In diesem Jahr wäre das Unternehmen 190 Jahre alt geworden. Daraus wird nichts: KnorrPrandell, einst eines der größten Bastelunternehmen Deutschlands, in Mitwitz gegründet und zuletzt in Schney ansässig, gibt es nicht mehr. Nach der bereits im März angekündigten Betriebsschließung war Ende 2014 für die noch verbliebenen 80 Mitarbeiter am Standort am Obermain endgültig Schluss. Es hätte nicht so weit kommen müssen. Schwere und letztendlich irreparable Managementfehler hatte der letzte Eigentümer dem vorangegangenen Besitzer vorgeworfen. Auch führende Mitarbeiter sind sich in dieser Bewertung einig. Und sie sind davon überzeugt, dass eine zeitweise falsche Unternehmenspolitik die Firma „bewusst“ ruiniert habe.
1825 war die Firma von der jüdischen Familie Bamberger in Mitwitz gegründet worden, von wo es später nach Lichtenfels umsiedelte. Es gab eine kontinuierliche Entwicklung, die bis zur Marktführerschaft im deutschsprachigen Raum führte. Das Unternehmen wurde einer der größten Arbeitgeber in der Korbstadt und beschäftigte in Glanzzeiten 150 Mitarbeiter und 346 Heimarbeiter, wovon 250 ständig für die Firma tätig waren. Alles andere als glänzend verliefen die letzten Jahre. Offensichtlich fatale Entscheidungen während der im Verhältnis zur Firmengeschichte kurzen Zeit von 2010 bis Anfang 2013 brachen der traditionsreichen Firma das Genick.
„Wir sind gezielt ausgesaugt und so in den Ruin getrieben worden.“
Karl-Heinz Klüsekamp langjähriger Mitarbeiter, über die Zeit von 2010 bis 2013
Karl-Heinz Klüsekamp ist einer jener Augenzeugen, die die Firmentragödie hautnah mitbekommen haben. 37 Jahre gehörte er dem Lichtenfelser Unternehmen an. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er zurückblickt: „Wir sind gezielt ausgesaugt und so in den Ruin getrieben worden“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Lichtenfelser, der für den Einkauf tätig und am Schluss auch Mitglied des Betriebsrates war, richtet schwerste Vorwürfe gegen die Investorengruppe Wagram. Der ehemalige Marktführer für Bastelartikel in den Niederlanden war von 2010 bis 2013 Eigentümer von KnorrPrandell und wurde im Februar 2013 selbst für insolvent erklärt. Die Niederländer hatten 2010 von der Handelskette Gütermann das Lichtenfelser Unternehmen gekauft und es in die neue Creative Hobbies Group eingeliedert. Damals zählte die Belegschaft in Lichtenfels 180 Leute.
„Der nackte Wahnsinn“
„Was die sich mit uns erlaubt haben, ist der nackte Wahnsinn“, sagt Klüsekamp heute. Die Holländer seien „Heuschrecken“ gewesen, die das Geld mit vollen Händen ausgegeben und die Firma in Lichtenfels „heruntergewirtschaftet“ hätten. „Viel zu spät“ hätten er und der erst während der Kars-Zeit gegründete Betriebsrat Einsicht in Dinge bekommen, die im Nachhinein ausgereicht hätten, so Klüsekamp, die eigenen Geschäftsführer von damals bei der Bank anzuklagen.
