„Mein größtes Interesse galt immer dem Fortschritt bei der schonenden Diagnose und Behandlung von Patienten, um das Leiden so gering wie möglich zu machen“: Mit Sätzen wie diesen entgegnete der angeklagte ehemalige Chefarzt am Bamberger Klinikum, Dr. W., zum Auftakt eines Aufsehen erregenden Prozesses am Dienstag vor dem Landgericht Bamberg schwerwiegenden Beschuldigungen der Staatsanwaltschaft: Dem Mediziner werden Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und vorsätzliche Körperverletzungen im Rahmen von Untersuchungen im Bamberger Klinikgebäude zwischen 2008 und 2014 vorgeworfen. Betroffen sein sollen zwölf Patientinnen und zwei Mitarbeiterinnen des Klinikums zwischen 17 und 28 Jahren. Eine weitere junge Frau aus dem privaten Umfeld soll der Ex-Chefarzt ebenfalls sexuell missbraucht haben. Die Frauen treten als Nebenklägerinnen auf.
Klaus Bernsmann aus Bochum wies in einer Eingangserklärung der Verteidigung die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück. Sein Mandant habe stets „nur für den medizinischen Fortschritt“ gehandelt und „neue Untersuchungsmethoden ausprobieren wollen.“ Der Rechtsanwalt übte scharfe Kritik an der bisherigen Darstellung des Falls durch Medien und in der Öffentlichkeit. „Die Vernichtung meines Mandanten ist in vollem Gange und nicht mehr aufzuhalten“, so Bernsmann. Das Verfahren sei schon vorab „skandalisiert“ worden. Sein Mandant habe eine „makellose Lebensleistung“ vorzuweisen und sei bis zum Urteilsspruch unschuldig. Gegen die „Wucht der erhobenen Vorwürfe“ werde sich Dr. W. vor Gericht ausführlich zur Wehr setzen, kündigte Bernsmann an.
Außerhalb der Sprechstunden
Über beinahe eine Stunde hatte Staatsanwalt Bernd Lieb zuvor das Ergebnis umfangreicher Ermittlungen vorgetragen. Die zur Last gelegten Fälle sollen sich außerhalb der regulären Sprechzeiten sowie an Sonn- und Feiertagen in den Untersuchungsräumen der Ambulanz der Gefäßchirurgie im Bamberger Klinikum abgespielt haben.
Der spätere Angeklagte soll dabei immer nach dem gleichen Muster vorgegangen sein, so der Staatsanwalt: Unter dem Vorwand ärztlicher Untersuchungen vor oder nach Beckenvenenoperationen sowie im Rahmen ambulanter Behandlungen soll der Mediziner „ohne Einverständnis und gegen den Willen“ der behandelten Personen jeweils das starke Beruhigungsmittel „Midazolam“ gespritzt haben.
Nachdem die Frauen willenlos, handlungsunfähig und ohne Bewusstsein gewesen seien, habe Dr. W. sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen, so Lieb weiter. Keine der Frauen habe sich danach an die Behandlung erinnern können. Der Mediziner, so der Vorwurf des Staatsanwalts, habe die besondere Wirkung des Hypnotikums „bewusst“ ausgenutzt, um sich „unentdeckt sexuell an den Patientinnen vergehen“ zu können. Die Frauen seien zudem zu keinem Zeitpunkt „über Risiken und mögliche gesundheitliche Folgen der Untersuchungen“ aufgeklärt worden.
Der Mediziner soll während der Behandlungen – ebenfalls ohne Einwilligung – eine Vielzahl von Fotos und auch Videosequenzen vom Intimbereich der Frauen gefertigt und abgespeichert haben. Diese Fotos soll der Chefarzt nicht aktenkundig gemacht haben. In den Patientenunterlagen seien lediglich herkömmliche Ultraschalluntersuchungen vermerkt. In zwei Fällen habe der Chefarzt zudem angekündigt, die Untersuchungen seien für eine Studie über Beckenvenenthrombosen. Tatsächlich aber, so der Staatsanwalt, habe es diese Studie nie gegeben.
Angeklagter schildert Lebenslauf
Seine Ausführungen, die das moralische Empfinden der Zuhörer auf eine harte Probe stellten, beendete der Staatsanwalt mit der Forderung eines Berufsverbotes für den Ex-Chefarzt. Der Mediziner habe die Taten unter Missbrauch seines Berufs als Arzt und des damit verbundenen Vertrauensverhältnisses begangen.
Dr. W., der seit 20. August 2014 in der Justizvollzugsanstalt Bamberg einsitzt, stellte sich zu Beginn der Verhandlung ganz offen Fotografen und Kamerateams. Mit gefasster Stimme schilderte er ausführlich seinen bisherigen Lebenslauf und seine beruflichen Erfolge, ging aber dabei mit keinem Wort auf die ihm zur Last gelegten Vorwürfe ein oder äußerte gar Bedauern. Zu den medizinischen Gründen seiner Untersuchungen wolle er später ausführlich Stellung nehmen. Psychische Probleme oder Erkrankungen gebe es nicht, so sein Anwalt.
Der Angeklagte, Vater von zwei Kindern, ist in Lichtenfels zur Schule gegangen. Seine Ehe sei durch die Vorwürfe „belastet“, aber nicht zerrüttet“, sagte er über sein Privatleben. Nach dem Studium an der Uni Erlangen arbeitete Dr. W. dort einige Jahre, bevor er 2005 Chef der Gefäßchirurgie und Venenheilkunde an der Bamberger Klinik wurde. Er habe schon immer ein großes Faible für technik-orientierte Medizin sowie Diagnose- und Behandlungsmethoden gehabt. Außerdem schätze er „unkonventionelle Wege“.
Finanzielle Entschädigung für Frauen
Indessen zahlt die Sozialstiftung als Betreiberin des Klinikums Bamberg den als Nebenklägerinnen auftretenden insgesamt zwölf Patientinnen und Mitarbeiterinnen eine finanzielle Entschädigung von jeweils 15000 Euro. Eine entsprechende Einigung gab es nach Medienberichten im Vorfeld des Prozesses mit den Opferanwälten. Die Zahlungen leiste man „unabhängig von jeder juristischen Beurteilung des Falls“, so die Sozialstiftung.
Der Prozess ist auf zwölf Verhandlungstage festgelegt. Insgesamt sind 50 Zeugen geladen. Die nächste Verhandlung findet am Dienstag, 14. April ab 9 Uhr statt.