, geraten wir in Vergessenheit. Nur genau dort, wird darüber entschieden, was wir verdienen. Und das ist denkbar wenig.

    Das müssen Sie erklären.

    Bis vor wenigen Jahren hat ein Gremium des Gesundheitsministeriums mit den Krankenkassen verhandelt, welche Gebühren wir Hebammen bekommen. Was ist passiert? Die Krankenkassen haben gesagt, wir können nicht mehr bezahlen - und die Regierung hat genickt und gesagt, na gut. Wir Hebammen waren die Leidtragenden, die zwölf Jahre lang keine Erhöhungen bekommen haben. Unsere Kosten sind aber extrem gestiegen. Die Berufshaftpflichtversicherung hat mich vor 25 Jahren 191 Mark gekostet, heuer sind es, wenn man Geburten begleitet, 5090 Euro pro Jahr. Und im nächsten Jahr wird die Versicherungssumme auf über 6000 Euro steigen.

    Jetzt wurden doch aber Ihre Gebühren um zehn Prozent erhöht.

    Das stimmt. Bei einem Wochenbettbesuch macht es netto einen Unterschied von acht Cent.

    Wie bitte?

    Ja. Sie hören ganz richtig. Wir Hebammen haben ja fast alle ein Helfer-Syndrom. Wir bekommen eine Menge an Wertschätzung von den Frauen und Familien zurück. Deshalb haben wir so lange nichts gemacht. Vielleicht zu lange. Seit ein paar Jahren verhandeln wir jetzt über unsere Berufsverbände selbst mit den Krankenkassen. Das ist sehr mühsam, denn wir müssen uns von einem sehr niedrigen Lohnniveau hocharbeiten, aber immerhin geht es ganz langsam voran. Anders als früher.

    Was können Sie denn tun, damit es noch besser und schneller voran geht?

    Vor kurzem haben wir in Coburg, in der Fußgängerzone an einem Infostand Unterschriften gesammelt, die wir unserer Bundestagsabgeordneten Emmi Zeulner überreichen wollen. Sie ist im Gesundheitsausschuss und hat uns schon vorab ihre Unterstützung zugesagt. Wir setzten auf ihre Hilfe! In fünf Stunden hatten wir 1200 Unterschriften zusammen, ohne dass wir jemandem die Listen unter die Nase halten mussten. Die Menschen sind auf uns zu gekommen. Und jede Minute haben vier unterschrieben. Das ist ein großer Rückhalt von den Eltern, der uns auch gut tut. Im Internet läuft eine Online-Petition, bei der sich bisher über 420 000 Menschen eingetragen haben. ( Rettet-unsere-Hebammen)

    Was fordern Sie von der Politik?

    Zum Beispiel, dass das Haftungsrisiko für uns Hebammen gedeckelt wird, auf etwa drei Millionen Euro pro Fall. Das Risiko darüber hinaus deckt dann ein Fonds, der aus Steuermitteln gespeist wird. Dann würden die Summen für uns nicht jedes Jahr steigen. Bislang müssen wir uns selbst bis sechs Millionen Euro versichern. Das macht die Versicherung so teuer. Auf Druck der Politik, hat sich die Versicherungswirtschaft breitschlagen lassen, uns noch für ein Jahr zu versichern. Wir haben jetzt noch eine Frist bis Juni 2016. Dann stehen wir wieder ohne da. Uns will niemand mehr versichern.

    Ist denn das Risiko so unverhältnismäßig hoch?

    Im Gegenteil, wir haben bundesweit konstant etwa zehn Fälle im Jahr, in denen einer Hebamme ein Verschulden nachgewiesen wird - und das bei 700 000 Geburten pro Jahr. Die Schadenssummen werden höher, weil nicht nur ein Schmerzensgeld und die Pflege, sondern auch der Verdienst, den ein gesundes Kind in seinem Arbeitsleben erwirtschaftet hätte und die Beträge, die es in die Rentenversicherung gezahlt hätte, mitberechnet werden.

    Das klingt so, als ob Kinderkriegen in Deutschland besonders kompliziert und teuer ist.

