Der Birnbaum steht direkt vor dem Bauernhaus. Ein starker, wilder Baum. Mit einem mächtigen Ast. Eine Schaukel hängt daran. Darauf sitzt ein kleines Mädchen, das quietschvergnügt Schlager singt. Dahinter steht die ältere Schwester, die die ganze Angelegenheit in Schwingung versetzt.
Das Schaukelbild wird in der Erinnerung von Irene Schröder immer von einer schönen Kindheit in Niederschlesien berichten. Von ihrer älteren Schwester Käthe, die so viel ernster war als sie. Von einer Welt, die nur wenige Jahre später unterging. „Ich war schon ein kleiner, frecher Wildfang. Das Gegenteil von Käthe“, lacht die 90-jährige Irene Schröder. Aber trotzdem hat sie die ältere Schwester immer wieder Richtung Himmel geschubst. Und die kleine Irene hat es genossen, so frei und unbeschwert zu sein.
Irene Schröder blickt aus dem Autofenster. Ein bunter Herbstwald zieht gerade vorbei. Flammendes Rot, das sich in der einbrechenden Dunkelheit langsam in Grautöne wandelt. Eine gut dreistündige Autobahnfahrt steht noch bevor. Zurück von Göttingen nach Bad Staffelstein. 300 Kilometer trennen Irene Schröder von ihrer Schwester. „Für eine Zugfahrt mit Umsteigen fühle ich mich nicht mehr so fit“, sagt die Seniorin aus Bad Staffelstein.
Vergangenes Jahr engagierte sie sich einen Fahrer, der sie hinfuhr. „Das war sehr teuer für mich. Aber einmal im Jahr muss ich doch wenigstens meine Schwester sehen“, erklärt sie. Dieses Jahr bewarb sie sich bei der Limousinen-Aktion von „Helfen macht Spaß“.
Dank der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft „Helfende Herzen und Hände“ steht der OT-Leseraktion ein silberner Audi A 8 zur Verfügung. Für besondere Fahrten wie die von Irene Schröder. Fast vier Stunden saßen die beiden Schwestern in einem Göttinger Altenheim zusammen. Es fällt den beiden Damen sichtlich schwer, voneinander zu lassen, als der Aufbruch naht. Der ehrenamtliche Fahrer Hartmut Stephan klopft höflich an die Türe.
„Aber einmal im Jahr muss ich doch wenigstens meine Schwester sehen,“
Irene Schröder, 90 Jahre
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. „Nein, nein, liebe Käthe, bitte bleib doch im Zimmer“, sagt Irene Schröder, als sie aufsteht. Ihre vier Jahre ältere Schwester ist vor wenigen Tagen gestürzt. Hat sich eine dicke Beule geholt und ist immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen. Jetzt sitzt sie im Rollstuhl. Und bleibt natürlich nicht im Zimmer. Bis die Schwester im langen Gang um die Ecke biegt, wartet sie vor der Zimmertür. Ein letztes Mal winken. Ein schmerzhafter Augenblick für die Schwestern. Irene Schröder macht sich Sorgen. „Der Sturz hat meine Schwester ganz schön mitgenommen. Im hohen Alter darf man da die Folgen nicht unterschätzen“, sagt sie, als der Wagen vom Parkplatz des Altenheims startet. „In unserem Alter kann keiner wissen, ob es uns beim nächsten Treffen noch gesundheitlich ausreichend gut geht“, meint die 90-Jährige nachdenklich.
Fahrer Stephan steuert die geräumige Limousine mit gemäßigtem Tempo über die Autobahn. „Bei ihrer Fahrweise fühlt man sich wirklich völlig sicher“, schwärmt die alte Dame. Dann verwandelt sich der silberne Audi in eine Zeitreise-Maschine.
Spannende Lebenserinnerungen
Hartmuth Stephan hört spannende Lebenserinnerungen aus entbehrungsreichen Zeiten. Von der Flucht aus Glogau in Niederschlesien, die Irene Schröder mit ihrer verwitweten Mutter und den fünf Geschwistern zu Fuß antrat. Von der Nachkriegszeit in Deutschland. Als sie als junge Frau im Osten des Landes im Einwohnermeldeamt arbeitet. „Das war der Polizei untergeordnet. Dann haben die Kommunisten unseren Chef verhaftet. Er war wohl nicht linientreu genug. Dabei hat er als Halbjude so viel unter den Nazis gelitten.“ So erlebt die junge Irene die ersten Jahre der DDR. „Was haben sie nicht alles versprochen von einem freien und gerechten Land. Aber wer nicht auf Linie war, den haben sie gedemütigt.“ Irene Schröder klingt traurig. Aber nie verbittert. Auch nicht, wenn sie von der verlorenen Heimat erzählt. Aber Niederschlesien hat ihr immer gefehlt. Das wird ihrem Zuhörer schnell klar.
Das Wirtschaftswunder erlebt Irene Schröder dann im Westen. Sie heiratet einen Niederbayern, baut mit ihm Zusammen eine Spedition auf. „Das waren anstrengende, aber schöne Jahre.“ Später leiten die beiden noch ein Hotel in Zwiesel. Zu Lichtenfels hat Irene Schröder da schon einen festen Bezug. Nach dem Krieg fand eine ihrer Schwestern hier eine neue Heimat. „Leider ist sie schon verstorben“, sagte die 90-Jährige.
2012 verlegt das Ehepaar Schröder seinen Altersruhesitz in den Quellenhof in Bad Staffelstein. Dann erkrankt der Mann und stirbt. Witwe Schröder fehlen ihr Lebensgefährte, all die Vertrautheit und Gespräche schmerzlich.
Ein herzliches Dankeschön
Hartmut Stephan fährt die letzten Kilometer der Strecke. Es ist schon fast 21 Uhr, der Ausflug begann um 7.30 Uhr. Für Irene Schröder geht ein anstrengender und emotionaler Tag zu Ende. „Sie glauben gar nicht, wie wichtig der Besuch bei meiner Schwester für mich war“, bedankt sie sich zum Abschied.
Die Limousinen-Aktion Die Leseraktion „Helfen macht Spaß“ des Obermain-Tagblatts bietet mit der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft „Helfende Herzen und Hände“ (HHS) aus Bayreuth die Aktion „Limousinen-Service“. Fünf Mal steht Mitmenschen eine komfortable Limousine Audi A 8 der HHS zur Verfügung, damit sie sie samt Chauffeur für einen Ausflug nutzen können, der wirklich eine „Herzensangelegenheit“ ist. Alle Bewerbungen trafen dann auch wirklich mitten ins Herz. Darum ermöglichte HHS fünf anstatt drei Fahrten. Ein Ausflug führte bereits zwei Menschen mit Behinderung nach Aschaffenburg, eine weitere Fahrt hatte Mellrichstadt als Ziel. Die alte Heimat von zwei Regens-Wagner-Bewohnerinnen aus Burgkunstadt.