Dem Lichtenfelser wird heute noch schwindelig, wenn er den Unternehmskomplex von damals erläutert, bei dem KnorrPrandell in letzter Reihe auftauchte, als hundertprozentige Tochter der Schweizer Bastel-Firma Spontini. „Spontini BV war eine reine Briefkastenfirma“, sagt Klüsekamp. Weitere Geschäftsgebaren erzürnen den Lichtenfelser ebenfalls: Unter Wagram seien zwei Geschäftsführer aus Gelsenkirchen und Ratingen, eine Finanzchefin aus Wuppertal, Einkaufsleiter aus Belgien und Köln und ein Marketingleiter aus Freiburg geholt worden, die alle fürstlich verdient hätten. Für eine „kleine, mittelständische Firma“ völlig unverhältnismäßig. „Die haben das Geld mit offenen Händen rausgeschmissen“, sagt auch Edmund Hennig, ebenfalls Betriebsrat und Ansprechpartner für Behinderte. Viele Fehler werden den Niederländern angekreidet: Sie hätten bewährte KnorrPrandell-Lieferanten zugunsten der eigenen Geschäftspartner verkümmern lassen. Sie hätten auf eine Produktionslinie gesetzt, die sich nie getragen und nur Verluste eingebracht habe. Schließlich habe es Pläne gegeben, das Lichtenfelser Unternehmen sukzessive in die Niederlande zu verlagern.
„Es sind Tränen geflossen ohne Ende.“
Erika Bießenecker Betriebsratsvorsitzende zum Tag der Mitteilung der Betriebsschließung 2013
Anfang 2013 hatte die Lieferquote bei KnorrPrandell nach übereinstimmenden Berichten eine „bedenkliche Tiefe“ von nur 35 Prozent erreicht. Kunden waren verärgert und wechselten zu Mitbewerbern. So kam es, wie es kommen musste: Die Creative Hobbies Group meldete Insolvenz an. Das war im Februar 2013. Der Insolvenzverwalter übernahm das Regiment und versuchte zu retten, was zu retten war. Die Belegschaft erhielt Insolvenzgeld. Im Mai 2013 dann die gute Nachricht: Es geht weiter. Die württembergische Schneider Group übernimmt KnorrPrandell. Hoffnung keimte auf, dass es nun wieder in ruhigeren Bahnen weitergeht.
Die Übernahme verlief nicht ohne Verluste: 52 von zuletzt 130 Mitarbeitern mussten gehen. Dennoch: 80 Arbeitsplätze waren zunächst gerettet. Der neue Eigentümer konzentrierte sich auf Kundenservice und Lieferquote. Im August 2013 hatte die Lieferquote wieder 75 Prozent erreicht. Im September präsentierte KnorrPrandell den ersten Newsletter mit Bastelneuheiten. Ein neues Logo wurde entwickelt. Alles schien wieder einigermaßen im Lot, doch dann kam der Schock: Im März 2014 kündigte die Schneider Group an, KnorrPrandell zum Ende 2014 zu schließen. „Die Mitteilung zur Betriebsschließung kam an dem Tag, an dem auch Scherer&Trier in Michelau Insolvenz anmelden musste. Es sind Tränen geflossen ohne Ende“, erinnert sich Erika Bießenecker, Betriebsratsvorsitzende und 36 Jahre im Betrieb. Manche KnorrPrandell-Frauen hatten Ehemänner im Michelauer Unternehmen. „Das war ein doppelter Nackenschlag“, sagt die Lichtenfelserin heute.
Bei KnorrPrandell fielen die Mitarbeiter aus allen Wolken. Bei der Übernahme wenige Monate zuvor hatte der neue Eigentümer noch angekündigt, dem Lichtenfelser Unternehmen etwa zwei bis drei Jahre Zeit zu geben, um wieder richtig auf die Füße zu kommen. Das betont neben Bießenecker und Klüsekamp auch Edmund Hennig. Lichtenfels biete mit seinem geringeren Lohnniveau günstige Voraussetzungen für Logistik und Konfektion, habe es damals geheißen. Die Schneider Group hatte bis kurz vor Schluss das Lichtenfelser Unternehmen offensichtlich auch noch auf Herz und Nieren überprüft. Letztendlich gaben wohl die Geschäftszahlen den Ausschlag: „Wir hatten im letzten Jahr rund 9 Millionen Euro Umsatz“, sagt Klüsekamp. Die Schneider Group hatte sich 15 Millionen Euro Jahresumsatz mit KnorrPrandell zum Ziel gesetzt, so Klüsekamp. 2012 hatte das Unternehmen noch 28 Millionen Euro umgesetzt.
