Dr. Andreas Voelckel ist ein Mediziner mit Leib und Seele. Der Allgemeinarzt betreibt eine Praxis in der Friedhofstraße in Lichtenfels. „Ich möchte, dass der Patient im Mittelpunkt steht“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Deshalb stehe auf seinem Schreibtisch zum Beispiel auch kein Computer oder ein Ultraschallgerät. Nachdem er vor einiger Zeit die Praxis von Dr. Adolf Fritsche übernommen hatte, begab sich der Mediziner auf neues Terrain. Er ließ sich als Landarzt nieder. Zuvor war er am Klinikum in Lichtenfels und dort unter anderem als Gynäkologe im Einsatz.
Voelckel wechselte in der festen Absicht, die kassenärztliche Versorgung in Lichtenfels zu erhalten, wie er betont. „Die Patienten in Lichtenfels liegen mir sehr am Herzen“, sagt er. Am vergangenen Samstag erfuhren seine Patienten und etliche mehr Leser in Stadt und Landkreis Lichtenfels in einer außergewöhnlichen Anzeige im Obermain-Tagblatt, dass der Hausarzt bald keine Kassenpatienten mehr behandeln kann. Nach kurzer Zeit im System der Krankenkassen gibt er seine Kassenzulassung wieder zurück.
„Viel zu viel Bürokratie und vergleichsweise zu wenig Ertrag“: So bringt der Lichtenfelser Allgemeinarzt die Hauptgründe für diese ungewöhnliche Entscheidung auf den Punkt. In Zukunft werde er nur noch Privatpatienten und Selbstzahler behandeln. Er wolle aber auch verstärkt wieder Notarzteinsätze wahrnehmen. „Mir ist daran gelegen, die Patienten in meiner Heimat zu versorgen“, so Voelckel wörtlich.
„Wust an Formularen“
Dass ein Arzt sagt, der Ertrag seiner Arbeit sei unzureichend, ist ungewöhnlich. Landläufig heißt es, Ärzte verdienen gut und deutlich mehr als viele in unserer Gesellschaft. „Über dieses Klischee kann ich mich immer nur wundern“, sagt Andreas Voelckel. Er höre nicht aus finanziellen Gründen auf. Er sei vielmehr überzeugt, dass einerseits das existierende hochbürokratisierte Krankenkassensystem seiner Einstellung zum patientenbezogenen Arztberuf zuwider läuft, andererseits er im Vergleich zu seinem Aufwand zu wenig verdienen kann, solange er bei der Kasse bleibt. Vor allem die Bürokratie ist dem niedergelassenen Arzt ein Dorn im Auge. „Ich will keine dicken Rechnungen schreiben, sondern Patienten versorgen“, sagt Voelckel. „Einen Wust an Formularen“ müsse er regelmäßig auszufüllen. „Es wird kein Patient gesünder, wenn unsere Arbeitszeit vernichtet wird“, sagt Voelckel weiter. Ständig müsse er zudem Geld in neue Software investieren, die die Krankenkasse oder der Gesetzgeber vorschreibe.
Der Lichtenfelser Arzt räumt ein, dass er seit Beginn seiner Kassenarzt-Karriere in der Korbstadt weniger Kassenpatienten zu sich ziehen konnte als zunächst gedacht. Aber damit hätte er leben können. Nicht leben könne er neben bürokratischem Pomp mit Vorgaben und dürftigen Honorarregelungen, die er bislang erleben durfte: 31 Euro für einen Gesundheits-TÜV, knapp 22 Euro für einen Hausbesuch, vergleichsweise wenig Honorar bei Besuchen von jüngeren Patienten die mit Kopfschmerzen, Husten oder grippalen Infekten zu ihm kommen.
„Das passt überhaupt nicht zu meiner Auffassung eines freien Berufs und meinem Anspruch als Kleinunternehmer,“ sagt Voelckel. Die jetzige Entscheidung habe er nach reiflicher Überlegung getroffen. Sie sei ihm „sehr schwer gefallen“. Die meisten seiner Kassenpatienten seien von der Ankündigung ihres Hausarztes „nicht begeistert“. Aber Voelckel hat sich jetzt durchgerungen. Zum Ende des dritten oder spätestens vierten Quartals ist Schluss mit Kassenarzt.
„Es wird kein Patient gesünder, wenn unsere Arbeitszeit vernichtet wird.“
Dr. Andreas Voelckel, Allgemeinarzt
Voelckels Rückzug als Kassenarzt bedeutet aber auch eine Chance für eine zusätzliche Landarztstelle in Stadt oder Landkreis Lichtenfels. Dies betont die Pressesprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), Birgit Grain. Voraussetzung sei die Zustimmung Voelckels, einem Nachversorgungsvertrag zuzustimmen. Der Lichtenfelser Allgemeinarzt hat dafür gegenüber der KVB bereits grünes Licht gegeben, wie er uns sagt. Die KVB muss nun den Antrag Voelckels auf Zulassungs-Rückgabe prüfen. Stimmt sie zu, dann fällt der Arzt aus der KVB-Bedarfsplanung heraus. Dann entscheidet der sogenannte Zulassungsausschuss der KVB über eine mögliche neue feste Hausarztstelle im Landkreis Lichtenfels. Derzeit praktizieren 47 Hausärzte im Landkreis. Ein 48. Hausarzt könnte sich im gesamten Landkreis ansiedeln, so Birgit Grain weiter. Am Obermain gibt es – wie bereits berichtet – ein West-Ost-Gefälle. Deutlich mehr Hausärzte sind im Raum Lichtenfels/Bad Staffelstein tätig als im östlichen Landkreis.
Für Grain ist die Anzahl der Ärzte im Planungsbereich Landkreis Lichtenfels nicht das vorrangige Problem. Mit 111 Prozent sei der Bereich am Obermain hausarztmäßig offiziell „überversorgt“. 66 der Hausärzte hier sind im Übrigen männlich, 34 Prozent sind Frauen.
42 Prozent der Hausärzte über 60
Kopfzerbrechen bereite der KVB eher die Altersstruktur der Hausärzteschaft am Obermain. Der Altersdurchschnitt beträgt nach neuesten Erhebungen von diesem Jahr 55,7 Jahre. In Bayern liegt der Schnitt bei 54,4 Jahren.
Nur 17 Prozent der Hausärzte bei uns sind laut KVB jünger als 45 Jahre, hingegen 42 Prozent (!) oder 20 Hausärzte älter als 60 Jahre. Die KVB hofft, dass im Falle eines Falles ein junger Mediziner als momentan 48. Arzt an den Obermain kommt.