Wort zur Besinnung
Umfragen sind „in“, sind große Mode; und viele, die sich zu einem der heute aktuellen gesellschaftlichen Themen äußern – in Zeitungsbeiträgen, Leserbriefen, Talkshows – verweisen da gern auf einschlägige Umfragen, die ihre Argumentation stützen – oder zumindest zu stützen scheinen. Denn so ein Hinweis auf neueste Umfragen nimmt denen, die eventuell widersprechen könnten oder möchten, „den Wind aus den Segeln“. Deswegen hat vor einigen Tagen auch die Verfasserin eines Artikels in einer überregionalen deutschen Zeitung eine solche Umfrage zitiert. Der Schreiberin, ging es um Rechtssicherheit für Ärzte, die bereit wären, unheilbar Kranken oder hoch betagten, lebensüberdrüssigen Senioren auf Wunsch „Sterbehilfe“ zu leisten. Natürlich sollten solche Ärzte nur dann so tätig werden, wenn die Patienten „bei klarem Verstand und ohne Druck von außen“ ihre Entscheidung für erbetene Sterbehilfe treffen. Die Artikelschreiberin begründete ihre Meinung unter anderem damit, dass laut einer Umfrage mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in unserem Land eine entsprechende gesetzliche Regelung zur straffreien Beihilfe zum selbst gewollten Sterben befürworten. Wie die hierzulande für das Rechtswesen Zuständigen und Verantwortlichen in dieser Sache entscheiden, steht hier nicht zur Debatte. Da interessiert meine Meinung ja wohl auch niemand. Wenn ich mich heute hier zu Wort melde, dann tue ich es, weil mir fragwürdig erscheint, was spürbar Tenor des ganzen erwähnten Zeitungsartikels war: die Ärzte müssten ungehindert zum Sterben helfen können. Damit so ein „Sterben in Würde“ möglich wäre. Aber was ist „Sterben in Würde“? Ist dazu nur nötig, dass sich ein Mensch frei und bewusst entscheidet? Muss man nicht auch danach fragen, ob eine freie, bewusste Entscheidung auch richtig und verantwortbar ist? – Wenn Selbsttötung Unrecht oder Schuld ist (oder sein sollte), dann ist Suizid auch kein „Sterben in Würde“. – So wäre ja auch ein Bankeinbruch nicht dadurch gut, dass ein Ganove in noblen Zweireiher und mit Zylinder gemessenen Schritts und würdevoll zum Tresor ginge, um ihn zu knacken. Im erwähnten Zeitungsartikel wurde zwar zugestanden, dass Menschen „mit religiösen oder religiös inspirierten Einstellungen“ den Wunsch nach Tötungshilfe anders beurteilen könnten. Aber zugleich wurde der Eindruck erweckt, deren Bedenken und Einwände seien kaum ernst zu nehmen. Da handle es sich nur um wenige; einige Zurückgebliebene, die noch nicht in der heutigen Zeit angekommen seien. Selbst wenn ich auch zu dieser Minderheit gezählt werde (der Umfrage zufolge wohl noch weniger als 30 Prozent), erlaube ich mir ein paar Fragen zu stellen, die zum Nachdenken anregen sollten: Werden deswegen verschleiernde, sanfter klingende Ausdrucksweisen für die Tötung auf Verlangen gebraucht, damit sich mehr Leute für sie entscheiden: „Sterben in Würde“, „Sterbe-Hilfe“, „Suizid“ statt „Selbstmord“? Ist der Tod – wie der ehemalige Rundfunkintendant U. Reiter, der sich vor kurzem erschoss, behauptet hat – „Eigentum“ dessen, der stirbt? Ist der Tod – das „Lebensende“ – nicht ein Teil des Lebens und deshalb nicht etwas ganz Eigenes? Ist darum nicht auch der Tod etwas, worüber der Mensch nicht völlig frei verfügen kann, sondern etwas Geschenktes, Geliehenes? Wenn die Vorwegnahme des eigenen Todes dann aber ein unberechtigtes Davonlaufen, eine Flucht ist, wäre eine Flucht dadurch gerechtfertigt, dass sie „in Würde“ geschieht?; dass der Flüchtende sich nicht umsieht; nicht danach fragt, wer ihm traurig nachschaut oder welche Aufgaben er noch zu bewältigen gehabt hätte? Wie man „in Würde stirbt“, das kann man am besten von Christus lernen: Er stand im Garten Getsemane Todesangst aus; er wusste was ihm bevorstand; er hätte fliehen können; aber er blieb, bis die Häscher kamen. Er hätte um Sterbehilfe bitten können. Petrus hatte ein Schwert dabei; mit dem wollte er später dem einen Knecht des Hohenpriesters den Schädel spalten, hieb ihm dann aber nur ein Ohr ab. Jesus fordert Petrus nicht auf, ihn zu erstechen oder ihm das Schwert wenigstens zu einem Selbstmord zu leihen. Als Jesus gefangen genommen wird, sorgt er sich um seine Jünger, nicht um sich! „Wenn ihr mich sucht“, sagt er zu denen, die ihn verhaften wollen, „dann lasst diese gehen.“ Und auch dann am Kreuz, im Sterben, spricht er noch mit seiner Mutter, mit seinem besten Freund, mit dem zum Tod Verurteilten neben ihm, betet für sich und die andern, sogar für seine Feinde. Ich spreche hier von Christus, nicht nur, weil ich von Beruf Pfarrer war und bin, sondern weil Sonntag ist: „Tag des Herrn“ (Christus). Das scheint ja auch immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Für viele Menschen unsrer Zeit ist der Sonntag zu einem leeren, faden, schrecklich langweiligen Tag geworden. Deswegen erfreuen sich „Marktsonntag“ und „verkaufsoffene Sonntage“ so großer Beliebtheit. Früher war der Sonntagvormittag durch den Kirchgang und den Gottesdienst ausgefüllt. So ist wenigstens am Sonntagnachmittag „etwas los“. Ist der Sonntag für uns noch „der erste Tag der Woche“? Der „erste“ nicht nur nach der Zählweise der Juden und der Römer, sondern der „erste“ der Bedeutung nach: „der Tag des Herrn – des „Kyrios“ Christus, der am ersten Tag der Woche „von den Toten erstanden ist“. Der Glaube an Christus ist (oder wäre) die beste „Sterbehilfe“. Denn dieser Glaube ist (oder wäre) zugleich „Lebenshilfe“; beste Lebenshilfe, nämlich „Hilfe zum ewigen Leben“.