„Unternehmensziel verfehlt“
Unternehmensziel deutlich verfehlt. Das bedeutete das schnelle Aus und nur zehn Monate nach der Übernahme leitete der neue Besitzer das Verfahren zur Standortschließung ein. Die ehemaligen Mitarbeiter, die sich heute äußern, sehen ihren letzten Besitzer zwiespältig. Einerseits seien sämtliche mit dem Betriebsrat ausgehandelten finanziellen Abmachungen zur Liquidierung eingehalten worden. Die Löhne und Gehälter flossen bis Dezember 2014. Es sei sogar Jubiläumsgeld gezahlt worden. 15 Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen haben eine Anstellung in der Zentrale der Schneider Group in Heilbronn erhalten. Freie Tage für Bewerbungen und Überstunden seien problemlos gewährt worden. „Dieser Eigentümer war großzügig. Er wollte uns auf saubere Art loswerden“, sagt Erika Bießenecker.
Bießenecker, Hennig und Klüsekamp sind aber auch davon überzeugt, dass die Baden-Württemberger die Flinte zu schnell ins Korn geworfen haben. Die Belegschaft bei KnorrPrandell hätte weitere Opfer gebracht, sind sie sich sicher. Es sei eine „verschworene Gemeinschaft“ gewesen, in der jeder für jeden da war. Selbst nach der traurigen Mitteilung zur Betriebsschließung hätten die Mitarbeiter ihrem Unternehmen die Treue gehalten. Der Krankenstand sei kaum gestiegen.
„Die Marke KnorrPrandell lebt weiter.“
Rainer Walz Pressesprecher Schneider Group
Dass die Lichtenfelser Mitarbeiter letztendlich die Zeche für das Gebaren der niederländischen Vorbesitzer zahlen mussten, will auch der letzte Besitzer nicht verneinen. „Vermutlich ja“ sagt Rainer Walz, Pressesprecher der SchneiderGroup auf Anfrage unserer Zeitung. Die durch die Insolvenz 2013 verursachten Schäden seien „erheblich größer gewesen als ursprünglich angenommen.“ Eine „wirtschaftliche Weiterführung“ am Standort Lichtenfels wäre „nicht möglich“ gewesen, so Walz. Die Sanierungsmaßnahmen nach der Insolvenz hätten zu lange benötigt, um die „gewünschte Wirkung zu entfalten.“
„Totengräber und Bestatter“
Im Sommer 2014 hatte die Mannschaft von KnorrPrandell nochmals einen Hausverkauf organisiert, der mit einem sechsstelligen Umsatz abgeschlossen werden konnte. „Wir waren mit Herz und Seele dabei. Wir waren wie eine richtige Familie,“ sagt Edmund Hennig. „Die Totengräber waren die Niederländer. Die Bestatter waren Baier&Schneider“: So fällt die bittere und sarkastische Bilanz von Karl-Heinz Klüsekamp zum Wirtschaftskrimi bei KnorrPrandell aus.
Am 19. Dezember 2014 war letzter Arbeitstag in Schney. Viele der älteren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, zum Teil über 40 Jahre im Unternehmen tätig, tun sich auf dem Arbeitsmarkt nun schwer. Erika Bießenecker, Edmund Hennig und Karl-Heinz Kluesekamp haben sich arbeitslos gemeldet. „Mit über 50 Jahren neu anzufangen, ist schwierig“, sagt Klüsekamp.
Die Marke KnorrPrandell wird nun Teil des Baier&Schneider-Sortiments. „Sie lebt weiter“, so der Pressesprecher in Heilbronn. Das Unternehmen habe die Markenrechte. Die Marke habe für den Handel „weiterhin große Bedeutung“. Knorr-Prandell-Produkte könnten Kreative auch in Zukunft beziehen.