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LICHTENFELS/KRONACH: Die große Chance nutzen

LICHTENFELS/KRONACH

Die große Chance nutzen

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    Volle Konzentration: In der Spezialklasse der Berufsschule in Kronach lernen junge Asylbewerber aus Lichtenfels.
    Volle Konzentration: In der Spezialklasse der Berufsschule in Kronach lernen junge Asylbewerber aus Lichtenfels. Foto: Roger Martin

    Die Pause ist zu Ende. Die Schüler, allesamt junge Männer im Alter zwischen 16 und 20 Jahren, kehren in den Klassenraum zurück. „Grüß Gott“ sagen die einen, die anderen sind weniger förmlich, eher cool. Drei Lehrerinnen sind bereit, den Unterricht fortzusetzen.

    Es ist keine normale Klasse, die da im 4. Stock der Lorenz-Kaim-Berufsschule in Kronach zusammenkommt. Vor wenigen Monaten lebten die jungen Leute noch in Somalia, Eritrea, Äthiopien, Kosovo, Irak, Marokko oder im Senegal. Jetzt sind sie Asylbewerber. Sie leben momentan in Kronach und in Lichtenfels. Sie haben einen besonderen Status: Im Fachjargon werden sie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge genannt.

    In Kronach scheint die Welt in Ordnung. Den jungen Flüchtlingen kommt das Stück Oberfranken wahrscheinlich vor wie der Himmel auf Erden. In der Heimat und auf der Flucht haben die Heranwachsenden Schlimmes und Schlimmstes mitgemacht, Angst um ihr Leben gehabt. Manche von ihnen haben keine Eltern mehr, andere wurden von ihren Eltern auf die lange Reise geschickt, damit sie zuhause nicht in Gefahr kommen. In Eritrea zum Beispiel werden Jungs bereits ab 14 und 15 Jahren zur Armee geholt. Einem von ihnen wurde während der Flucht ein Arm gebrochen.

    Katrin Sandhop ist Lehrerin der Volkshochschule (VHS) Kronach und unterrichtet als Vertreterin des Berufsschul-Kooperationspartners VHS die Klasse in Deutsch. Heute teilt sie Zettel aus. In Form von Kreuzworträtsel sollen die jungen Männer deutsche Begriffe für verschiedene Nahrungsmittel in die Kästchen schreiben. Andrea Harm, Sozialpädagogin und Christine Schottdorf, die Klassenleiterin, sind als pädagogische Betreuerinnen für die jungen Flüchtlinge da. Jetzt helfen sie beim Ausfüllen der Zettel.Es ist ein pädagogisches Experiment, das da seit März in der Berufsschule in Kronach und in vielen Schulen Bayerns abläuft. „Spezialklasse Berufsintegrationsjahr“ heißt die Schöpfung. Die Idee dafür stammt aus dem Kultusministerium. Die Lichtenfelser Flüchtlinge fahren täglich mit dem Zug in die Lucas-Cranach-Stadt. Früh um 9.10 Uhr gehts los mit dem Unterricht. In zwei Gemeinschaftsunterkünften der Landkreisverwaltung sind die jungen Asylbewerber im Landkreis Lichtenfels untergebracht. Die Betreuung der jungen Menschen ist staatliche Aufgabe. Sie haben Vormünder, da sie minderjährig sind. Für einige ist das Jugendamt gesetzlicher Vertreter, für andere sind es Privatpersonen.

    „Die jungen Leute sind hoch motiviert und lernen sehr schnell.“

    Rudolf Schirmer ist Leiter der Kronacher Berufsschule. Er kümmert sich sehr aufgeschlossen um die Organisation der Spezialklasse, die auch für ihn Neuland ist. In Deutschland unterliegen alle Jugendliche – unabhängig von ihrem Status – der Berufsschulpflicht, sagt er. Von den neuen Schülern ist er angetan. „Die jungen Leute lernen sehr schnell“, betont er. „Was sie durchgemacht haben, können wir uns gar nicht vorstellen“, so der Oberstudiendirektor weiter. Jetzt haben sie es geschafft, wenn auch traumatisiert. Er habe den Eindruck, dass den Schülern die großen Chancen bewusst sind, die sie hier geboten bekommen. Die Berufsschule soll die jungen Menschen nach etwa zwei Jahren soweit bringen, damit sie eine Berufsausbildung beginnen können, erläutert Schirmer. Die deutsche Sprache erlernen, sprechen und verstehen sei zu Beginn am Allerwichtigsten. Auch die Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse mit Unterstützung von Sozialpädagogen habe im Moment Vorrang. Je besser die Flüchtlinge Deutsch sprechen können und je eher sie frei von Angst werden, desto besser können sie sich integrieren.

    Die jungen Männer möglichst schnell für das Leben hier fit zu machen, ist eine echte Herausforderung. Sie kommen aus allen Teilen der Welt und aus verschiedenen Kulturkreisen. Sie sind ganz andere Sitten und Gebräuche gewohnt. Ihre schulischen Voraussetzungen sind höchst unterschiedlich. Einer von ihnen ist Analphabet. Bei uns müssen sie zum Beispiel Straßenschilder und Verkehrsregeln kennen lernen. „Man darf sie nicht einfach auf den Straßenverkehr loslassen“, sagt Rudolf Schirmer. Ein Polizeibeamter wird bald Verkehrsunterricht halten. Ein türkischer Imam ist eingeladen worden, um zu den Asylbewerbern zu sprechen, von denen viele Muslime sind. Derzeit folgen die jungen Männer den strengen Regeln des Fastenmonats Ramadan.

    Alle jungen Asylbewerber aber vereint der Wunsch, bei uns vorwärts zu kommen. „Die sind alle hoch motiviert“, sagt die Klassenleiterin. Sie kämen auch zur Schule, wenn es ihnen nicht gut gehe. Die meisten wollen einen Mittelschulabschluss“, so Klassenleiterin Christine Schottdorf. Die guten Schüler unter ihnen sollen den Quali schaffen. Einzelne hätten sogar das Zeug fürs Gymnasium, wenn sie gut Deutsch könnten.

    Berufswünsche haben die meisten der jungen Asylbewerber. Viele wollen Automechaniker werden. Elektriker für Energie- und Gebäudetechnik steht ebenfalls oben auf der Wunschliste. Einer will Friseur werden. „Ich koche gerne und will Koch werden“, sagt der junge Mann aus Marokko, der nach eigenen Angaben gerne das nordafrikanische Gericht Couscous zubereitet.

    Ab dem kommenden Schuljahr soll es auch in Lichtenfels eine Spezialklasse wie in Kronach geben. Der Zustrom der unbegleiteten Flüchtlinge wird ansteigen, da sind sich die Fachleute im Moment einig.

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