    Es ist eine Frage, was die Gesellschaft möchte. Schauen Sie in die Niederlande. Dort werden die Hebammen aus einem Geburtsfonds bezahlt, der komplett aus Steuergeldern finanziert wird. Weil die Gesellschaft fördern möchte, dass es Kinder gibt. Ohne Kinder gibt es irgendwann auch keine Gesellschaft mehr. Und Kinderkriegen ist Leben - und keine Krankheit. Bei uns liegt das mit der Bezahlung durch die Krankenkassen schon nahe.

    Dann schmeißen Sie doch hin, streiken Sie.

    Mir macht mein Beruf doch Spaß, auch wenn ich im vergangenen Jahr nur drei Wochenenden frei hatte. Ein bequemer Job geht anders. Trotzdem liebe ich ihn. Und: Wir können doch nicht streiken. Das ist unterlassene Hilfeleistung. Wir können doch eine Frau, die gerade ihr Kind bekommt, nicht alleine lassen. Es fehlt einfach die Anerkennung für Berufe, die man den Frauen zuschreibt. Das gilt doch ebenso für Kindergärtnerinnen, Alten- oder Krankenpflegeberufe.

    Sie fühlen sich ausgenutzt.

    Natürlich. Wir fühlen uns nicht so, wir werden ausgenutzt. Ich nenne Ihnen Beispiele. Viele Hebammen möchten, weil sie selbst Familie haben, gerne in Teilzeit arbeiten. Diese horrenden Summen für die Versicherung müssen sie aber immer komplett aufbringen. Da gibt es keine Teilzeit-Haftpflicht. Dann sehen Sie sich unsere Arbeit an: Heute muss ich Müttern viel mehr erklären, weil ihr eigenes Kind oft das erste Baby ist, mit dem sie so engen Umgang haben. Das war früher in Großfamilien anders, da hat man auf die kleineren Geschwister oder Nachbarskinder aufgepasst und so schon erste Erfahrungen gesammelt. Hebammen unterstützen Frauen doch nicht nur bei der Geburt, sondern auch in der Schwangerschaft, in Geburtsvorbereitungskursen, danach dann in der Wochenbettbetreuung, beim Stillen, der Beikostberatung bis zum neunten Lebensmonat des Kindes. Wir sind oft länger als ein Jahr Teil der Familie. Da bin ich gleichzeitig manchmal noch Eheberater, Steuerberater, Schuldenberater und Helfer im Behördendschungel. Wer unsere Arbeit sieht und schätzt, der würde uns gerne mehr bezahlen.

    Das klingt alles nach schlechten Nachrichten. Will denn bei so einer Ausgangslage überhaupt noch jemand Hebamme werden?

    Natürlich werden Frauen noch Hebammen. Aber es werden immer weniger Bewerberinnen. Inzwischen kann man „Hebamme“ ja auch als Bachelor-Studiengang berufsbegleitend studieren. Nur leider werden wir finanziell eben so schlecht gestellt, dass den Beruf immer weniger ausüben wollen oder können. Die Unsicherheit, ob es denn in zehn Jahren noch Hebammen geben wird, hält auch sicher viele junge Frauen davon ab diesen – für mich schönsten – Beruf zu ergreifen. Er ist nicht so attraktiv, ich kann damit alleine keine Familie ernähren. Immer mehr Hebammen hören auf oder orientieren sich um - zum Beispiel arbeiten einige Kolleginnen angestellt in einer Kinderarzt - oder Frauenarztpraxis und fehlen dann in der Freiberuflichkeit.

    Und Sie persönlich, denken Sie ans Aufhören - oder wollen Sie vielleicht in die Niederlande auswandern?

    (lacht) Ich bin eine Kämpfernatur. Ich bleibe hier - und ich möchte etwas verändern. Das geht nur mit Unterstützung Vieler , deshalb müssen wir unseren Protest öffentlich machen.

    Hebammen tagen heute

    Heute findet in Wernsdorf im Landkreis Bamberg die oberfränkische Bezirkskonferenz des Bayerischen Hebammenverbandes statt. Hier werden, wie bereits in Mittelfranken und der Oberpfalz, die Bezirke im Verband abgeschafft. Es gibt dann nur noch den Landesvorstand und auf Kreisebene Sprecherinnen. Elisabeth Zipfel stellt sich als Sprecherin für den Landkreis Lichtenfels zur Verfügung. Insgesamt arbeiten im Landkreis vier freiberufliche Hebammen.

    Weitere Informationen über die Situation und Forderungen der Hebammen unter www.bhlv.de

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