Im Missbrauchskandal am Bamberger Klinikum hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen ehemaligen Chefarzt erhoben. Ihm werden Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt. Der Arzt soll Frauen unter dem Vorwand einer angeblichen medizinischen Studie untersucht und sich dabei an ihnen vergangen haben. Zuvor soll er sie mit Medikamenten ruhiggestellt haben. Grundlage der Anklage ist auch ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes umfangreiches rechtsmedizinisches Gutachten, in dem geklärt werden sollte, ob das Vorgehen des Arztes medizinisch zu erklären sei. Dieses Gutachten belastet den bis zur Aufdeckung des Skandals in Fachkreisen hoch angesehenen Mediziner schwer, wie uns der leitende Oberstaatsanwalt Bardo Backert auf Nachfrage am Mittwoch mitteilte.
Hypnotikum verabreicht
Der inzwischen entlassene Chef der Klinik für Gefäßchirurgie sitzt seit August 2014 in Untersuchungshaft. Er hat die Vorwürfe bislang stets bestritten und erklärt, nur medizinisch notwendige Untersuchungen vorgenommen zu haben. Sollte die Anklage zugelassen werden, dürfte der Prozess nicht vor März beginnen. Bei den mutmaßlichen Opfern handelt es sich um 13 Frauen im Alter von 17 bis 28 Jahren. Zehn Frauen waren Patientinnen des Arztes, zwei waren zur Tatzeit Mitarbeiterinnen im Bamberger Krankenhaus, eine Frau stammt aus dem privaten Umfeld des Mediziners. Alle Frauen haben Strafantrag gestellt. Die Taten soll der 48-Jährige von September 2008 bis Juli 2014 begangen haben. Eine Medizinstudentin hatte den Skandal ans Licht gebracht.
„Alles, was der verdächtigte Chefarzt bislang zu den Vorwürfen vorgebracht hat, ist falsch“, sagte der Oberstaatsanwalt weiter und bezog sich dabei auf das umfangreiche rechtsmedizinische Gutachten. Der Mediziner täusche nur vor, wenn er medizinische Untersuchungen als Begründung für sein Vorgehen angebe. Er habe Frauen unter dem Vorwand einer ärztlichen Behandlung ohne deren Wissen mit Hilfe des Hypnotikums Midazolam, das gewöhnlich bei Darmspiegelungen zum Einsatz kommt, in einen „absolut willenlosen, handlungsunfähigen Zustand versetzt“, so der Oberstaatsanwalt weiter. „Nach einer Minute waren die Frauen weg“, so Backert. Das Medikament sei bei einer Blutprobe einer betroffenen Frau nachgewiesen worden. Für die vom Mediziner angegebenen Untersuchungen seien solche Medikamente „nicht nötig“.
Der Mediziner habe die Frauen weiterhin durch Manipulationen im Intimbereich sexuell missbraucht und hiervon Fotos sowie Videoaufnahmen gemacht. Die Bildaufnahmen, die auch in die Beweisaufnahme eingeflossen sind, seien „Verletzungen des höchstpersönlichen Lebensbereiches“ der Opfer.
68 Zeugen verhört
Die Staatsanwaltschaft habe 68 Zeugen und fünf Sachverständige angehört. Die Anklageschrift umfasse 94 Seiten, so der Oberstaatsanwalt weiter. Zehn geschädigte Frauen treten als Nebenklägerinnen auf.
Falls die Anklage zugelassen werde, würde der frühere Bamberger Chefarzt mit diesen Frauen und ihren jeweiligen Anwälten im Gerichtssaal konfrontiert werden. „Das wäre eine ganz besondere Situation“, so Bardo Backert. Im Falle einer Verurteilung drohe dem Angeklagten eine mehrjährige Haftstrafe ohne Bewährung, ein Berufsverbot und zivilrechtliche Klagen der Opfer.
Der ehemalige Chefarzt galt als führender Gefäßchirurg. Erst kurz, bevor die Klinikleitung die Vorfälle der Polizei meldete, war er in der „Focus“-Ärzteliste im Juli 2014 als einer der deutschen Top-Mediziner empfohlen worden. Die Pressesprecherin des Klinikums, Brigitte Dippold, bezeichnete die Vorfälle und die Verhaftung des Chefarztes als „ganz einschneidendes Ereignis“ für alle Mitarbeiter. „Die Erschütterung darüber war im ganzen Haus spürbar“, sagte sie dem OT. Die Klinikpsychologin sei für die Betreuung betroffener Frauen und Mitarbeiter der betroffenen Abteilung freigestellt worden. Außerdem hatte die Klinik sogleich eine Opfer-Hotline eingerichtet.